Jan Assmann: "Die Zauberflöte"
Oper und Mysterium
Musik und Mystik
Der 1938 geborene Autor Jan
Assmann ist Professor für Ägyptologie an der Universität Heidelberg und Autor
zahlreicher Bücher. Er erhielt 1998 den Deutschen Historikerpreis für das
Gesamtwerk [...] mit einer Reihe durch Originalität, Horizontweite, Methodik
und Darstellungsgabe herausragender Einzelstudien.
Peter von Matt, Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Zürich,
wird in der Einleitung mit den Worten zitiert: "Die Zauberflöte ist neben
Shakespeares
Trauerspiel Hamlet und
Leonardos
Bildnis der Mona Lisa das dritte große Rätselwerk unserer Kultur." Ist das dieselbe
Zauberflöte, die auch Grundlage einer Kinderoper ist?
Die Oper dreht
sich um Gut und Böse, Liebe und Musik. Doch das gilt wohl für die meisten
Opern. In der Zauberflöte jedoch durchlebt der Zuschauer eine Handlung, bei der
sich irgendwann die Vorzeichen zu ändern scheinen: Aus den Guten werden die Bösen
und aus den Bösen die Guten. Das ursprüngliche Zaubermärchen mit der Königin
der Nacht als Guter Fee und Sarastro als Dämon wird dann abrupt zu einem
freimaurerischen Mysterienspiel. Das verführte sogar Generationen von
Kulturinterpreten zu der Annahme, es gäbe in der Zauberflöte einen
Handlungsbruch, Autor und Komponist hätten mitten in der Entstehung des Werkes
die Handlungskonzeption geändert und so ein gebrochenes Werk hinterlassen. Das
ist ebenso falsch wie verbreitet. Hier bekommt
George Steiners Bonmot wieder zu
Ehren, demzufolge manches Werk den Rezensenten rezensiere und nicht umgekehrt.
Die Zauberflöte
wurde am 30. September 1791 im Theater im Freihaus
auf der Wieden in Wien uraufgeführt. Das Gebäude, auf dessen Grund heute
Teile der technischen Universität Wien angesiedelt sind, existiert schon lange
nicht mehr. Es ist Geschichte geworden, ebenso wie die beiden
Hauptverantwortlichen
Wolfgang Amadeus Mozart und Emanuel Schikaneder. Letzterer
war ein unglaublich talentierter und vielseitiger Theatermann, der als Autor
wirkte und als Sänger, Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor seine
Erfolge produzierte. Aber die Aufführung an diesen 30. September kann man als
eine der Sternstunden der europäischen Kulturgeschichte bezeichnen, obwohl ein
Werk zur Aufführung kam, das außer von seinen beiden Vätern wohl von
niemandem in seiner Vielschichtigkeit wirklich verstanden wurde - bis heute
nicht.
Man darf nicht vergessen, dass es zur Zeit der Entstehung der Zauberflöte eine
Zensur gab, der ein Tribut zu zollen war. Mozart und Schikaneder selbst waren
Freimaurer, Mozart gar im Meistergrad. Die Entstehungszeit war eine kurze Epoche
der Blüte der Wiener Freimaurerlogen, die jedoch nach 1791 schnell wieder an
Bedeutung verloren. Und so ist das ganze Werk durchzogen von Anspielungen auf
Riten und Sitten der "Freymaurerey". Es beginnt mit den drei einleitenden Akkorden
der Ouvertüre, die an die drei Hammerschläge für die Freimaurergrade Lehrling,
Geselle und Meister erinnern und leitmotivisch die
Oper durchziehen. Es ist die Prüfung, die Tamino bestehen muss, und die
große Anleihen bei den Initiationsriten der
Freimaurer macht. Der Dienst an
den Göttern Isis und Osiris bringt
das ägyptische Element in die Oper, ohne sie zu einer ägyptischen Oper zu machen.
Das Schweigegebot des Tamino erinnert an die Orpheussage, mit dem Unterschied,
dass Orpheus versagte, wo Tamino bestand.
Aus dem
facettenreichen freimaurerischen Gedankengut wurde das Prinzip der doppelten
Religion (religio duplex) herausgearbeitet. Religion wird als
Herrschaftsinstrument missbraucht und dient auch der Steuerung der Massen. Aber
erst die intellektuelle Führungsschicht kennt die wahre Religion. In diesem
Licht wird die Königin der Nacht als Vertreterin des volksreligiösen
Aberglaubens interpretiert, wohingegen Sarastro (Zaroaster, Zaratustra) für die
aufgeklärte Religion steht. Die ägyptische Isis, die auch bei den Griechen eine
große Rolle spielte, steht als Göttin für allumfassendes Wissen: "Ich
bin alles, was war, was ist und was sein wird. Kein Sterblicher hat jemals
meinen Schleier gelüftet."
Nur Schiller
konnte es nicht lassen und dichtete "Das verschleierte Bild zu Sais".
Dort ist die Rede von einem Bildnis einer verschleierten Isis, das im ägyptischen
Sais in einem Tempel stand. Hinter dem Schleier, so hieß es, könne man die
Wahrheit schauen. Doch es sei verboten, den Schleier zu lüften - die Isis
selbst werde es irgendwann selbst tun. Doch ein junger Reisender konnte der
Versuchung nicht widerstehen und drang im Auftrag Schillers nachts in den Tempel
ein, um die Isis zu entschleiern:
Nun,
fragt ihr, und was zeigte sich ihm hier?
Ich weiß es nicht. Besinnungslos und bleich,
So fanden ihn am andern Tag die Priester
Am Fußgestell der Isis ausgestreckt.
Was er allda gesehen und erfahren,
Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig
War seines Lebens Heiterkeit dahin,
Ihn riss ein tiefer Gram zum frühen Grabe.
"Weh dem", dies war sein warnungsvolles Wort,
Wenn ungestüme Frager in ihn drangen,
"Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld,
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein."
Was kann einen
untrainierten Menschen mehr erschrecken als der Tod ohne Hoffnung - außer
vielleicht Hammel in Pfefferminzsauce?
Fazit
Als ein "Eklektizismus im Vollbesitz theatralischer Kräfte, nicht aus Schwäche"
wurde dieses
Kompositum aus verschiedensten szenischen Zutaten gebildet, der märchenhaften
Königin der Nacht, dem ägyptischen Hohepriester Sarastro, einem burlesken Papageno,
etwas Orpheus-Sage, einem freimaurischen
Initiationsritus, kunstvoll miteinander verwoben durch eine zauberhafte Musik.
Und wenn die Musik durch bedeutungsschwangere Figuren gelegentlich das Gegenteil
des Librettos ausdrückt, so sind auch hier Botschaften aufmoduliert, die die
Zauberflöte selbst zu einem Mysterion werden lassen, das noch Generation erfreuen
und beschäftigen wird.
Dieses Buch ermöglicht einen neuen und intensiven Blick auf das Werk und stellt in dieser konzisen Form eine Bereicherung
des Buchmarktes dar. Für Freunde Mozarts und der Zauberflöte ist es eine ausgezeichnete Investition.
(Klaus Prinz; 08/2005)
Jan
Assmann: "Die Zauberflöte"
Mit 35 Abbildungen und Notenbeispielen.
Hanser, 2005. 384 Seiten.
ISBN 3-446-20673-6.
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Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur"
Moses: der Stifter des jüdisch-christlichen
Gottesglaubens, der Herold altägyptischer Weisheit, der revolutionäre Gesetzesgeber.
Jan Assmann, Ägyptologe und Religionsgeschichtler, erzählt die Geschichte der
Moses-Deutungen, die immer auch Selbstdeutungen der jeweiligen Epoche waren
eine Physiognomie des Abendlandes.
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"Die Mosaische Unterscheidung oder der
Preis des Monotheismus"
Ob Christentum, Judentum oder Islam - alle monotheistischen Weltreligionen sind
Kinder einer Revolution: die Ablösung der vielen Götter durch den alleinigen
Gott. Diese Umwälzung brachte für unsere Vorstellung von der Welt, für unser
Menschenbild und für unsere Ethik fundamentale Veränderungen mit sich. Dass
der Kultur- und Religionstheoretiker Jan Assmann sie zugleich als Quelle von
Intoleranz, Gewalt, Hass und Ausgrenzung sieht, macht seinen Essay zu einer
explosiven Provokation.
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Noch ein Buchtipp:
Ivan Nagel: "Autonomie und Gnade. Über Mozarts Opern. Essay"
Ivan Nagels Typologie der Opern Mozarts: Ein Vergleich zwischen Musik und Text
von Opera seria, Singspiel und Opera buffa und die Frage, ob die Gnadenoper, die
Opera seria, noch möglich ist, wenn die Welt nicht mehr an die gottgewollte
Herrschaft der Herrscher glaubt - eine Analyse des zu Ende
gehenden 18. Jahrhunderts. (Hanser)
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Leseprobe (aus dem Vorwort):
Die Zauberflöte ist nicht nur
die meistgespielte, sondern auch die meistbehandelte Oper zumindest der
deutschsprachigen Welt. Hierüber als Außenseiter noch etwas Neues sagen zu
wollen grenzt an Vermessenheit. Wie kommt ein Ägyptologe dazu, ein Buch über
die Zauberflöte zu schreiben? Und was könnte er zu ihrem Verständnis
beizutragen haben? Dazu ist zweierlei zu sagen. Erstens bin ich nicht der erste
Ägyptologe, der sich an diesen Stoff wagt: Siegfried Morenz hat schon 1952 eine
Studie über die Zauberflöte vorgelegt. Die Oper gehört in das Gebiet der
"Ägypten-Rezeption", der Gedächtnisgeschichte Ägyptens in der europäischen
Kultur, die, wenn auch am Rande, zu den Forschungsgebieten der Ägyptologie gehört.
Die Ägyptologie ist ja selbst ein Teil dieser Gedächtnisgeschichte und fühlt
sich, genau wie andere Disziplinen auch, immer wieder herausgefordert, sich mit
ihren Wurzeln zu beschäftigen. Allerdings, und das ist der zweite Punkt, wird
Ägyptologisches in diesem Buch kaum eine Rolle spielen, weil der Schauplatz
dieser Oper, im Gegensatz etwa zu Verdis Aida, in meinen Augen gar nicht das
alte Ägypten, sondern ein utopisches Reich ist, in dem die Mysterien der Isis
begangen werden. Diese Mysterien waren es, deren Gedächtnisgeschichte ich auf
den Grund gehen wollte. Zugleich interessierte mich die besondere Beziehung
zwischen Ritual und Oper, die diese Oper auszeichnet: das Ritual als ästhetische
Form, die Oper als sakraler Vollzug.
Was ich nun zum Verständnis der Zauberflöte glaube beitragen zu können, ergibt
sich aus der Beschäftigung mit einem eher abgelegenen Nebenschauplatz, der in
der Forschung bisher unbeachtet geblieben war: der "Mysteriologie" des 18. Jahrhunderts.
Auf dieses Gebiet war ich im Zusammenhang mit meiner Arbeit an dem Buch "Moses
der Ägypter" gestoßen. Einer der wichtigsten Texte für die These einer ägyptischen
Herkunft des biblischen Monotheismus, die Schrift des Philosophen Carl Leonhard
Reinhold über "Die Hebräischen Mysterien oder die älteste religiöse Freymaurerey",
war zunächst für die Wiener Loge Zur Wahren Eintracht verfasst worden als Beitrag
zu deren systematisch betriebenem Projekt einer Erforschung der antiken Mysterien.
Das vorliegende Buch entstand aus dem Wunsch, die Mysterienforschungen der Wiener
Freimaurer im größeren Kontext der europäischen Beschäftigung mit antiken Mysterien
aufzuarbeiten und auch die Zauberflöte im Licht dieser Forschungen zu analysieren.
In ihr geht es um die Mysterien der Isis, und ich wollte wissen, was man sich
im späten 18. Jahrhundert unter den Mysterien der Isis vorstellte. Heute spielt
man die Musik ja gern auf historischen Instrumenten; so dachte ich, es wäre
interessant, Text und Partitur einmal gewissermaßen "mit historischen Augen",
durch die Brille des damaligen Wissens von Ägypten und seinen Mysterien zu betrachten.
Es handelt sich also um das Experiment einer "werkgetreuen Rezeption". Das ist
natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, und zwar aus vielen Gründen. Man kann
ein Stück werkgerecht aufführen, indem man sich mit den bekannten Methoden bemüht,
so nah wie möglich an die rekonstruierbare Aufführungspraxis der Zeit heranzukommen,
aber man kann es nicht werkgerecht rezipieren. Das eine ist ein äußerer, weitgehend
kontrollierbarer, das andere ein innerer, unkontrollierbarer Vorgang. Außerdem
kommt man an die damaligen Rezipienten der Oper nicht mehr heran, die man vielleicht
befragen könnte. Sie sind uns nur noch in der Form des "impliziten Zuschauers"
zugänglich. Der ist zwar in vielen Fällen wie etwa der gleichzeitig mit der
Zauberflöte entstandenen höfischen Oper La Clemenza di Tito in Gestalt des kaiserlichen
Paars und der hohen Aristokratie sehr evident, aber gerade bei der Zauberflöte
ein vollkommenes Rätsel. Was für ein Publikum schwebte Mozart, was für eines
Schikaneder vor, als sie die Oper schufen? Ist es eine Oper fürs Volk in der
Tradition des Wiener Volkstheaters? Ist es eine Oper für Eingeweihte? Haben
wir uns unter dem impliziten Zuschauer einen
Illuminaten,
einen Rosenkreuzer, einen Alchemisten vorzustellen, der hinter die Fassade des
bunten Geschehens zu blicken und genussvoll die Anspielungen und rätselhaften
"Hieroglyphen"
zu entschlüsseln vermag?
Otto Rommel, der beste Kenner der Altwiener Theatertraditionen, bescheinigt
Schikaneder, dass es ihm als erstem gelungen sei, die Wiener Volkskomödie aus
ihrem engen Lokalbezug und ihrer "Aktualitätshascherei" in "die
Zone künstlerischer Gestaltung emporzuheben", dadurch dass er nicht einen
einzelnen Stand, "sondern, um mit
Goethe zu sprechen, die 'große sinnliche
Masse des Volkes'" im Blick hatte.
Ingmar Bergman hat in seinem Film
Trollflöjten (1974) die Frage nach dem impliziten Zuschauer wunderbar
veranschaulicht: Während der Ouvertüre greift die Kamera Gesichter aus dem
Publikum heraus, in denen sich jeweils andere Formen von Rezeption spiegeln:
alte und junge, europäische und exotische, gebildete und schlichte,
hingerissene und gleichgültige - alle, das ist wohl Bergmans Botschaft, sind
von diesem Menschheitswerk gemeint und in ihm angelegt; aber dann sieht sich die
Kamera doch am Gesicht eines vielleicht zwölfjährigen Mädchens fest: von den
vielen Rezeptionsformen die authentischste? Papageno der eigentliche Held?
Zu dieser Frage gibt es ein unschätzbares Zeugnis von Mozarts Hand. In der
Nacht vom 6. zum 7. Oktober 1791 schreibt er nach dem Besuch der Vorstellung an
Constanze über einen Bekannten, dessen Namen Constanze aus Vorsicht getilgt hat
und der offenbar in keinster Weise Mozarts Vorstellung seines impliziten
Zuschauers entsprach:
aber Er, der Allwissende, zeigte so sehr den Bayern, daß ich nicht bleiben
konnte, oder ich hätte ihn einen Esel heißen müssen; - Unglückseligerweise
war ich eben drinnen als der 2:te Ackt anfieng, folglich mit der feyerlichen
Scene. - er belachte alles: anfangs hatte ich gedult genug ihn auf einige Reden
aufmerksam machen zu wollen; allein - er belachte alles: da wards mir nun zu
viel - ich hiess ihn Papageno und gieng fort - ich glaube aber nicht daß es der
dalk verstanden hat.
Diese Zeilen wollen wir uns zu Herzen nehmen. Mozart wäre nicht einverstanden
mit der heutigen Praxis, die Einfalt und Unlogik des Textbuchs zu belächeln und
die Bedeutung des Werks nur seiner unsterblichen Musik zuzuschreiben; er würde
uns gerade auch auf die "Reden" aufmerksam machen und darauf bestehen,
dass es sich hier um ein untrennbares Ganzes aus Text und Musik, Hohem und
Niedrigem, Lustigem und Schmerzvollem, Spektakel und Geheimnis handelt. Worauf
es offenbar ankommt, ist, allem mit gleicher, möglichst unvoreingenommener
"Aufmerksamkeit" zu folgen und vor allem auf die Stellen zu achten, an
denen Mozart durch besondere musikalische Ereignisse unsere rezeptive
Aufmerksamkeit auf das Bühnengeschehen lenkt.