"Shakespeares Königsdramen"

Nacherzählt von Urs Widmer


"Wer sich unrealistische Ziele setzt ...

... muss scheitern", das sagt schon eine alte Weisheit im Management. So ähnlich ergeht es Urs Widmer mit dem Versuch, die eierlegende Wollmilchsau zu schaffen. Widmer will einen sehr schönen aber schweren Stoff auf wenigen Seiten in eine moderne Form bringen, die noch dazu ein Sprachkunstwerk als Ganzes darstellt. Damit ist er teilweise gescheitert, wenngleich man ihm zugute halten muss, dass er wirklich einige Ziele erreicht hat.

Positiv sticht heraus, dass die Sprache sehr vielfältig und wortgewaltig ist. Stilistisch zeigt Widmer enorme Vielfalt und fasst jedes der Dramen (Richard II, Heinrich IV [alle zwei Teile], Heinrich V, Heinrich VI [alle drei Teile], Richard III, Heinrich VIII und Johann) in einem anderen Stil ab. Hierbei versucht er auch noch stilistische Avantgarde aufkommen zu lassen und erzählt z.B. den dritten Teil von Heinrich VI in nur einem einzigen viele Seiten umspannenden Satz. Allerdings ist auch genau darin eine große Schwachstelle zu sehen, Urs Widmer lässt sich für jedes Drama gerade mal durchschnittlich 15 Seiten Platz. Jedes dieser Dramen könnte - in Prosa abgefasst - gut und gerne 200 und mehr Seiten füllen und wäre dennoch nicht übertrieben lang (es müssen ja nicht gerade mehr als 1300 Seiten sein, wie z.B. bei Margaret Georges Roman über das Leben Heinrichs VIII.); nun soll dies ja kein Plädoyer für ewig lange Romane sein, aber diese geringe Anzahl von Seiten ist ganz einfach eine zu große Herausforderung. Die Personenbeschreibungen und Handlungen müssen zwangsläufig zu kurz kommen, schließlich finden wir uns eher in einer Inhaltsangabe denn in einer prosaischen Fassung der Shakespeareschen Königsdramen.

Insgesamt haben wir also eine - literarisch durchaus beachtliche - Inhaltsangabe der jeweiligen Stücke vor uns. Will man also genau das so, ist man hier richtig aufgehoben, aber man bedenke - Inhaltsangaben findet man auch z.B. in Kindlers Literaturlexikon, zugegebenermaßen in literarisch weniger kunstvoller Form; wie bedeutend das nun für Sie als potenzieller Leser ist, müssen Sie selbst beurteilen.

(Reinhold Stansich; 11/2004)


"Shakespeares Königsdramen"
Nacherzählt und mit einem Vorwort von Urs Widmer. Mit Zeichnungen von Paul Flora.
Diogenes, 2004. 168 Seiten.
ISBN 3-257-06462-4.
ca. EUR 16,40.
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Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
 
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