Marion Zimmer Bradley: "Die Nebel von Avalon"
Inszenierte Lesung des Fantasy-Epos
(Hörbuchrezension)
Artus-Legende
im Spannungsfeld von Matriarchat und Patriarchat
Im Jahre 1979 A.D. präsentierte die amerikanische
Schriftstellerin Marion Zimmer Bradley (gestorben 1999) mit "Die
Nebel von Avalon" ein Epos, das tief in der so genannten
heidnischen Frühgeschichte Britanniens wurzelt. Geschildert
wird eine Ära des Unter- wie Übergangs, angesiedelt
zur Epoche des legendären König Artus und seiner
ebenso mythischen Ritter- wie Feindesschar. Damals, im ausgehenden 5.
Jh., muss die keltische Muttergottheit mehr und mehr dem Vatergott der
Christen Platz machen. Aber nicht nur religiös bleibt kein
Stein auf dem anderen, auch geopolitisch: Roms Legionen, lange Zeit
Garanten für Frieden, haben die Insel im
äußersten Westen des Imperiums sich selbst
überlassen, währenddessen ein Strom
sächsischer Invasoren den britischen Stämmen das
Territorium abspenstig macht.
Weit im Süden Britanniens liegt in einem See - durch
Nebelbarrieren vor Ungläubigen und Feinden verborgen - die
heilige Insel Avalon. Dort residiert Viviane, Hohepriesterin der
Großen Mutter. Sie weiß um die Gefahr, die ihrer
Religion durch die christlichen Missionare ebenso wie durch die
sächsischen Eroberer droht. Deshalb beginnt sie, den Lauf der
Geschichte selbst zu steuern. Britannien benötigt einen
starken Herrscher, der die Streitigkeiten der vielen Fürsten
beendet, Einheit und Frieden bringt und die alte Religion respektiert.
Dieser zukünftige König muss vom Blute Avalons sein.
Viviane arrangiert die Zusammenkunft ihrer jüngeren Schwester
Igraine mit Uther, dem Pendragon (Heerführer) des siechen
Großkönigs Ambrosius. Im Unterschied zu seinem
römisch-stämmigen Herrn ist Uther rein britischer
Abstammung. Er verliebt sich in Igraine auf den ersten Blick. Doch an
der Sache ist ein Haken: die Dame hat schon Gorlois, dem Herzog von
Cornwall, das Jawort gegeben. Es kommt wie es kommen muss: Nach
Ambrosius’ Tod wird Uther neuer Großkönig
und besiegt die Truppen des rebellischen Gorlois. Der Herzog selbst
findet den Tod. Igraine heiratet Uther und empfängt einen
Sohn: Artus. Dieser wird - um ihn nicht gänzlich der Erziehung
christlicher Priester auszusetzen, auch vom Merlin unterwiesen. Der
Merlin von Britannien (eine Art oberster Druide) fungiert als engster
Vertrauter der Herrin vom See. Morgaine, Artus’ Halbschwester
aus der Verbindung seiner Mutter mit ihrem ersten Mann, geht nach
Avalon, um dort in die Mysterien der Großen Mutter eingeweiht
zu werden.
Jahre verstreichen währenddessen Vivianes Plan voll aufzugehen
scheint: Uther hält die Sachsen im Zaum, Artus wächst
zu einem tapferen Kämpfer heran, und die Große
Mutter nimmt im Glauben ihren gleichberechtigten Platz neben dem
Christengott ein. Doch Viviane übertreibt ihr strategisches
Planspiel. Sie lädt Artus, der nach Uthers Tod schon bald als
neuer Großkönig gekürt wird, nach Avalon
zum Beltane-Fest. Bei diesem kommt es jedes Frühjahr zur
rituellen Vereinigung der Jungfräulichen Jägerin mit
dem Hirschgott; ein sexueller Akt, der symbolisch den Bund mit dem Land
und der Großen Göttin besiegelt. (auch von Wilfried
Steiner in "Der
Weg nach Xanadu" beschrieben). Die maskierte
Jungfrau ist Morgaine, ihr gehörnter Begleiter niemand Anderer
als Artus. Ohne es zu wissen, schlafen Bruder und Schwester
miteinander. Viviane will, dass aus dieser Vereinigung der beiden
Blutlinien Avalons ein Sohn entspringt, der mächtiger als alle
Könige zuvor wird. Morgaine gebiert alsbald Mordred, jenen
Mann, der letztlich den Untergang des alten Britanniens bringen wird.
Maßgeblich verantwortlich für den finsteren
Charakter Mordreds ist seine Tante Morgause, Vivianes und Igraines
Schwester, die Gemahlin des Königs von Orkney. Geschickt
entfremdet sie den Jungen von Kindheit an von seiner Mutter und
verwendet ihn als Werkzeug der Intrige gegen Artus, um ihren eigenen
Sohn Gawain als Thronfolger zu etablieren. Zusätzliche Brisanz
birgt die Dreiecksbeziehung
zwischen Artus, seiner Frau Gwenhwyfar und Lancelot, seinem ersten
Ritter und besten Freund. Nicht nur, dass Gwenhwyfar dem König
keinen Nachfolger gebären kann, sind sie und Lancelot seit
Jahren schon still ineinander verliebt. Lange Zeit kann die
Staatsräson ihre Gefühle zügeln; lange, aber
der Tag des Treuebruchs gegenüber dem König kommt.
Der Amouren nicht genug: Auch Morgaines Herz schlägt
für Lancelot. Dass diese verschachtelten Beziehungen nicht nur
Liebe, sondern auch Hass und Tod bringen, wird in "Die Nebel
von Avalon" von Kapitel zu Kapitel klarer. Man merkt, wie
sich atmosphärisch immer mehr ein Unwetter zusammenbraut,
dessen Niedergang Vernichtung für "Gute" wie "Böse"
bringt; wobei keine Romanfigur sich diesem trivialen Schema zuordnen
lässt.
Was bei Marion Zimmer Bradley auffällt, ist dreierlei.
Zuallererst fokussiert sie nicht die stolzen Könige und
Ritter, sondern eine Handvoll entschlossener Frauen, welche die wahren
Bestimmerinnen des Geschehens sind. Viviane, Morgaine, Morgause,
Gwenhwyfar oder Igraine stellen die sie umgebenden Männer in
den Schatten. Merlin, Uther, Lancelot, ja selbst Artus selbst sind grob
gesprochen nur Handlanger.
Zweitens hat die Autorin sich sehr intensiv mit den
vorchristlichen,
keltischen Religionen Britanniens auseinandergesetzt.
Geschickt, fast unbemerkt, verbindet Zimmer-Bradley uralte
Überlieferungen mit persönlichen
Ausschmückungen und Interpretationen. Viviane, Igraine und
Morgaine stehen im Buch für die drei Emanationen der
Großen Göttin Ceridwen als alte Weise, Frau bzw.
Mädchen, während Morgause das verborgene vierte,
dunkle Antlitz trägt.
Und drittens gelang es Zimmer-Bradley, der Legende von Avalon, von der
außer ein paar Andeutungen wenig an mittelalterlichem
Quellmaterial erhalten ist, ein Gesicht zu geben. Ja, der Roman
trägt fast zur Entstehung einer Philosophie um diese
nebelumflorte Insel bei.
Avalon hat seinen Ursprung bei den Flüchtlingen des
versunkenen Kontinents Atlantis. Ganze Zeitalter haben auf dem Eiland
die Herrinnen vom See geherrscht, Generation für Generation.
Bis die Jünger des Kreuzes kommen. Anfangs gewähren
die Priesterinnen der Göttin den christlichen
Flüchtlingen Unterschlupf, gestatten sogar den Bau der Abtei
von Glastonbury. Doch mit der Zeit entsteht Zwietracht: "Die
Christen versuchen, alles Wissen mit Ausnahme ihres eigenen
auszulöschen", spricht der Merlin im Buch. Es liegt
in der Natur des Eingottglaubens, keine Göttin neben dem Einen
zu tolerieren. Und je stärker der Glaube an den Vatergott
wird, desto weiter entfernt sich Avalon von der Insel der Priester,
obwohl doch beide eins sind. "Noch berühren sich
die Welten, noch liegen sie so dicht wie Liebende nebeneinander. Aber
sie treiben auseinander; und wenn man dem nicht Einhalt gebietet, wird
es eines Tages zwei Welten geben, und niemand kann von der einen in die
andere gelangen." Die Nebel bilden eine magische Barriere,
die Avalon schützen, aber gleichzeitig auch immer weiter
abdriften und in Vergessenheit geraten lassen. Wenn man so will, kann
man anhand der Dichotomie Avalon - Glastonbury den Übergang
vom Matriarchat zum Patriarchat herauslesen, vom Polytheismus der
Naturreligion zum Monotheismus der Staatsreligion; zweier anscheinend
unverträglicher Systeme. Ähnlich schön
herausgearbeitet hat diesen zivilisatorischen Paradigmenwechsel Franz
Grillparzer im leider viel zu wenig bekannten Trauerspiel "Libussa"
(1874 uraufgeführt).
Wem für die über 1.000 Seiten des Romans "Die
Nebel von Avalon" die Zeit fehlt, dem kann mit dem
Hörbuch aus 12 CDs abgeholfen werden. Der Inhalt des Buches
ist nur leicht gekürzt. Anna Thalbach fungiert als
Erzählerin, während ihre Mutter Katharina mit
herrlich andersweltiger, rauchiger Stimme eine glaubwürdige
wie weise Morgaine spricht. Untermalt wird das Gesagte stellenweise
durch mittelalterliche Klänge der deutschen Gruppe Saltatio
Mortis. Doch genug vom "Totentanz", das Schlusswort übergibt
der Rezensent Morgaine Le Faye: "Jeder Mensch hat das Recht
auf seine eigene Wahrheit und auf den Gott, der durch sie spricht ...
Eines Tages werden auch die Priester sie (nämlich
diese Geschichte) erzählen. Vielleicht liegt die
Wahrheit zwischen beiden Geschichten und wird durch sie
hindurchschimmern ..."
(lostlobo; 01/2005)
Marion
Zimmer Bradley: "Die Nebel von Avalon"
Random House Audio, 2004. 12 Audio-CDs mit Begleitheft; Laufzeit etwa
920 Minuten.
Gesprochen von Anna Thalbach,
Katharina
Thalbach.
ISBN 3-89830-769-7.
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Verfilmung
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Marion
Zimmer Bradley wurde als Marion Eleanor Zimmer am 3. Juni 1930 in
Albany, New York, geboren. Bereits im Alter von elf Jahren begann sie,
historische Romane zu schreiben. Von 1946 bis 1948 besuchte sie ein
Lehrerkolleg des New York State College, brach das Studium aber ab und
heiratete den erheblich älteren Eisenbahnangestellten Robert
Bradley. Das Paar zog nach Texas, und Marion Zimmer Bradley setzte erst
viele Jahre später, nach Scheidung und
erneuter Verehelichung, ihr Studium fort.
1964 machte sie ihren Abschluss und studierte an der University of
Berkeley. Ihre ersten Geschichten erschienen 1953, aber der Erfolg als
Schriftstellerin ließ auf sich warten. Mit "Die Nebel von
Avalon" gelang ihr schließlich der Durchbruch.
Marion Zimmer Bradley starb am 25. September 1999 in ihrem
kalifornischen Wohnort Berkeley an einem Herzanfall.
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Zwei
weitere Buchtipps:
Marion Zimmer Bradley, Diana L. Paxson: "Die Ahnen von Avalon"
Diana L. Paxson, selbst erfolgreiche Fantasy-Autorin, hat als
engste Vertraute und Freundin Marion Zimmer Bradleys Arbeit immer
begleitet und deren umfangreiche Aufzeichnungen zu "Die Ahnen von
Avalon" im Auftrag der Autorin zu einem neuen großen Roman
werden lassen.
Der Zauber der alten Mythen und
Legenden
um König Artus und seine Schwester Morgaine wird
wieder heraufbeschworen. Und zum ersten Mal nimmt die Geschichte des
Avalon-Zyklus ihren Anfang im sagenumwobenen Atlantis.
Die atemberaubende Geschichte der ersten Tage von Avalon und von
Tiriki, Priesterin und Prinzessin von
Atlantis. Es ist
ihre Bestimmung, die erste Hohepriesterin des Nebelreichs zu werden. An
der Küste Britanniens gestrandet, muss sich Tiriki
entscheiden, welchen Weg sie und die letzten Überlebenden
ihres Volkes einschlagen sollen. Zerrissen von der Sehnsucht nach dem
verschollenen Geliebten und den Pflichten, die sie auf der fremden
Insel erwarten, erkennt Tiriki, dass es ihre Aufgabe ist, ein Heiligtum
für den alten Glauben an die Große Mutter zu
errichten. Während dieser magische Ort unter großen
Gefahren entsteht, erfüllen sich die Schicksale von Morgaines
Vorfahren ... (Diana)
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Shona
MacLean: "Der irische Fluch"
Ein mysteriöser Fluch liegt auf dem Clan der O'Neills ...
1628. Der junge Schotte Alexander Seaton bekommt eines Tages
unerwarteten Besuch: Es ist sein irischer Vetter Sean, der ihn um Hilfe
bittet. Der Clan der O'Neills ist
von
einem der alten irischen Poeten mit einem Fluch
belegt worden, der den Mitgliedern der Familie einen baldigen Tod
prophezeit. Schon scheint sich der Fluch zu erfüllen: auf eine
Hochzeitsfeier folgen mehrere Begräbnisse ...
In Irland
wird Alexander hineingezogen in die blutigen Auseinandersetzungen
zwischen den kolonisierenden Engländern und den
aufrührerischen Iren. Der Riss geht mitten durch seine Familie
- und seine eigene Seele. Doch noch etwas lässt ihm keine
Ruhe: Er findet heraus, dass jemand den Poeten für seinen
Fluch bezahlt hat. Wer? Und vor allem: warum?
Shona MacLean promovierte in Geschichte an der University of
Aberdeen. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in
Banff (Schottland). (dtv)
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