Mella Waldstein, Gregor Semrad: "Wachau"

Landschaft am Strom

Die Wachau ist nicht nur ein Weltkulturerbe. Sie ist mehr als das. Sie ist eine Weltanschauung.


Mella Waldstein und Gregor Semrad schreiben eingangs zum Geleit: "Die Wachau ist eine leidenschaftliche Gastgeberin. Die Landschaft lädt mit großer Geste ein. Sie präsentiert die Schönheit auf den ersten Blick." Wie wahr! Und wie könnte man dieser so unverschämt blanken Schönheit anders gerecht werden als mit Wort- und Bildgewalt? Das Schöne lässt sich nur über das Schöne ehren. Kraftvoll poetisch in Wort und Bild ist dann auch die Annäherungsweise von Waldstein und Semrad an der Zauber der Stromlandschaft in der Wachau. Hier ist der Ort, wo Natur- und Kulturlandschaft symbiotisch in einander fließen und es bedarf allemal einer hingebungsvollen Sprachgestalt um deren besonderem Adel würdig zu sein. So ist es denn auch im Buch der Fall.

Wer die Wachau aus eigener Anschauung kennt, wird wissen, dass an diesem Orte sich Größe und Stolz des Gestern Stein geworden im Hier und Jetzt manifestieren. Denn die Wachau ist nicht nur von schöner Natur, sie ist ebenso eine Welt musealer Prachtentfaltung. Insofern war es den Autoren ein Anliegen die üppige Barock- und Ruinenlandschaft, so wie sie sich vor Ort dem Betrachter bietet, aus der Historie heraus zu erklären. Die gediegene Erzählung von Geschichte (obgleich natürlich mehr beiläufig, als detailliert, da nicht gegenständlich) ist somit ein wesentlicher Bestandteil des Buches, und so ist denn auch die erste groß abgehandelte Thematik jene der Wachauwerdung. Den Menschen zog es offenbar immer schon in diese Landschaft von erlesener Schönheit, weswegen die ältesten Funde menschlicher Kultivierung mit 40.000 vor Christi Geburt datieren. Das bekannteste Artefakt aus der prähistorischen Besiedlungsepoche ist übrigens die weltberühmte "Venus von Willendorf" (24.000 v. Chr.), eine Frauenfigur mit lockiger Haarpracht und üppiger Leibesfülle.

Die Wachau ist ein guter Boden für Frauenkult, merken die Autoren an, und das, weil nicht nur eine weitere Venusstatuette, die "Fanny vom Galgenberg" (32.000 v. Chr.) hier oberhalb des Donautals in Stratzing gefunden wurde, sondern auch der eher kitschige Kult um das "Mariandl" und um die "Donauprinzessin" in jüngerer Vergangenheit von den Gestaden des Wachauer Donautals seinen Ausgang nahm. Von platter Romantik war der in Deutschland weit reüssierende Wachauer Heimatfilm in seinem Grundzug, das gewiss, doch immerhin gehörten auch zeitlose Verfilmungen wie "Lumpazivagabundus" in der Regie von Géza von Bolvary (1936) zu diesem Genre, und Nachsicht ist angebracht, gedenkt man der zerrütteten Nerven eines harmoniebedürftigen Nachkriegspublikums, dem die unkomplizierte Welt des Heimatfilms ein heilender Balsam war. Und was mag der gestrige Schund uns heute noch rühren, denn längst ist das Bild der Wachau differenzierter geworden, so das Autorenduo. Kulturlandschaft wird mittlerweile als sensible Einheit zwischen Natur und den darin lebenden Menschen gesehen, wofür die Wachau als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet wurde. Das Bewusstsein der Zeitgenossen ist fraglos ökologischer geworden, man begreift Lebenskultur zusehends in Naturzusammenhängen, längst schon ist auch in der Wachau der Glaube an die Unfehlbarkeit der Technokratie verblasst. Waldstein und Semrad erzählen in diesem Zusammenhang vom legendären Widerstand der Dürnsteiner Bevölkerung gegen den Bau der Wachaustraße (1954-1960), welche ursprünglich beim Verlauf ohne Rücksicht auf landschaftliche Eingliederung geplant war. An der Spitze der Aufbegehrer stand der Kunstmaler Hans Ranzoni der Ältere, bewaffnet mit dem Malerpinsel als Lanze und der Farbpalette als Schutzschild, wie es eine Karikatur aus jener Zeit dokumentiert, und nicht nur widerständig, sondern auch exemplarisch für die eingesessene Kultur der Landschaftsmaler in der Wachau. Mit dem urösterreichischen Kampfruf "Wir brauchen in Dürnstein keine Wachauer Straße nicht!" warf sich der Ästhet in seinen Streit für die Bewahrung des Schönen und scharte zu dem Zwecke aufmüpfiges Volk hinter sich.

Eine nicht allein nur nette Anekdote ist dieser Bericht über ein Volksbegehren gegen einen schändlichen Straßenverlauf, weil immerhin geschah dies zu einer Zeit, als Umweltbewusstsein ganz generell noch ein Fremdwort war und nach Jahren der Entbehrung kaum einer an intellektuell genährtem Bewusstseinsluxus interessiert schien. Rund zwanzig Jahre später verhinderten engagierte Bürger die Staustufe Wachau und retteten somit nach Meinung der Autoren die Authentizität einer Region, wie sie über unzählige Liebeserklärungen in die Herzen eingebrannt ist: als Gefühlslandschaft.

Umweltpolitik ist in unseren Tagen für die Sicherung von Lebensqualität und Lebensgefühl eine überaus maßgebliche Angelegenheit und bei Beschreibung von Natur- und Kulturschönheit ist es allemal verpflichtend auf die Gefahren für diese Schönheiten hinzuweisen. Mella Waldstein und Gregor Semrad tun dies für den besonderen Einzelfall auch sehr wohl, doch ansonsten kommen ökologische Aspekte in ihrem Buch leider doch zu kurz, um nicht überhaupt sagen zu müssen, sie bleiben ausgeblendet. Die Erniedrigung und Verunstaltung des Donauflusses zur Wasserstraße mag in der Tradition der Donauschifffahrt ihre Ursprünge haben, doch ist es nicht die Tradition (die im Buch zur Darstellung kommt), welche den Lebensraum Donau schändet, sondern die Gigantomanie einer supranationalen Verkehrsplanung auf Ebene der Europäischen Union ("TEN" - Transeuropäische Netze), welche in Donauparadiesen lediglich Verkehrshindernisse sieht und Belange der Umwelt sowie soziale Aspekte im Zweifel nachrangig behandelt. Von der ursprünglichen Wasserlandschaft der Donau ist mittlerweile gerade noch ein schwacher Abglanz ihrer einstigen Schönheit übrig geblieben. Vielerorten ist ein reguliertes und biologisch krankes Gerinne der Rest.
Und auch die ausgedehnten Waldbestände der Wachau, so in etwa der Dunkelsteiner Wald, sind weitgehend dem ökonomischen Kalkül der Forstwirtschaft zum Opfer dargebracht. Statt Urwäldern finden sich tendenziell Holzplantagen, mit einem Wildbestand, der weniger wildartig ist, denn als Fleischtierhaltung und Jagdtrophäenzucht im Forst zu umschreiben ist. Eine Kritik an diesem ökologischen Desaster der Wachau ist leider nicht im Ansatz vorhanden. Die (sicherlich begründete) Hommage an die Wachau, dieser "Versuch einer Liebeserklärung", wie die Autoren selbst es nennen, verschreibt sich leider allzu sehr einem positiven Denken, welches dem Objekt seiner Zuneigung huldigendes Lob preist, und dabei nur strahlendes Licht nicht jedoch die finsteren Schatten sieht. Wenn sich auf der Donauschlinge bei Dürnstein (wie auf einem der Fotos zu sehen ist) Ausflugsschiffe stauen, so wird das offenbar als durchaus idyllisch verkannt.

Weltberühmt ist die Wachau nicht zuletzt für ihre imposanten Klöster und Burgruinen, die von der einstigen Glorie feudalistischer Herrschaft berichten. Die gewaltige Kuenringerveste bei Dürnstein, deren Respekt gebietende Ausmaße nur noch durch Ruinen bekundet sind, war das Machtzentrum des Geschlechts der Kuenringer, welche in einer bekannten Raubrittersage als "Hunde" verunglimpft werden. Hierbei handelt es sich um Gräuelpropaganda des Wiener Hofes, stellen die Autoren richtig. Tatsächlich war der Beiname "Hunde von Kuenring" eine Auszeichnung für besonders treue Gefolgschaft. Dass der Ruf der Kuenringer trotzdem an Ehrlosigkeit gemahnt, mag in ihrem selbstbewusst streitbaren Gemüt begründet sein, und in dem Umstand, dass alle nach 1540 lebenden Kuenringer sich dem Protestantismus zuwandten, was im gegenreformierten Österreich der katholischen Kaiserfamilie Habsburg ein unverzeihliches Sakrileg darstellte.

Jene Gegenreformation, die in der üppigen Formensprache des Barock ihren Triumph über den "Glaubensfrevel" durch den Protestantismus eines Martin Luther feierte, erschloss sich in der an transzendentale Herrlichkeit verweisenden Landschaft der Wachau mit der barocken Ausgestaltung der Stifte Göttweig und Melk Manifestationen von unvergleichlicher Ausdrucksstärke. Mella Waldstein und Gregor Semrad räumen der Sakralarchitektur sodann auch den ihr zustehenden Raum ein. Wo die Erhabenheit der Schöpfung augenfällig wird, dort ist Gott im Empfinden des Menschen nah.

Wer das Wohlleben, ästhetisch und geistig wie kulinarisch liebt, wird die Wachau und ihre Genusskultur lieben und dann wohl auch an diesem reich illustrierten Buch mit seinen begeisternden Textierungen seine Freude haben. Eine Ode an das Schöne, für Genießer.

(Harald Schulz; 06/2004)


Mella Waldstein, Gregor Semrad: "Wachau"
NP-Verlag, 2004. ca. 176 Seiten, etwa 190 Farbfotos.
ISBN 3-85326-336-4.
ca. EUR 29,90. Buch bestellen