Jens-Fietje Dwars: "Und dennoch Hoffnung. Peter Weiss"
Eine Biografie
Ein
Unzugehöriger
Peter Weiss - das ist doch der Autor, mit dem man sich schon
längst wieder einmal intensiver beschäftigen
hätte müssen - da schwingt ein entschuldigendes
Bedauern mit - ähnlich wie es uns ergeht, wenn wir unsere
Abstinenz bzw. Ignoranz gegenüber
Walter Benjamin
erklären sollen. Endlich gibt es eine Weiss-Biografie, welche
uns "Die Wiederentdeckung des wichtigsten Autors der deutschen
Nachkriegsliteratur" (Klappentext) ermöglicht. Peter Weiss ist
überdies ein echter MultiKulti-Mensch: Sohn eines zum
Christentum übergetretenen Juden und einer Schweizerin,
geboren bei Berlin, dann emigriert nach Prag, in die Schweiz und
schließlich nach Stockholm, wo er die schwedische
Staatsbürgerschaft erwirbt und bis zu seinem Tode bleibt. Er
ist Maler, Filmemacher, Erzähler und Dramatiker - seine (teils
autobiografischen) Mikroromane ('Im Schatten des Körpers des
Kutschers', 1960 - 'Abschied von den Eltern', 1961 - 'Fluchtpunkt',
1962 - 'Das Gespräch der drei Gehenden', 1963) erregen
Aufmerksamkeit als avantgardistische Prosa. Seine wichtigsten
Theaterstücke ('Marat/Sade', 1964 - 'Die Ermittlung', 1965)
zeigen ihn als konsequenten politischen Autor.
Als Mitglied der schwedischen KP erklärt Weiss auf einem
Schriftstellerkongress in Weimar: "Zwischen den beiden
Wahlmöglichkeiten, die mir bleiben, sehe ich nur in der
sozialistischen Gesellschaftsordnung die Möglichkeit der
Beseitigung der bestehenden Missverhältnisse in der Welt." Wie
kein anderer deutscher Autor hat sich Weiss mit seinen Stücken
(z.B. auch 'Viet Nam Diskurs', 1968) in wichtige frühere bzw.
für ihn zeitgenössische politische Problemfelder
eingemischt. Seine Teilnahme am Russell-Tribunal gegen den
Vietnam-Krieg in Stockholm (1967) oder am Schriftstellerkongress in
Moskau bzw. Wolgograd (1974) zeigen sein öffentliches
Engagement. Mit seinem Vermächtnis 'Die Ästhetik des
Widerstands' (3 Bände: 1975 - 1981) versucht er die
historische und gesellschaftliche Erfahrung der Zeit zwischen 1917 und
1945 sowie ihre ästhetischen und politischen Erkenntnisse
darzustellen, indem er ein Gesamtbild der europäischen Linken
entwirft. Man hat dieses Werk - ein Epitaph auf die Arbeiterbewegung -
verglichen mit Walter Benjamins 'Passagen' und auch
mit dem 'Ulysses'
von James Joyce - indem hier Herakles den Odysseus in die Schranken der
Poesie weist.
Generell kann wohl die Schlussformulierung aus der Erzählung
'Abschied von den Eltern' für Peter Weiss als ein Motto
gelten: "Ich war auf dem Weg, auf der Suche nach einem eigenen Leben."
Dabei hatte er sich allerdings eine eindeutige Mission auferlegt:
"Jedes Wort, das ich niederschreibe und der Veröffentlichung
übergebe, ist politisch, d.h. es zielt auf einen Kontakt mit
größeren Bevölkerungsgruppen hin, um dort
eine bestimmte Wirkung zu erlangen." (vgl. '10 Arbeitspunkte eines
Autors in der geteilten Welt', 1965). Dwars beklagt, dass Weiss
völlig in Vergessenheit geraten ist, er der sich selbst immer
wieder einen "Unzugehörigen" nannte, was er allerdings zur
"Kraftquelle einer neuen Unabhängigkeit zu machen" gedachte
(vgl. 'Abschied von den Eltern').
Weiss war ja anfangs Maler, und Dwars meint, in seinem Bild 'Die
Maschinen greifen die Menschen an' seien "in nuce schon alle
Grundmotive seines gesamten, nicht nur malerischen Werkes" enthalten:
"die Bedrohung der Menschen durch ihre eigenen, ihnen fremd, feindlich
gegenüberstehenden Kräfte." Im Jahr 1937 wendet sich
Weiss als noch völlig Unbekannter in einem forschen Brief an
Hermann Hesse,
den er als "Meister" tituliert und dem gegenüber er sich als
Romantiker und damit als Bruder im Geiste vorstellt. Hesse bescheinigt
ihm in seiner Antwort "Begabung", rät ihm allerdings, "nicht
aus der Dichtung Brot zu machen suchen!" Im Sommer 1937 sucht Weiss
hartnäckigerweise Hesse in der Schweiz auf und spielt sogar
Boccia mit ihm. Allerdings verfällt Weiss dann in ein
großes Schweigen - aber Robert Jungk verriet später,
dass "in seiner Gegenwart Verzauberung eintrat" - Weiss sich also doch
aus dem Bann Hesses zu befreien wusste, nachdem er noch diverse
Erzählungen von ihm illustriert hatte. Etwas später
ist Weiss von Kafka
beeindruckt (dessen 'Prozeß' er sogar zu
dramatisieren unternimmt) - dann schafft er endlich mit 'Fluchtpunkt
(1947) den Durchbruch in Westdeutschland. Über den Film
gelangt er zum Surrealismus und schließlich zum politischen
Engagement.
Dwars verfolgt und dokumentiert gnadenlos, wie Weiss Anfang der 50er
Jahre erfolglos Manuskripte verschickte und mit Standardantworten
abgespeist wurde. Endlich entdeckt Walter Höllerer als
Chefredakteur der Akzente im Jahr 1959 die Potenz
in den Texten von Weiss. Es wird schon nach etwa der knappen
Hälfte des vorliegenden Buches klar, Peter Weiss wollte
eigentlich Idealist sein und werden und bleiben - aber er musste sich
zum Pragmatisch-Autentisch-Politischen bekennen, um konsequent und
glaubwürdig zu sein. Den eigentlichen Durchbruch schaffte er
erst mit 44 mit der Erzählung 'Der Schatten des
Körpers des Kutschers'. Und im Jahr 1963 "feiert die
literarische Welt" (zit. Dwars) 'Das Gespräch der drei
Gehenden'.
Schließlich etabliert sich der Maler, Filmemacher und
Prosaautor sogar als weltweit anerkannter Dramatiker. Politisch
orientiert er sich an einem experimentellen Urkommunismus, mit seinem
Stück 'Die Ermittlung' handelt sich Weiss allerdings auch
harte Kritik ein, weil er nicht explizit die jüdischen Opfer
thematisiert. Grass lehnte Weiss damals zu Zeiten der
Gruppe 47 als
"schreibenden Hofnarren" und Konkurrenten ab. Dem Verleger Unseld war
es unangenehm, dass sich Weiss öffentlich als Sozialist
bekannt hatte. In seinem letzten großen und schwer
rezipierbaren Werk 'Die Ästhetik des Widerstands' demonstriert
Weiss eigentlich, was er unter Kommunist-Sein versteht: nicht das
Umsetzen von Parteirichtlinien, sondern "jeden Gegenstand kritisch zu
untersuchen und dann seine Lage und Bedeutung innerhalb
größerer Zusammenhänge zu bestimmen. Nichts
als gegeben anzusehen." (zit. aus seinen Notizbüchern). Und
Weiss versucht, den Unterdrückten und Unterprivilegierten
klarzumachen, dass sie nicht auf Hilfe warten, sondern sich selbst
erheben sollten.
Was Peter Weiss doch beunruhigte, dass er in beiden deutschen Staaten
ein Verfassungsfeind wäre, wenn man seine politische Gesinnung
überprüfen würde. Im Grunde, meint Dwars,
sei Weiss aber doch ein Künstler gewesen, der am Politischen
litt. Sein Begehren erinnert durchaus an
Schillers
"ästhetische Erziehung", eine geistige Revolution mit den
Mitteln der Kunst, eine äußere und innere Befreiung
des Menschen. Dwars hat uns hier eine Biografie vorgelegt, die uns
über einige notwendige Daten hinaus mit dem
Ideengebäude und dem persönlichen Einsatz des
Künstlers Peter Weiss in überschaubarem Umfang
informiert. Und wir sollten den Autor Peter Weiss tatsächlich
wieder ins literarische und politische Bewusstsein unserer Gesellschaft
zurückholen - zugehörig werden lassen.
(KS; 03/2007)
Jens-Fietje
Dwars: "Und dennoch Hoffnung. Peter Weiss. Eine Biografie"
Aufbau-Verlag, 2007. 302 Seiten.
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Jens-Fietje
Dwars wurde 1960 in Weißenfels geboren. Philosophiestudium in
Wroclaw, Berlin und Jena. Nach Promotion über
Geschichtsphilosophie und Anthropologie (bei Ludwig Feuerbach)
1987-1992 Germanistikassistent an der
Friedrich-Schiller-Universität (FSU). Arbeitsgebiet:
"anthropologischer Materialismus" (Benjamin) in der Traditionslinie von
Goethe,
Feuerbach, Büchner,
Nietzsche
und Peter Weiss.
Umgeschult zum Referenten für Werbung, Marketing und
Öffentlichkeitsarbeit, arbeitslos und ABM-erfahren. Stipendien
der Alexander von Humboldt-Stiftung und der Stiftung Kulturfonds. Preis
für kulturgeschichtliche Arbeiten der FSU Jena (1986) und der
Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. (1999). Seit 2000 freier Autor und
Ausstellungsmacher in Jena. 13 Bücher, zwei Fernsehfilme, drei
Ausstellungen. Lien zur Netzseite des Autors:
https://www.dwars.jetzweb.de/.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Johannes R. Becher. Triumph und Verfall. Eine Biografie"
Ein Jahrzehnt lang hat sich Jens-Fietje Dwars intensiv mit Leben und
Werk Johannes R. Bechers auseinandergesetzt. 1998 erschien unter dem
Titel "Abgrund des Widerspruchs" seine "faktenwuchernde, klug
differenzierende Mammut-Biografie" ("Der Spiegel") über diesen
zerrissenen Dichter und Kulturpolitiker. Nach dem
"Kolossalgemälde dichtender Elite in Parteifesseln" ("FAZ")
schrieb Dwars das Drehbuch für den Dokumentarfilm
"'Über den Abgrund geneigt ...' Leben und Sterben des Johannes
R. Becher". 2001 wurde der unter der Regie von Ullrich Kasten
entstandene Film mit dem Grimme-Sonderpreis ausgezeichnet. Der
vorliegende Essay ist ein Extrakt dieser beiden Arbeiten.
Johannes R. Becher schrieb den meistzitierten Vers der Wende-Jahre:
"Deutschland, einig Vaterland". Kein zweiter deutscher Schriftsteller
war nach 1945 so umstritten wie er: gerühmt im Osten als
Dichter des Friedens und verdammt im Westen als Verräter am
Geiste. Bechers Dasein steht für Aufbegehren,
Selbsterhöhung und -zerstörung, Schöpfertum
und Funktionieren. In seiner Biografie über den
Hurenmörder, Junkie, Anarchisten, expressionistischen
Sprachrebell und Gottsucher, Stalinhymniker und antistalinistischen
Kulturminister reflektiert Jens-Fietje Dwars zugleich die
Widersprüche des an Hoffnungen und Schrecken
überreichen 20. Jahrhunderts. (Aufbau-Verlag)
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