Zinovij Stoljar: "A yiddishe Doyne"

Jüdische Volksmusik in Osteuropa
Lieder und Melodien


Einen großen und reichhaltigen Schatz stellt die jüdische Volksmusik dar, welche sich, entsprechend den Extremerfahrungen dieses Volkes, den zahlreichen Ortswechseln und dem ständigen Kampf ums Überleben, in großer emotionaler Intensität und einer interessanten Spannung zwischen dem Bewahren uralter Tradition (die sakrale Musik etwa blieb jahrtausendelang so gut wie unverändert) und dem sich Öffnen für die Einflüsse des jeweiligen Landes, in dem die jüdischen Musiker lebten, entwickelte. Der stärkste fremde Einfluss - laut dem Autor - der auf die jüdische Volksmusik in Osteuropa einwirkte, war die moldawische Folklore. Da gleichzeitig aber einer der am wenigsten erforschten Aspekte, machte es sich der Autor zur Aufgabe, speziell diese Lücke zu schließen. Jahrelange mühsame Forschungstätigkeit war dafür nötig, denn die meisten Lieder wurden nicht notiert, nur mündlich überliefert, außerdem sind die jüdischen Gemeinden in Moldawien und Umgebung nicht gerade im Wachsen begriffen.

Das Ergebnis dieser Mühen ist nun dieses Buch hier, welches zahlreiche Lieder aus Moldawien nebst Kommentaren zu Herkunft und Charakteristik jedes einzelnen versammelt. Den Liedern wird ein längerer Einführungsteil vorangeschickt, in dem der Ursprung der jüdischen Musik, geschichtliche Bezüge und für die jüdische beziehungsweise moldawische Volksmusik typische Genres, Tonleiter und melodische Wendungen geboten werden. Da der Autor bei diesem theoretischen Teil beim Gebrauch von Fachtermini großen Wert auf Genauigkeit legt, erfährt man manch Interessantes so nebenbei. Obwohl die Grenzen zwischen Klezmer-Musik und dem Volkslied fließend sind, da je nach Bedarf Lieder auch rein instrumental gespielt beziehungsweise zu bereits bestehender Klezmer-Musik nachträglich öfters Texte dazugeschrieben wurden, widmet sich das Buch ausschließlich dem Volkslied. Dies ist ein Grund, warum sich das Buch durchaus auch für Nichtmusiker eignet; die Texte sind nämlich durchwegs auf jiddisch, und ist das an sich schon ein großer Sprachgenuss (der deutschsprachige Leser kann zwei Fünftel gleich verstehen und sich weitere zwei zusammenreimen), fällt durch die verwandte Sprache gleichzeitig auch der Zugang zum Inhalt, Alltag, Freud und Leid in der alten, beinahe untergegangenen Welt des jüdischen Shtetl, leichter.
Umso schöner freilich, sollte man ein Instrument beherrschen, denn da auch die Notation zu den Texten mitgegeben wurde - auffällig eine klare Vorliebe für Molltonarten -, braucht man sich nur ans Klavier zu setzen oder die Ziehharmonika zu schultern und kann sich alsogleich in medias res, in Sinn und Sinnlichkeit dieses großen Volkes versetzen.

(stro; 04/2001)


Zinovij Stoljar: "A yiddishe Doyne.
Jüdische Volksmusik in Osteuropa. Lieder und Melodien"

Mandelbaum Verlag, 2000. 143 Seiten.
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