Oliver Hilmes: "Herrin des Hügels"
Das Leben der Cosima Wagner
Die
Initiatorin des Bayreuther Wagnerianismus in einer beeindruckenden
Biografie
"Bayreuth" ist Kult: Heute wie vor mehr als hundert Jahren pilgert
dorthin, wer Rang und Namen hat, sehen und gesehen werden
möchte. Ob der Charakter der Festspiele, wie er sich nach dem
Tod des "Meisters" etablierte,
Richard Wagner gefallen hätte,
darüber lassen sich allenfalls Vermutungen anstellen. Dass
"Bayreuth" in dieser Form überlebt hat, ist jedenfalls einer
Person zu verdanken: Cosima Wagner.
Oliver Hilmes zeichnet die Lebensgeschichte dieser
außergewöhnlichen Frau nach, die nach einer schweren
Kindheit und einer unglücklichen ersten Ehe ihre
persönliche Erfüllung darin finden sollte, Richard
Wagner zu dienen und ihn vor allem nach seinem Tod zu einem Halbgott
aufzubauen.
Cosima wurde 1837 als uneheliches Kind des berühmten
Komponisten und Pianisten Franz Liszt und seiner verheirateten
Geliebten, der Gräfin Marie d’Agoult, geboren. Aus
dieser Verbindung gingen noch zwei weitere Kinder hervor. Liszt
übernahm die Erziehung der Kinder, allerdings aufgrund seiner
regen Konzerttätigkeit nur insofern, als er auf eine gute
Schulbildung des Sohnes achtete und die beiden Mädchen von
einer Gouvernante erziehen ließ, deren Ideale für
die damalige Zeit hoffnungslos rückständig waren und
noch aus der Epoche vor der französischen Revolution stammten.
Cosima und ihrer Schwester wurde eingebläut, dass sie sich
ihren zukünftigen Männern zu unterwerfen
hätten.
Vermutlich um der Enge ihres bisherigen Lebens zu entfliehen, heiratete
Cosima neunzehnjährig den Dirigenten Hans von Bülow,
einen Schützling ihres Vaters und Verehrer Wagners. Die Ehe
stand unter keinem guten Stern, denn Bülow ließ sich
vollständig von Wagner vereinnahmen und litt zugleich
darunter, dass er selbst, von Wagners Genie
überwältigt, nicht zu kreativem Arbeiten
befähigt war. Seine Komplexe bekam Cosima, die gern einem
eigenständigen Künstler den Rücken
freigehalten hätte, zu spüren. Cosima gebar von
Bülow zwei Töchter. Zwei weitere Mädchen
zeugte Richard Wagner mit ihr, während sie noch mit von
Bülow verheiratet war. Zu dieser Zeit machte sich Cosima
für Wagner bereits unersetzlich, und es lag eine eigenartige
Ménage à trois vor; von Bülow duldete
das rasch öffentlich gewordene Verhältnis.
Oliver Hilmes erläutert in diesem Zusammenhang auch kurz
Wagners abenteuerlichen Lebensweg, insbesondere seine Zeit als
Günstling des Bayernkönigs
Ludwig II., dem in seiner
Naivität die Romanze lange verborgen blieb. Noch vor der
Geburt des Sohnes Siegfried erlangte Cosima die Scheidung von
Bülow und heiratete Richard Wagner. Sie erzog ihre Kinder -
Wagner machte übrigens keinen Unterschied zwischen seinen
eigenen und den Bülow-Töchtern - unter Wahrung
derselben Ideale, unter denen sie selbst fast zerbrochen war. Sohn
Siegfried hatte von Anfang an eine Sonderstellung inne, die nach
Richard Wagners Tod noch ausgebaut wurde, sollte der "Meistersohn" doch
das Erbe bei der Festspielleitung antreten. Es ist ganz klar Cosimas
Verdienst, dass nicht nur das Theater in Bayreuth erbaut werden konnte,
sondern die Festspiele allen finanziellen Widrigkeiten der ersten Jahre
zum Trotz regelmäßig stattfinden konnten.
Cosima machte sich selbst als Wagners Witwe zur "Meisterin". In der
Folge baute sie eine Dynastie auf, in der es rau und erbarmungslos
zuging, wenn jemand, wie etwa Tochter Isolde und ihr Mann, nicht
"spurte", wie es seiner vorgegebenen Rolle zukam. Sohn Siegfried, der
künstlerisch seine Rolle nicht ausfüllen konnte und
seine damals gesellschaftlich nicht nur verpönte, sondern
strafbare Homosexualität streng geheim halten musste, litt
darunter, fügte sich aber klaglos ein. Für Cosima
waren die Festspiele derart bedeutsam, dass sie lieber ihrem bei einem
Besuch schwer erkrankten Vater Liszt einen recht kläglichen
Tod zumutete, als von ihren selbst auferlegten Pflichten bei den
Spielen wenigstens teilweise zurückzutreten, Bayreuth war
für sie Religion.
Als Cosima 1930 starb, hatten die neuen Herrscher des Hügels
sie bereits aufgrund ihrer Herzkrankheit jahrelang abgeschirmt und eine
ungute Entwicklung vertieft und fortgeführt, die bereits von
Cosima und auch Wagner selbst ausgegangen war: Bayreuth hatte eine
intensiv braune Färbung.
Der Autor schildert ausführlich und von zahlreichen, erst vor
relativ kurzer Zeit zugänglich gewordenen und daher bislang im
Rahmen einer Cosima-Wagner-Biografie nicht veröffentlichten
Quellen unterstützt, dazu reich bebildert, Cosimas
abenteuerliches Leben. Es handelt sich bei diesem Buch jedoch
keineswegs um eine trockene Biografie, sondern um eine spannend und
abwechslungsreich verfasste Lebensgeschichte, in der auch Abrisse der
Biografien von Menschen Erwähnung finden, die für
Cosimas Leben von Bedeutung waren - und umgekehrt, haben Wagner und
Cosima doch so manche Persönlichkeit für den Dienst
an ihrer Sache beansprucht und deren regelrechte Unterwerfung bewirkt.
Cosimas Prägung durch ihre zerrissene Kindheit praktisch ohne
Eltern und die Erziehung im Sinne der Ideale des Ancien
Régimes werden vorzüglich herausgearbeitet, denn
nur anhand dieses Hintergrunds lässt sich Cosimas geradezu
religiöse Verehrung für Wagner und dessen posthume
Verklärung in einem wahren Kult erklären. Sehr
dramatisch präsentieren sich in diesem Zusammenhang auch die
Biografien von Cosimas Kindern, von denen, außer vielleicht
Eva, offensichtlich keines ein glückliches Leben
führen konnte. Wie zu anderen Zeiten und Orten Kinder des
Hochadels waren sie aufgrund der dynastischen Erwartungen "Bayreuths"
Gefangene.
Ein in diesem Buch intensiv herausgearbeiteter Aspekt des Wagner-Kults
ist der sehr offen zur Schau getragene und aggressive Antisemitismus,
der bei Wagner bereits klar zutage trat und bei Cosima geradezu
pathologische Züge besaß, während ihr
Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain "Bayreuths" nationalistisches
Gepräge noch weiter intensivierte, sodass
Hitler schon zu
Cosimas Lebzeiten ein gern gesehener, allerdings zunächst
meistens inkognito auftretender Gast in der Villa Wahnfried war.
Mancher jüdische Künstler, durch Bayreuths Magie
angezogen, zog sich hier tiefe Wunden zu.
Der Autor zeigt die Macht auf, die Cosima aufgrund ihrer Stellung
besaß, aber auch deren Grenzen. Denn es gab in den
Regierungen immer auch Menschen mit Rückgrat, die den das
Gesetz brüskierenden Forderungen der "Meisterin" und ihres
Clans nicht stattgaben.
Was an "Die Herrin des Hügels" etwas stört, sind die
mitunter etwas zu offen, zuweilen geradezu moralisierend vorgenommenen
Wertungen der Protagonisten, insbesondere natürlich Cosimas,
durch den Autor. Wertungen sollten in einer wissenschaftlich fundierten
Biografie eigentlich vermieden werden, wobei die Rezensentin ansonsten
das wissenschaftlich korrekte Vorgehen des Autors nicht anzweifeln
möchte.
Es lohnt sich für Musik- und Geschichtsinteressierte auf jeden
Fall, dieses Buch zu lesen, das natürlich schon aufgrund der
neueren, "intimeren" Quellen und der Unabhängigkeit des Autors
deutlich von den früher verfassten Elogen auf Cosima Wagner
und das von ihr geprägte "Bayreuth" abweicht. Vor allem die
darin vermittelten Erkenntnisse über Cosimas Kindheit und
Jugend, aber auch über die komplexen zwischenmenschlichen
Verflechtungen mit bedeutenden Zeitgenossen, darunter auch ihr Vater
Franz Liszt, werden hier hervorragend entwirrt und analysiert - und
dass der goldene Lack tiefe Kratzer erhält, ist im Sinne einer
Biografie keineswegs eine Verfehlung.
(Regina Károlyi; 06/2007)
Oliver
Hilmes: "Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner"
Siedler, 2007. 495 Seiten.
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Oliver
Hilmes, 1971 in Viersen geboren, studierte Geschichte, Politik und
Psychologie in Marburg, Paris und Potsdam. Er promovierte mit einer
Arbeit über politische Musikgeschichte des zwanzigsten
Jahrhunderts und arbeitete in der Intendanz der
Berliner
Philharmoniker. 2004 veröffentliche er bei Siedler mit
großem Erfolg die Biografie "Witwe im Wahn. Das Leben der
Alma Mahler-Werfel":
"Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel"
Die erste ungeschönte Biografie der
Alma Mahler-Werfel.
Alma Maria Schindler, verwitwete Mahler, geschiedene Gropius,
verwitwete Werfel (1879-1964) war zweifelsohne eine
außergewöhnliche Frau, zugleich eine
äußerst umstrittene. Noch heute scheiden sich die
Geister an ihr. Für die einen ist sie Muse der vier
Künste, für die anderen schlichtweg eine herrsch- und
sexsüchtige Frau, die ihre prominenten Ehemänner nur
benutzte.
Dies ist die erste Biografie über Alma Mahler-Werfel jenseits
der Retuschen ihrer Selbststilisierung und der Mythisierung durch
Andere. Der Historiker Oliver Hilmes hat Quellen erschlossen, die einen
ganz neuen Blick auf Alma Mahler-Werfel erlauben: Am
aufsehenerregendsten ist dabei der Fund ihres lange verschollen
geglaubten Nachlasses - Tausende Briefe, Postkarten, Fotos und ihre
Tagebücher bis zu Franz Werfels Tod 1945. Die
Tagebücher erzählen nicht nur von einer streitbaren
und umstrittenen Frau, sondern auch Details aus dem Leben ihrer
Zeitgenossen, Ehemänner und Geliebten. Von
Alban Berg bis Carl
Zuckmayer ist die gesamte gesellschaftliche, künstlerische und
politische Elite Österreichs und Deutschlands vertreten.
Deutlich werden aber auch ihr bislang weit unterschätzter
Antisemitismus, der bereits seit der Jahrhundertwende ihr Menschenbild
prägte, die politische Radikalisierung der "Circe von Wien" in
den 1930er Jahren, zugleich ihr Geschick, hinter den Kulissen ihre
kulturpolitischen Vorstellungen durchzusetzen. So entsteht das
Porträt einer Persönlichkeit voller
Widersprüche, eines äußerst ambivalenten
Charakters - einer Witwe im Wahn. (Siedler)
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Zwei weitere Bücher des Autors:
"Cosimas Kinder.Triumph und Tragödie der Wagner-Dynastie"
Oliver Hilmes entschlüsselt den Wagner-Kosmos, indem er die Nachkommen der
schillernden Komponisten-Witwe porträtiert und ihren Kampf um die Macht auf dem
Grünen Hügel in Bayreuth beschreibt. Das aufregende Epos einer deutschen
Familie und ihres leidenschaftlichen Ringens um den Erhalt einer Dynastie.
Eine Mutter, zwei Väter und fünf Kinder - die Familie Richard und Cosima
Wagners ist ein Kosmos, rätselhaft und sagenumwoben. Ähnlich wie
die
Kinder Thomas Manns trugen die Sprösslinge dieses faszinierenden Paars
schwer an der Last ihrer Herkunft. Selbstverleugnung wurde zum Schicksal von
Daniela, Blandine, Isolde, Eva und Siegfried - von Cosimas Kindern: Ihre Aufgabe
war es, Richard Wagners "Werk" als Inbegriff "deutscher Kultur"
zu pflegen und darüber zu wachen.
Da es dabei auch um viel Geld ging, schreckte der Clan nicht vor der Verstoßung
eigener Familienangehöriger zurück, wenn die Vorherrschaft auf dem Grünen
Hügel in Gefahr schien. Man zwang sogar den als Thronfolger vorgesehenen
einzigen (homosexuellen) Sohn Richard Wagners, Siegfried, in eine Ehe - mit
jener Winifred, die als enge Vertraute und wichtige Unterstützerin Adolf
Hitlers in die Geschichtsbücher eingehen sollte.
Fesselnd erzählt Oliver Hilmes in seinem Buch anhand neuer Quellen diesen
spannenden Stoff aus Kunst und Weltanschauung, aus Politik und eigennütziger
Geschäftigkeit. Er spürt den seelischen Konflikten und dem Größenwahn von
Cosimas Kindern nach und liefert eine faszinierende Familiensaga aus Triumph und
Tragödie, Genie und Verfall. (Siedler)
zur Rezension ...
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