Jan Costin Wagner: "Das Schweigen"
Ein Mädchen verschwindet - genau an der Stelle, an der vor
dreiunddreißig Jahren ein anderes Mädchen
vergewaltigt und ermordet wurde. Das Verbrechen verstört nicht
nur Polizei und Öffentlichkeit, sondern auch einen der beiden
damaligen Täter ...
Ein Krimi der absoluten Spitzenklasse
Meine gewiss nicht ganz vorurteilsfreie Haltung gegenüber
vielen von der Kritik hochgelobten Bestsellerautoren sowie meine
diesbezüglichen negativen Erfahrungen oder
Enttäuschungen, namentlich im Krimi-Genre, ließen
mich mit einer gehörigen Portion Skepsis an die
Lektüre von Jan Costin Wagners "Das Schweigen" herangehen.
Mein erster Gedanke war: Schon wieder einer von diesen
beweihräucherten, maßlos
überschätzten neuen Bestsellerautoren. Das
Beckmesserchen war also schon gewetzt, um es später dann
vielleicht genüsslich zwischen den Zeilen des Buches spazieren
führen zu können.
Es kam jedoch anders als ich zunächst dachte oder vielmehr
befürchtet hatte. Besagtes Messerchen wurde nämlich
schnell stumpf, es kratzte gewissermaßen auf Granit
angesichts der überzeugenden Leistung des Jan Costin Wagner.
Und wenn die "Frankfurter Rundschau" schreibt: "Jan
Costin Wagner hat das Genre schon so gut drauf wie die namhafte
skandinavische Konkurrenz", so ist das für mich die
Untertreibung des Jahres. Wagner degradiert
Mankell und
Konsorten zu
amateurhaft stümpernden, schablonisierenden Scharlatanen.
Vom Inhalt, sprich: der Handlung des Buches, möchte ich hier
aus gutem Grund nichts preisgeben. Was Wagner geschrieben hat, ist aber
absolut überzeugend. Seine Sprache ist unaufdringlich,
zurückhaltend und doch mitreißend. Die
Sätze haben etwas Zwingendes, evozieren förmlich eine
Sucht zum Weiterlesen. Jan Costin Wagner lässt dem Leser keine
Ruhe, gönnt ihm kein Verweilen, und immer schwingt das leise
Bedauern mit, dass der Text schon bald zu Ende sein wird. Trotz des
ständigen Wechsels der Erzählebenen atmet das Buch
eine wunderbare Kontinuität aus, nichts wirkt konstruiert oder
gar zerstückelt, alles fügt sich auf
natürlichste Weise zusammen.
Wagner ergeht sich auch nicht in breit ausgewalzten, laienhaft
psychologisierenden Deutungen, sondern beschränkt sich meist
auf die subtilen Andeutungen, streut Hinweise wie Brosamen aus, die die
Fantasie und Neugier des Lesers nähren, denen er in atemloser
Spannung hinterher hechelt. Und die Kunst des Jan Costin Wagner hat
auch keine spektakulären Kampfhandlungs- oder Gewaltszenen
nötig, um die Handlung spannend zu gestalten. Ich
möchte mich nicht unbedingt als den
Krimi-Experten bezeichnen, aber "Das Schweigen" ist anders, es ist
besser als sämtliche
Krimis, die ich bisher gelesen habe.
Wagner scheint es wahrhaftig gelungen zu sein, dem unerreichbar
scheinenden Ideal des perfekt geschriebenen Krimis Salz auf den Schwanz
zu streuen.
Ich hatte mir während des Lesens noch einige Kritikpunkte
notiert, die aber inzwischen längst verblasst sind angesichts
des so überzeugenden Gesamtbildes, das dieser Krimi abgibt.
Und vor diesen eher belanglosen Schwächen, wenn es sie denn
überhaupt geben sollte, schweigt des Kritikers
Höflichkeit.
(Werner Fletcher)
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Jan Costin Wagner wurde 1972 geboren. Er lebt als freier Schriftsteller und Musiker bei Frankfurt und in Finnland, dem Heimatland seiner Frau. Seine Romane wurden vielfach ausgezeichnet und in bislang 14 Sprachen übersetzt. Mit der Figur des jungen finnischen Polizisten Kimmo Joentaa schrieb er sich in die Herzen von Lesern wie Kritikern. Für "Das Schweigen" erhielt Wagner anno 2008 den "Deutschen Krimipreis", der Roman wurde im Jahr 2010 fürs Kino verfilmt.