Robert Wilson: "Die Toten von Santa Clara"


Robert Wilson ist auf der Bühne der Krimiautoren in Europa ein ganz außergewöhnlicher Akteur. Wobei er mit seinen Themen, seinen Figuren und seiner Sprache eher weniger auf die gerade sprechende Figur unter dem Scheinwerfer achtet, sondern viel Wert legt auf die Schilderung und Ausmalung der Kulisse, des (auch gesellschaftlichen und politischen) Hintergrundes und den nicht sofort offensichtlichen Beziehungen zwischen seinen handelnden Personen viel Aufmerksamkeit schenkt.

Schon mit seinem Debüt "Tod in Lissabon" brachte er die Kritiker in vielen Ländern sofort auf seine Seite. Als er kurze Zeit später mit "Der Blinde von Sevilla" seinen ersten Kriminalroman mit seinem sympathischen Inspector Jefe Javier Falcón präsentierte, war kein Halten mehr. Die Lobeshymnen überschlugen sich. Im ganzen deutschsprachigen Raum, so hieß es oft, gebe es keinen Krimiautor, der so schreiben könne wie Robert Wilson. Vielleicht tut man mit solch ausschließenden Urteilen manchem guten und engagierten Autor hierzulande Unrecht, aber mit seinem neuen Buch "Die Toten von Santa Clara", dem zweiten Krimi um Inspector Jefe Javier Falcón aus Sevilla, legt Robert Wilson ein weiteres äußerst beeindruckendes Beispiel seines außergewöhnlichen Schreibens vor.

Ich habe tatsächlich selten eine solche Mischung gelesen von einem hochintelligenten, politisch sehr bewussten und kritischen und dabei so menschlich geschilderten Kommissar und einem politisch hochbrisanten und auch ambitionierten Stoff.
Inspector Jefe Falcón geht nach einer schweren persönlichen und beruflichen Krise (vgl. "Der Blinde von Sevilla") jede Woche zu einer Psychoanalytikerin, und er verschweigt diese professionelle Hilfe nicht in seinem beruflichen und persönlichen Umfeld. Ja, seine blinde Analytikerin wird von ihm in den neuen Fall eingespannt, und sie hilft auf eine zutiefst menschliche und anrührende Weise einem durch jahrelangen sexuellen Missbrauch zerstörten jungen Mann wieder ans Licht.

Und Wilson führt den Leser auf die Fährte des 11. September. Nicht nur jenen Tag, als 2001 in New York die Twin Towers des World Trade Centers angegriffen und zerstört wurden, sondern auch der Tag 28 Jahre vorher, als am 11.9.1973 unter der heimlichen Führung der USA und Henry Kissingers die demokratisch gewählte Linksregierung Chiles unter Salvador Allende weggeputscht und durch das mörderische Foltersystem von Augusto Pinochet ersetzt wurde.

Robert Wilson scheut sich selbst nicht im Rahmen seiner abenteuerlich spannenden und literarisch anspruchsvoll aufgebauten Handlung eine durchaus plausible Erklärung für den bis heute ungeklärten Mord an Olof Palme 1976 zu bieten.

Um den Inhalt dieser außergewöhnlichen Buches nicht zu verraten, sei hier nur klappentextmäßig der Einstieg skizziert:
Während eines mörderischen Sommers wird Inspector Jefe Javier Falcón in eine der vollklimatisierten Villen des Nobelvorortes Santa Clara gerufen. Der Bauunternehmer Rafael Vega und seine Frau liegen tot im Haus. Vega war einflussreich in Sevilla, deshalb will der leitende Staatsanwalt Calderon die Sache schnell zu den Akten legen.
Falcón traut der Sache nicht, besonders deshalb, weil eine seltsame handschriftliche Notiz in Vegas verschlossener Faust gefunden wurde, in der rätselhaft vom 11. September die Rede ist. Die Tatsache, dass Calderon mit Falcóns ehemaliger Frau ein Verhältnis hat und sie heiraten will, stachelt auch dessen private Konkurrenz zu Calderon noch zusätzlich an.

Und er kommt, wie gesagt, einem gewaltigen Verbrechen auf die Spur mit blutigen Wurzeln und ebenso mörderischen aktuellen Ausblühungen.

Ein Buch, das man bis zur letzten Seite nicht aus der Hand legt, das einen die Nacht zum Tag machen lässt. Ein absolut außergewöhnlicher Stern am Krimihimmel.

(Winfried Stanzick; 05/2006)


Robert Wilson: "Die Toten von Santa Clara"
(Originaltitel "The Vanished Hands")
Aus dem Englischen von Kristian Lutze.
Page & Turner Verlag, 2006. 512 Seiten.
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Robert Wilson wurde 1957 geboren. Nach seinem Studium an der Universität von Oxford arbeitete er unter anderem in der Schifffahrt und in der Werbung. Er bereiste Asien und Afrika und lebte zeitweise in Griechenland und Westafrika. Zusammen mit seiner Frau lebt er abwechselnd in England, Spanien und Portugal.

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Tod in Lissabon"

In Lissabon wird ein junges Mädchen ermordet. Was für Inspektor Zé Coelho anfänglich wie ein Sexualdelikt aussieht, erweist sich schon bald als komplexer Fall, dessen Spuren weit in die Vergangenheit zurückreichen - bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs.
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"Der Blinde von Sevilla"
Während man in Sevilla die Semana Santa feiert, ist Inspektor Javier Falcón mit einem äußerst grausamen Mordfall beschäftigt. Ein Restaurantbesitzer wird tot aufgefunden - an einen Stuhl gefesselt und gestorben an den Verletzungen, die er sich zufügte, als sein Mörder ihn zwang, ein Video anzuschauen. Was so unvorstellbar Schreckliches hat das Opfer gesehen? Bei den Nachforschungen entdeckt Falcón nicht nur, dass sein verstorbener Vater in den Fall verwickelt ist, sondern dass er selbst bald das nächste Mordopfer werden könnte. Kann ihm da noch der Blinde helfen, der ihm mit angeblich prophetischer Gabe zur Seite steht ...?
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"Das verdeckte Gesicht"
Lissabon im Juli 1944: Die Mathematikerin Andrea Aspinall, englische Spionin, lernt den deutschen Militärattaché Karl Voss kennen, und beide verlieben sich leidenschaftlich ineinander. Doch der Krieg reißt sie auseinander. Erst im Ost-Berlin des Kalten Krieges begegnen sie einander wieder - immer noch Schachfiguren im Spiel skrupelloser Mächte ...
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