Wolf Schneider: "Wörter waschen"

26 gute Gründe, politischen Begriffen zu misstrauen


Was modische und politisch instrumentalisierte Wörter wirklich bedeuten - und ob sie überhaupt eine Bedeutung besitzen

"Naturschutz" ist ein Begriff, der zu Recht aus der Mode gekommen ist: Die Natur hat nun einmal nicht nur Sibirische Tiger und niedliche Panda-Bären hervorgebracht, sondern ebenso das Virus HIV, die Bettwanze und Streptokokken & Co. Das Nachfolgewort, "Umweltschutz", ist jedoch genau so vage formuliert, denn zur natürlichen Umwelt des Menschen gehören von jeher auch die erwähnten Untermieter des Menschen. Programme zu ihrem Schutz gibt es allerdings nicht.
Dies ist nur ein Beispiel von vielen in der Politik gern und reichlich eingesetzten Begriffen, die Wolf Schneider unter die Lupe nimmt. Kratzt man die Patina aus Ideologie, Manipulation und verquastem Gebrauch ab, so kommt nicht selten ein hohles Gerippe zum Vorschein, das man getrost dem Papierkorb übergeben darf ("Multikulti" und "Pazifismus" erhielten ohnehin im Zuge der sich häufenden Terrorakte den Todesstoß), oder das Wort erhält mit seiner ursprünglichen eine ganz ungewohnte Bedeutung: "Mut" hieß früher "Laune, Stimmung, Gemütsverfassung", weshalb wir auch heute noch etwas angestaubt frohen Mutes sind, Unmut empfinden oder übermütig werden. Heute aber steht "Mut" für die Angst vor Blamage, vor dem Anderssein, und für das Überwinden einer geringeren, oft physisch bedingten Angst (eine waghalsige Kletterpartie, um den Freunden zu imponieren) im Gefolge dieser sozialen Angst.
Mit dem Scharfsinn und dem Humor des Satirikers räumt der erfahrene Journalist Wolf Schneider auf in der staubigen Vitrine mit den Schlagwörtern und Schlachtrufen unserer Gesellschaft: Die viel beschworene Gleichheit kann es schon aus biologischen Gründen niemals geben, der rein negativ besetzte Neid bewirkt auf Dauer mehr Gerechtigkeit, Lügen und Vorurteile sind uralte, lebenswichtige menschliche "Reflexe". Und was versteht "man" eigentlich unter "Gesundheit"?
Überraschende Erkenntnisse und Einsichten tun sich da auf, Manipulationsmöglichkeiten und Kanalisierung des Denkens mittels der Sprache, denen wir ständig auf den Leim gehen. Neu ist das nicht. Am Ende des Buchs findet sich eine Sammlung von Zitaten berühmter kritischer Philosophen und Schriftsteller ab dem 17. Jahrhundert, die sich mit dem Zwiespalt zwischen Verstand und Sprache befassen. Und im Anschluss an die Artikel über die zu waschenden Wörter erklärt Wolf Schneider, wie Begriffsprägung vor allem im abstrakten Bereich funktioniert und mit welchen Tricks Begriffe und Wörter vor allem von Politikern "besetzt" werden; dafür nennt er etliche, zum Teil beim näheren Hinsehen groteske Beispiele.

Ein Buch also, das nicht nur alles andere als politisch korrekt ist, sondern vor allem die Konfrontation mit der Praxis von Politik und Medien sucht, Worthülsen in der Bevölkerung wie Erkältungsviren zu verteilen. Logisch (und natürlich sprachlich) korrekt verhält sich Schneider hingegen jederzeit. Und er weiß fesselnd und originell zu schreiben, sodass sein Buch trotz der auf den ersten Blick vielleicht trocken wirkenden Thematik auf ein breites Publikum zugeschnitten ist.
Nach der Lektüre kann man gar nicht anders, als die Ergüsse von Printmedien und Fernsehen neugierig, amüsiert und kritisch unter die Lupe zu nehmen. Und so lange dies nicht dazu führt, dass der Umweltschutz sich auf Stechmücken, Typhuserreger und Zecken ausweitet, hat das Buch damit seinen Zweck erfüllt.

(Regina Károlyi; 01/2006)


Wolf Schneider: "Wörter waschen"
rororo Rowohlt, 2006. 157 Seiten.
ISBN 3-499-62106-1.

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Wolf Schneider, Jahrgang 1925, ist seit 1948 Journalist und seit 1980 "GEO"-Reporter. Er hat 23 Sachbücher publiziert, darunter die Erfolgstitel "Überall ist Babylon" und "Deutsch für Profis". Schneider war Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Washington, Verlagsleiter des "Stern", Chefredakteur der "Welt", Moderator der "NDR-Talkshow" und von 1978 bis 1995 Leiter der renommierten Hamburger Journalistenschule. Seitdem lebt er auf Mallorca als "GEO"-Reporter, Buchautor und Veranstalter von Sprachseminaren für Presse und Wirtschaft. 1994 erhielt er den Medienpreis für Sprachkultur.

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Noch ein Buchtipp:

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