Zhuangzi: "Das höchste Glück"
Zhuangzi oder, wie
er anderswo gerne transskribiert wird, Dschuang Dse war neben Lao
Tse der wichtigste Vertreter aus der Anfangszeit des Taoismus. Man nimmt
an, dass er im 4. vorchristlichen Jahrhundert und somit gut 100 Jahr nach dem
Verfasser des "Tao Te King" gelebt hat (hier gibt es unter den Gelehrten allerdings
Meinungsverschiedenheiten). Unzweifelhaft ist, dass die beiden derselben Tradition
entstammen, im Übrigen aber, geht man nach ihren Büchern, recht andersgeartet
gewesen sein dürften. So könnte man das in einer äußerst
knappen, dunklen Sprache geschriebene "Tao Te King", zu dem Lao Tse der Sage nach
regelrecht gezwungen werden musste, gleichsam als Urgrund bezeichnen, während
die gesammelten Schriften Zhuangzis ("Das wahre Buch vom Südlichen
Blütenland", wie diese seit der Tang-Dynastie genannt werden) insofern
eine Art Ergänzung darstellen, als sie seine mannigfaltigen Manifestationen
aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und darüberhinaus von einer augenscheinlichen
Freude am Schöpferischen, an diversen Form- und Stilelementen und der
Lust
an der Auseinandersetzung mit ideologischen Gegnern geprägt sind.
Die vorliegende Sammlung ist ein Ausschnitt aus "Das wahre Buch vom Südlichen
Blütenland", der sich auf Texte zweifelfreier Echtheit beschränkt
(manches aus dem "Blütenland" könnte von Schülern stammen
oder im Lauf der schriftlichen Überlieferung verändert worden sein)
und ein möglichst geschlossenes Bild der Weltanschauung des Meisters vermitteln
möchte.
Gleichnisse sind meine Reden zumeist
und Worte, vor mir von anderen geprägt.
Der Becher, der täglich zum Tranke kreist,
doch den Abglanz des Ewigen in sich trägt.
meint Zhuangzi über
sein eigenes Schreiben. Das Ewige dient hier als eine von vielen weiteren Benennungen
(neben Geist, Gott, Wirken der Natur, Himmel, Meister ...) für den Schlüsselbegriff,
das Tao. Dieses lässt sich, wie schon
bei
Lao-Tse, zwar mit der Sprache allein nicht erfassen, dennoch sagt Zhuangzi
einiges darüber aus, beispielsweise dass es ein Wesen ist, das alle Dinge
begleitet, das alle Dinge empfängt, das alle Dinge zerstört, das alle
Dinge vollendet, oder dass nichts von der Substanz verlorengeht, lediglich ein
Wechsel der Zustände und
Seinsweisen
stattfindet. Besonders interessiert er sich für das Wirken des Tao im Menschengeschlecht.
Zahlreiche Geschichten kreisen darum, was einen gelassen in sich selbst ruhenden
Menschen ausmacht, wobei die Beispiele von den ungekünstelten Menschen
mythischer Vorzeit bis zu alltäglichen Köchen gehen, die wegen ihrer
genauen Kenntnisse von den feinen Zwischenräumen in den Gelenken des Schlachtviehs
seit Jahrzehnten dasselbe scharfe wie ungeschliffene Küchenmesser führen.
Zhuangzis scharfe
Kritik gilt denen, die glauben, dem natürlichen Wirken noch ein eigenes
menschliches hinzufügen zu müssen, als wäre die Welt erst in
Ordnung zu bringen. Es sei die Schuld der Heiligen, Moralisten und Konfuzianer,
dass sie durch das Errichten von Gesetzen und Formeln dem Wesen der Wirklichkeit
Gewalt antaten und so viele Menschen verwirrten, die fortan von äußerer
Pflichterfüllung, einem rein verstandesmäßigen Erfassen von
Begriffen oder dem Wahn, dem Glück müsse hinterhergejagt werden, besessen
waren. Um Liebe, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit etc. zu leben, sei es gut, sich
derlei nicht bewusst zu sein, eine Meinung, mit der Zhuangzi unter Mystikern
nicht alleine dasteht.
Ein Jenseits-von-Gut-und-Böse
in Sachen Moral und ein radikaler, nach eigenen Gesetzen lebender Individualismus
(seinen Zeitgenossen wird er oft ziemlich
exzentrisch
erschienen sein) haben ihm über die Jahrtausende in China wie anderswo
mehr Feinde als Freunde geschaffen. Am ausgeprägtesten mit der heutigen
Zeit schlagen sich sein unverhohlener Spott auf das Loblied des Nutzens und
das deklarierte Fehlen von Fortschrittsfreundlichkeit, wie es etwa in der Geschichte
des Alten vom Brunnen zum Ausdruck kommt, dem ein Jünger des
Konfuzius
den Rat gibt, es gäbe da so eine Erfindung namens Ziehbrunnen, mit der
er sich die mühselige eimerschleppende Bewässerungsarbeit sparen könne,
worauf er diesem erwidert, wohl kenne er diese Technik, wende sie aber nicht
an, um nicht mit der Zeit ein Maschinenherz zu bekommen. Wer würde ihm
auf solche Antwort hin heutzutage auch beschämt aus der Sonne gehen?
(fritz; 06/2005)
Zhuangzi: "Das höchste Glück"
Insel, 2005.
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