"Zen-Worte vom Wolkentor-Berg. Meister Yunmen"


Einmal soll statt einer erwarteten Rede Shakyamuni Buddha ohne ein Wort zu sagen eine kleine Blume in die Höhe gehalten haben. Die meisten der Versammelten hätten darauf - berichtet die Geschichte weiter - mit Unverständnis bis Befremden reagiert. Nur Ananda, Buddhas Lieblingsjünger, habe verstanden und gelächelt.

Dies kann als die Geburtsstunde des Zen angesehen werden. Tatsächlich ist aber aus den ersten 1000 Jahren einer auf dieses Ereignis zurückgehenden Tradition fast nichts überliefert. Um etwa 500 nach Christus war jedenfalls nicht nur Zen, sondern der Buddhismus überhaupt in seinem Entstehungsland so gut wie ausgestorben, und eben zu der Zeit machte sich ein indischer Mönch auf seine alten Tage in beschwerlichem Fußweg nach China auf, um den Samen dieses besonderen Zweiges am Baum des Buddhismus in neuem Boden fruchtbar werden zu lassen. Obwohl man wie schon gesagt nicht weiß, wie das indische Zen (Sanskrit: "Dhyana"; "Zen" ist die japanische Übersetzung) ausgesehen habe, stimmen Historiker darin überein, dass es in China bald um typisch hiesige Tugenden wie Nüchternheit, Praxisnähe und einen Hang zu Kürze und Prägnanz bereichert wurde. Eine grausame Buddhistenverfolgung Mitte des neunten Jahrhunderts trug wohl noch das Ihre dazu bei, das Holz hervorzubringen, aus dem die Meister geschnitzt sind, denn um diese Zeit tauchten in China solche in bis dahin nicht gekannter Häufigkeit auf, absolvierten sinnsuchend ihre Wanderjahre, scharten hernach Schüler um sich, gründeten Klöster und bewirkten die erste Hochblüte des Zen (chinesisch: "Chan"), welche nicht nur die Kultur Chinas nachhaltig beeinflusste, sondern später auch Japan, Korea und Vietnam erfasste. Und auch alle Zen-Schulen, die im 20. Jahrhundert in Europa, Amerika und sonstwo entstanden sind, gehen direkt auf die Meister der damaligen Zeit zurück.

Einem von diesen, dem Meister Yunmen (864-949), ist das vorliegende Buch gewidmet. Der Herausgeber, Urs App, hat dabei Texte aus verschiedenen Quellen zusammengetragen und übersetzt; zunächst mündlich überlieferte und erst später niedergeschriebene Worte des Meisters, Inschriften, die wenige Jahre nach seinem Tod in Stein gehauen wurden, aber auch heimliche (Yunmen als echter Zen-Meister war kein großer Freund schriftlich fixierter Weisheiten) Aufzeichnungen seiner Schüler bereits zu Lebzeiten. Die Texte zeigen Yunmen bei der Arbeit - wie er, sei es in Form von Kommentaren zu buddhistischen Schriften, in einem direkten Frage-Antwortspiel oder sonstwie seine Schüler dazu auf- und herausfordert, alle Kräfte zu bündeln um ihre alten begrenzten Sichtweisen zu sprengen und zu ihrer ursprünglichen Natur durchzubrechen. Dabei kommen neben den üblichen Zen-Stärken Spontanität und Vitalität auch die spezifischen Eigenheiten Yunmens voll zum Ausdruck: eine direkt aufs Wesentliche gerichtete schlichte, oft extrem derbe Sprache, schwarzer Humor und eine starke Begabung fürs Dramatische.
Urs App stellte den übersetzten Texten eine längere Einführung (teils zu Yunmens Person, teils zum Zen-Buddhismus allgemein) voran. Darin schreibt er unter anderem über Yunmen:
"Yunmen kannte viele Wege, seine Zuhörerschaft auf sich selbst zurückzuwerfen und ihnen alle Mittel, Wege und Auswege abzuschneiden. Er stellte mehr Fragen und Gegenfragen als alle Zen-Meister vor ihm und die meisten nach ihm. Er stellte und stellt seine Zuhörer und Leser in Frage: 'Wie steht es mit dir, gerade mit dir, und wo bist du mit deiner ureigenen Aufgabe, in der dich niemand vertreten kann?'"

(stro; 09/2001)


"Zen-Worte vom Wolkentor-Berg. Meister Yunmen"
Aus dem Chinesischen übersetzt und herausgegeben von Urs App.
O.W.Barth Verlag, 1994. 264 Seiten.
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