"Andy Warhol - Das Tagebuch"

(Hörbuchrezension)


Als der Künstler nichts mehr zu sagen wusste ...

Bei Deutsche Grammophon Literatur ist in Auszügen das Tagebuch von Andy Warhol auf insgesamt vier CDs erschienen. Das bei seinem Tod im Jahre 1987 auf 20.000 Seiten angewachsene Manuskript beginnt im Jahr 1976 und lässt den Hörer am alltäglichen Leben des Künstlers teilhaben. Dabei bleiben selbst banalste Themen wie die Kosten für einen Telefonanruf von einer Telefonzelle nicht ausgespart. Auch die sonstigen Ereignisse, die geschildert werden, bewegen sich kaum auf höherem Niveau als die Klatschkolumne einer x-beliebigen Frauenzeitschrift. Der einzige Unterschied ist, dass hier nicht von einem Außenseiter über die die oberen Zehntausend berichtet wird, sondern einem Mitglied derselben. Der Tonfall schwankt zwischen verächtlich und bloßstellend hin und her und wird nur gelegentlich durch Selbstbeweihräucherung unterbrochen - nicht umsonst stammt von Andy Warhol der berühmte Spruch "Jeder kann heute seine 15 Minuten Ruhm haben". Doch selbst diesen Ruhm scheint er häufig seinen Bekannten zu neiden, denn allzu oft blitzt Schadenfreude in seinen Ergüssen durch.

Natürlich kann man die Banalität des Ganzen als revolutionären Weitblick werten, nimmt Warhol doch die Entwicklung vieler TV-Serien vorweg, in denen so genannte "Stars" in peinliche Situationen gebracht bzw. aus deren Leben pikante bis peinliche Ereignisse genüsslich und zur großen Freude eines voyeuristischen Publikums breitgetreten werden. So mancher mag daraus sein Vergnügen ziehen, sofern es sich um tagesaktuelle Prominente handelt. Doch wer interessiert sich heute noch dafür, wenn ein Straßenhändler in New York 1976 Jody Foster eine Zuckerstange schenkt oder welches Abendkleid Faye Dunaway auf welcher Vernissage getragen hat. Vielleicht könnte man das vorliegende Werk als Rückblick auf die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der 1980er Jahre in den USA werten, wenn - ja wenn es nicht so einseitig und unpolitisch wäre. Allenfalls marginal geht Warhol auf die aktuelle Stimmungslage ein und verwöhnt den Hörer lieber damit, den neuesten Klatsch über Hinz und Kunz zu erzählen oder über seine eigenen Befindlichkeiten zu resümieren.

... begann er zu reden

Den passenden Ton zum leichten Inhalt vermittelt der Sprecher Peter Fricke so, als ob er persönlich von Andy Warhol unterrichtet wurde, welche Passage in welchem Ton vorgetragen werden soll. Denn so mancher "Eintrag" ergibt, sofern er nicht in gleichmütigem Plauderton, sondern voller hintersinniger Ironie, schneidendem Sarkasmus oder liebenswürdiger Emphase vorgelesen wird, einen völlig anderen Sinn. So parliert Peter Fricke locker flockig in bestem Party-Plauder-Ton, unterbrochen von teils harschen Seitenhieben, über insgesamt mehr als fünf Stunden, ohne dabei das Wohlergehen des Hörers aus den Augen zu verlieren. Denn es bedarf schon mehr als bloßer Redekunst, damit nicht aus einem potenziellen Hörgenuss Genuss ein Lauschangriff wird. Sofern man sich für die Thematik interessiert, ist es Peter Frickes sprachlicher Vielfalt zu verdanken, dass dies nicht geschieht und der Hörer gut amüsiert und unterhalten wird.

(Wolfgang Haan; 05/2006)


"Andy Warhol - Das Tagebuch"
Deutsche Grammophon Literatur, 2006. 4 CDs.
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Ergänzende Buchtipps:

"Andy Warhol. Selbstporträts"
Hrsg. Dietmar Elger, Text von Dietmar Elger, Keith Hartley, Robert Rosenblum, Roland Wäspe

Die Selbstporträts des bis heute gefeierten "Prinzen des Pop" werden in dieser monografischen Publikation zum ersten Mal umfassend gewürdigt.
Kein anderer zeitgenössischer Künstler ist in der Öffentlichkeit so bekannt wie Andy Warhol (1928-1987). In seinem Werk sind die Selbstbildnisse von zentraler Bedeutung: Seit Mitte der vierziger Jahre, als der damals 16-jährige Andrew Warhola sich in mehreren Gouachen darstellte, bis zu der kurz vor seinem Tod entstandenen "fright wig"-Serie hat Andy Warhol in den Selbstporträts immer wieder seine künstlerische Position und soziale Stellung reflektiert oder sich in Rollenspielen inszeniert. Den Topos des traditionellen Künstlerbildes hat er allerdings nie bedient. Stattdessen sind Warhols Faszination für den Starkult der Medien und seine künstlerische Auseinandersetzung mit den Themen Vergänglichkeit und Tod auch in seinen Selbstbildnissen präsent.
Trotz zahlreicher Veröffentlichungen zu den verschiedenen Werkgruppen ist dies die erste monografische Publikation, die ausschließlich seine Selbstporträts behandelt. Die Beiträge erörtern verschiedene Aspekte des Themas und stellen die Werke in den erweiterten Kontext des Künstlerselbstbildnisses im 20. Jahrhundert. (Hatje Cantz Verlag)
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Kenneth Goldsmith (Hrsg.): "Interviews mit Andy Warhol. 36 ausgewählte Interviews mit Andy Warhol von 1962 - 1987"
(Verlag Kurt Liebig)
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