Max Weber: "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus"
In seiner 1904/05 erstmals erschienenen und später im Rahmen
der "Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie" publizierten Abhandlung über
die religiös-ethischen Ursprünge der den Kapitalismus begründenden Mentalität
untersucht der Soziologe
Max Weber Zusammenhänge zwischen religiösen und ökonomischen Entwicklungen,
die vor allem in der spezifischen "Berufsethik" protestantischer Prägung besonders
deutlich zutage treten, was dann auch die Eigentümlichkeit des okzidentalen
Kapitalismus ausmacht. Der in das kapitalistische System eingebettete Mensch
ist hochgradig diszipliniert, sprich an kapitalistische Produktions- und Konsumptionsprozesse
angepasst. Seine Lebensführung ist von ökonomisch-rationalen Handlungsweisen
bestimmt, ein "ökonomischer Rationalismus", den Weber vor allem bei den Protestanten
als ihre spezifische Neigung erkennt und zur Veranschaulichung vermittels statistischer
Daten nachweist, dass Protestanten etwa bei der Schulwahl für ihre Kinder im
Vergleich zu den Katholiken gleicher Region (gegenständlich die gemischt konfessionelle
Bevölkerung Badens von 1895) auffallend mehr darauf bedacht nehmen, dass der
gewählte Schultyp der Vorbereitung zu technischen Studien und gewerblich-kaufmännischen
Berufen dient. Im Unterschied zur sonst oft hässlich gezeichneten Fratze des
Kapitalisten schreibt Weber dem Kapitalisten eine "ethisch gefärbte Maxime der
Lebensführung" zu, welche
bloßes
"Gewinnstreben" wie reine "Geschäftstüchtigkeit" überlagert, und
wegen ihres asketischen Charakters mehr als nur eine "Philosophie des Geizes"
ist.
Seine entschiedenste Ausformung hat der Protestantismus
in der Lehre des Calvinismus gefunden, welcher in einem radikalen Prozess der
Umorientierung nicht mehr den religiösen Virtuosen als vor Gott auserwählt bezeichnet,
sondern den mit Erfolg wirtschaftenden Bürger, welcher in der Welt über den
sozialen Auftrag seiner "Berufsarbeit" gottgefällig handelt und solcherart seine
Erwähltheit (Gnadengewissheit) vor aller Welt täglich auf ein Neues manifestiert.
Das calvinistische Dogma der "Gnadenwahl" besagt, dass jeder Mensch durch Gottes
unerforschlichen Ratschluss von Anfang an zur Verdammnis oder zum Heil bestimmt
sei (Prädestinationslehre). Die besondere Pointe des Calvinismus liegt nun darin,
dass Verdammnis oder Heil allein durch den wirtschaftlichen Erfolg im irdischen
Leben sichtbar gemacht werden können, hingegen religiöse Inbrunst (wie etwa
mönchische Askese im Katholizismus) im Grunde nur etwas über die gerade gelebte
- vielleicht gar nur launische - Neigung des Individuums aussagt, also eigentlich
nichts besagt und überhaupt die Frage der
Auserwähltheit
vor Gott völlig unberührt lässt. In dem Bestreben, permanente Gewissheit
über die eigene Bestimmung zu erlangen, entsteht somit eine - unter ungeheuerer
Anspannung stehende - Kultur der "Werkheiligkeit", ein System berufsethischer
Lebensführung, welches das Leben rationalisiert, den Menschen innerlich vereinsamt
und die Welt von aller entlastenden Magie (katholische Sakramentsgnade) entzaubert,
wiewohl die gutbürgerliche Alltagswirklichkeit im Calvinismus geheiligt wird
und zur Mehrung von "Gottes Ruhm" dient (Weber beurteilt die Lehre des Calvinismus
als "pathetische
Unmenschlichkeit"). Freilich, der Enthusiasmus religiöser Selbstvergewisserung
wandelte sich im historischen Verlauf allmählich in nüchterne Berufstugenden
um, die religiöse Wurzel starb ab und machte utilitaristischer Diesseitigkeit
Platz. Die Bedeutung des Protestantismus besteht insbesondere in seiner asketischen
Erziehungswirkung, welche den Menschen erst für seine Verwendung im kapitalistischen
System gebändigt und zugerichtet hat (Disziplinierungsthese).
Soziologen sind gefürchtet wegen ihres oft esoterisch anmutenden Fachjargons,
der, sperrig und verquer, ihre Werke der Unlesbarkeit preisgibt. Nicht so bei
Max Weber, der sich in einfachen und doch wunderbar prägnanten Formulierungen
("innerweltliche Askese", "Philosophie des Geistes", "pathetische Unmenschlichkeit")
ausdrückt, die sich ihrer pointierten Trefflichkeit wegen einprägsam in das
Gedächtnis des lesenden Menschen einbetten. Der Text liest sich leicht und flüssig
und ist zudem klassische Soziologie von zeitlosem Weltruhm, welche den Aufbau
und Zusammenhalt menschlicher Konstruktion von Wirklichkeit erklärt und die
Kunst des Erkennens von Wirklichkeit lehrt. Alles in allem handelt es sich um
einen anregenden Text über eine brillante und längst schon wissenschaftsgeschichtlich
kanonisierte Gesellschaftstheorie, die zudem wegen der ausgereiften Formulierungsgabe
des Autors vergnüglich zu lesen ist. Dazu lässt sich nur noch hinzufügen: Lesen
Sie dieses Buch und lernen Sie somit geschichtliches Werden von alltäglich erlebter
Wirklichkeit verstehen.
(Harald S.; 1. Mai 2002)
Max Weber: "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus"
Beltz
und Gelberg, Juni 2000.
Taschenbuch. 239 Seiten.
ISBN 3-8954-7722-2.
ca.
EUR 21,-.
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Max Weber:
"Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, II und III"
UTB Stuttgart,
1988.
Taschenbuchausgaben:
"Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie
I"
Taschenbuch. 573 Seiten.
ca. EUR 13,90.
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"Gesammelte
Aufsätze zur Religionssoziologie II"
Taschenbuch.
385 Seiten.
ca. EUR 14,90.
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"Gesammelte
Aufsätze zur Religionssoziologie III"
Taschenbuch.
442 Seiten.
ca. EUR 14,90.
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