Dick Harrison: "Verräter, Hure, Gralshüter"
Judas
Iskariot, Maria Magdalena, Pontius Pilatus und Josef von
Arimathäa
Geschichten und Legenden
Dick
Harrison brachte es bei der Beschreibung von vier biblischen Gestalten
auf einen stattlichen Umfang von 356 Seiten. Dieses Sachbuch wurde im
Deutschen vom Patmos-Verlag als gebundenes Buch veröffentlicht.
Schon diese Angaben zeigen, dass Dick Harrison, Professor für
Geschichte an der Universität Lund, sich viel Zeit genommen
hat, die Figuren, mit denen er sich befasst, aus den verschiedensten
Blickwinkeln heraus zu beleuchten, da das gesamte Buch auf die
Beschäftigung mit vier Personen beschränkt ist. Seine
Motivation dazu war unter anderem eine sehr persönliche, denn
Harrison gelangte zur Idee dieser Betrachtungen, als er selbst in
seinem persönlichen Umfeld die Stereotypen vorfand, die den
biblischen Figuren anhaften: Judas Iskariot, der falsche Freund, Maria
Magdalena, die Sünderin, der feige Vorgesetzte in der Figur
des Pontius Pilatus. Josef von Arimathäa schließlich
fand Eingang in das Buch, weil auch er einer der Nebendarsteller in den
Evangelien ist, der dennoch konkrete Benennung erfuhr. Wofür
stehen also diese vier Personen? Warum fanden gerade sie Eingang in die
Evangelien, und warum erfährt man über sie so einiges
in der Bibel, während auf der anderen Seite selbst
Jesus’ Biografie in Teilen unbeschrieben bleibt?
Harrison hat sich also auf eine Spurensuche begeben, um das Geheimnis
des "Erfolges" dieser vier Figuren zu lüften.
Der Autor schöpft aus einem beinahe unerschöpflich
wirkenden Fundus. Obwohl nur zu Pilatus auch historische Quellen
herangezogen werden können, bringt Harrison nicht allein die
bereits bekannten Bibelstellen aus den Evangelien zur Charakterisierung
ein. Er greift auf weitere Bibelstellen und gar auf weitgehend
unbekannte und
nicht anerkannte Evangelien zurück, wirft einen
Blick auf Legenden über diese Personen und beobachtet diese im
Wandel der Zeit, beachtet internationale Unterschiede bei den
Auffassungen der Menschen zu diesen Bibelcharakteren und prüft
Darstellungen aus der Kunst.
Aus all diesen Materialien kreiert Harrison ein Bild der jeweiligen
Figur und charakterisiert sie darüber. 2001 erhielt der Autor
den schwedischen Hertig-Karls-Preis für seine
Erzählkunst und die Leuchtkraft seiner Sprache, und so
versteht er es, den Leser mit all seinen gewonnenen Informationen und
Erkenntnissen blendend und spannend zu unterhalten, lädt zu
einem Blick über den Tellerrand hinaus ein und wirkt dabei
niemals fade.
Auffallend ist zudem, dass Harrison sich um eine möglichst
objektive Darstellung bemühte. So stellt er kaum einmal eine
bestimmte Betrachtungsweise offen erkennbar in den Vordergrund, sondern
überlässt dem Leser die Möglichkeit, seine
eigenen Schlüsse zu ziehen. Genau dieses Vorgehen ist jedoch
zugleich der größte Kritikpunkt am Buch: Die
Beachtung aller möglichen Auffassungen und deren Darstellung
sorgt unweigerlich für Wiederholungen, die nach einer gewissen
Zeit der Lektüre negativ auffallen. Sicherlich
erklärt dies - neben den umfangreichen Zitaten - den Umfang,
in dem
Judas Iskariot, Maria Magdalena,
Pontius Pilatus und Josef von
Arimathäa beschrieben werden, denn jedem von ihnen sind
fünfzig bis hundert Seiten im Buch gewidmet, es ist jedoch
festzustellen, dass man - auch unter Beibehaltung objektiver
Darstellungsweise und inklusive Zitaten - den Gesamtumfang noch
deutlich hätte reduzieren können. Nun, vielleicht
wäre es dann nicht mehr ein Buch des gängigen
Umfangs, förderlich wäre es aber in jedem Fall
gewesen.
Von dieser Kritik abgesehen ist Harrison jedoch ein wirklich
unterhaltsames und informatives Sachbuch gelungen, dem man die dem
Autor bescheinigte Erzählkunst rasch anmerkt.
(Tanja Elskamp; 03/2007)
Dick
Harrison: "Verräter, Hure, Gralshüter"
(Originaltitel "Förrädaren, skökan och
självmördaren.
Historien om Judas Iskariot, Maria Magdalena, Pontius Pilatus och Josef
av Arimataia")
Aus dem Schwedischen von Ingrid Bohn.
Patmos, 2007. 356 Seiten.
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