Franz Vranitzky: "Politische Erinnerungen"

"Es ist alles sehr kompliziert."

(Fred Sinowatz, vormals österreichischer Bundeskanzler)


Die Lebenserinnerungen des ehemaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky, Sohn eines Eisengießers aus Hernals, lassen ein interessantes Stück Zeitgeschichte aus der Perspektive eines großen Politikers wieder aufleben.
Durchaus kritisch betrachtet er die politische Entwicklung und liefert dem interessierten Leser einiges an Hintergrundinformation zu politischen Entscheidungen und politischen Würdenträgern. Trotz längst vergangener Zeiten schwingt in vielerlei Episoden immer noch Verärgerung mit. So etwa über einige Journalisten, die ihm aufgrund seiner Bekleidung die Qualität eines wahren Arbeiterführers absprachen oder Bemerkungen seitens Kreiskys, der ihm den Stempel eines Geldmachers aufdrückte.

Vranitzky, der Betriebswirtschaft studierte, bekleidet vor seinem Eintritt in die Politik wichtige Funktionen bei CA und Länderbank. In dieser Position gerät er immer wieder mit der eigenen Partei in Konflikt, da bei den Parteigenossen die Meinung vorherrscht, eine verstaatlichte Bank habe in erster Linie volkswirtschaftlichen Charakter und wäre nicht dazu da, betriebswirtschaftliche Ziele zu verfolgen.

Die sogenannte "Schimpansentheorie" widerspricht den Vorstellungen des Autors aufs Schärfste. Dabei wurden Vorstandsposten in der jeweiligen staatsnahen Gesellschaft dem politischen Kräfteverhältnis entsprechend besetzt, und nicht einmal bei der Nominierung eines Schimpansen hätten die anderen Parteien Einspruch erhoben.

Die Einführung der Individualsteuer im Jahr 1973 und die damit verbundene Absage an die Abhängigkeit eines Ehepartners, zumindest in steuerlicher Hinsicht, ist ebenso Thema wie die intensiven Kontakte Kreiskys zur arabischen Welt, die er eindrücklich beim Bau des Wiener Konferenzzentrums demonstriert, als einheimische Kreditinstitute bei der Finanzierung nicht zum Zug kommen.

Herrlich wird die Anekdote aus den Jahren 1976/77 geschildert, als Kreisky bei Vranitzky anfragt, ob dieser nicht Zentralsekretär Blecha bei der Abfassung des neuen Parteiprogramms behilflich sein möchte. Vranitzky reagiert auf dieses Ansinnen mit totaler Verblüffung und Kreisky, der das bemerkt, meint, die Wahl wäre auf ihn gefallen, da auch in den späten 50er Jahren der Generaldirektor-Stellvertreter der CA (Creditanstalt) diese Tätigkeit übernommen habe. Daher liege die Annahme auf der Hand, dass in einer derartigen Position ausreichend Zeit für anderweitige Betätigung vorhanden sei.

Seine elfjährige Amtszeit als Bundeskanzler gestaltet sich bewegt und von Zusammenarbeit mit vielen politischen Persönlichkeiten geprägt, deren Einstellungen und Vorgehensweisen nicht immer die Zustimmung Vranitzkys finden. So geht er mit einigen Regierungskollegen, selbst jenen aus der eigenen Partei, kritisch um und stößt mit notwendigen Maßnahmen immer wieder auf heftigen Widerstand, auch in den eigenen Reihen.

Franz Vranitzky versteht es auf spannende Weise, seine Erinnerungen an bahnbrechende Jahre, die außenpolitisch vom EU-Beitritt Österreichs, dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Jugoslawien-Krise geprägt waren, zu präsentieren. Auch innenpolitische Entwicklungen, wie etwa der Aufstieg der FPÖ unter der Führung Jörg Haiders werden ausführlich kommentiert. Insgesamt sind die "Politischen Erinnerungen" eine selbstkritische Auseinandersetzung mit einer spannenden Epoche österreichischer Zeitgeschichte.

(margarete; 03/2004)


Franz Vranitzky: "Politische Erinnerungen"
Zsolnay, 2004. 464 Seiten.
ISBN 3-552-05177-5.
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