Fred Wander: "Der siebente Brunnen"
Ungekürzte Lesung - gesprochen von Ulrich
Noethen
(Hörbuchrezension)
Ein bedeutendes Werk über den
Holocaust
Bei Random House Audio erschien am 15. August 2005 als
vollständige Lesung eines der bedeutendsten literarischen Werke über den
Holocaust: Fred Wanders "Der siebente Brunnen". Die Lesung erfolgt durch den
bekannten Sprecher Ulrich Noethen, der es dem Hörer durch seinen zurückhaltenden
Vortrag ermöglicht, sich ganz auf das Gesprochene zu konzentrieren, statt sich
an den verbalen Sperenzien des Sprechers zu ergötzen.
Der Chronist der
Internierungslager
Der Roman erzählt in zwölf Kapiteln über die
Internierungszeit des Autors. Innerhalb dieser Abschnitte berichtet er, teils in
Rückblenden, über den Beginn der Inhaftierung 1942 in Frankreich bis zur
Befreiung Buchenwalds am 11. April 1945. Dabei ist Fred Wander teils nüchterner
Chronist, teils metaphernhafter Geschichtenweber; einesteils berichtet er ohne
Umschweife und nüchtern-sachlich über die schrecklichen Gegebenheiten, nur um
dann übergangslos zu imaginierten Personen zu wechseln, die allesamt im
Gesamtkontext für bestimmte Strömungen, Einstellungen, Verhaltensregeln stehen.
Dabei deckt die Bandbreite der geschilderten Personen alle nur denkbaren
Konstellationen ab: angefangen beim Lagerleiter über Wachleute, Kapos, Gefangene
und später auch Zivilpersonen.
Über diese Platzhalter hinaus hat Wander
noch ein paar besonders prägnante Figuren entwickelt, die den Hörer fast über
die gesamte Laufzeit des Hörbuches begleiten. Eine dieser wichtigen
Protagonisten ist Mendel Teichmann, seines Zeichens ein begnadeter Erzähler,
Intellektueller und geistige Stütze der Baracke. Durch seine Redekunst schafft
er es gelegentlich, die Insassen zumindest im Geiste an andere Orte zu führen.
Doch nicht alle Gefangenen ertragen diese mentale Flucht. Für manche bedeutet es
eine große Qual, an "bessere Zeiten" erinnert zu werden angesichts der
unmenschlichen Gefangenschaft, in der man sich häufig mit sechs oder acht Mann
ein kleines Brot teilen muss und dieses Wenige die Tagesration bedeutet, jeder
Krümel "Leben" ist.
Überleben da, wo überleben unmöglich gemacht
wird
Obwohl alle Personen hinsichtlich Herkunft, Alter, Stand, Bildung
usw. unterschiedlich sind, haben alle zwei Funktionen zu erfüllen: zum einen die
Verbildlichung einer Überlebensstrategie sowie die Einstellung zu Gott und
Religion. So hat Fred Wander den Titel des Romans auch einem Zitat des großen
jüdischen Gelehrten
Rabbi Löw entnommen, diskutieren Bibelgelehrte mit
Westjuden, oder ein elitärer Zirkel von Intellektuellen rezitiert
Baudelaire oder andere französische Freidenker.
Vielleicht Ulrich Noethens bisher
beste Aufnahme
Der Erzählstil, der sich im Vortrag von Ulrich Noethen
widerspiegelt, ist lakonisch und unaufdringlich, spart jedoch an gegebener
Stelle nicht an der nötigen Detailvielfalt bis hin zu fast lyrischen Passagen,
deren Wirkung noch durch den krassen Gegensatz von Sprache und Objekt gesteigert
wird. Tod, Vernichtung, Folter, Mord, Sadismus sind die Themen, über die Wander
schreibt, und so muss sich der Hörer vergegenwärtigen, dass trotz aller Distanz,
die Ulrich Noethen ermöglicht, das Sujet des Romans keine leichte Kost ist.
Obwohl fiktionale Literatur, hat Fred Wander in KZ eingesessen, hat Erlebnisse
zu Erzählungen verdichtet, die in ihrer Qualität und Intensität Ihresgleichen
suchen. Dessen sollte sich der Hörer bewusst sein.
(Wolfgang Haan; 03/2006)
Fred Wander: "Der siebente Brunnen"
Random
House Audio, 2005. 4 CDs, Laufzeit ca. 210 Minuten.
Hörbuch bei amazon.de
bestellen
Buch bei amazon.de bestellen
Fred Wander, geboren 1917
in Wien,
verließ mit 14 die Schule und wenig später das Elternhaus und zog als
Gelegenheitsarbeiter durch Europa. Während des Krieges wurde er in Frankreich
interniert, schließlich deportiert nach Auschwitz und Buchenwald. 1945 ging er
zurück nach Wien, arbeitete als Zeichner, Fotograf und Zeitungsreporter. 1958
siedelte er in die DDR über, die er einige Jahre nach dem Tod seiner Frau Maxi
Wander 1977 wieder Richtung Wien verließ. "Der siebente Brunnen" erschien
erstmals 1971.
Preise: "Heinrich-Mann-Preis" 1972, "Würdigungspreis für
Literatur der Republik Österreich"1996, "Theodor-Kramer-Preis für Schreiben im
Widerstand und Exil" 2003.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Das
gute Leben oder Von der Fröhlichkeit im Schrecken. Erinnerungen"
Ohne
Bitterkeit, ohne Selbstheroisierung und vollkommen uneitel erzählt Fred Wander
von seinem Leben.
"Ich bin unterwegs, mein Gepäck ist leicht", lautet der
letzte Satz dieser Lebenserinnerungen. Fred Wander schreibt ihn als fast
Neunzigjähriger, gleichermaßen eine lange und fürwahr bewegte Lebensstrecke
bilanzierend und einen Blick nach vorn werfend.
Dieser Satz kann vielleicht
als eine Art Lebensmotto Wanders gelesen werden: Er hat sich eine durch nichts
zu erschütternde Neugier auf das Leben bewahrt, trotz aller Demütigungen, die er
schon als jüdischer Junge im Wien der zwanziger Jahre erfahren musste, trotz
aller existenziellen Gefährdungen, denen er an den wechselnden Exilorten der
Enddreißiger und schließlich in den Konzentrationslagern Buchenwald und
Auschwitz ausgesetzt war. Er, der allen Grund zu Bitterkeit hätte, erzählt mit
einer fast fröhlichen Leichtigkeit von den "kleinen Leuten", bei denen er immer
wieder Solidarität und Hilfe fand: etwa als er 1938 ohne Gepäck und ohne Geld
in
Paris ankam, später auf den Stationen der Flucht durch Europa und in den Lagern.
Er erzählt von den Nachkriegsjahren in Wien, von den Freunden, die er in der DDR
und auf den Reisen als Schriftsteller fand, und von der Zeit seit 1983 wieder in
Wien. Wander will weder als Held bewundert noch als Opfer bemitleidet werden,
sondern sich und uns Zeugnis ablegen. (Wallstein Verlag)
Buch bei amazon.de
bestellen