Jules Verne: "Reise um den Mond"
Herausgegeben von Volker Dehs
Und
wenn sie nicht gestorben sind ...
... dann reisen und dann kreisen sie noch heute um den Mond, die
unverwüstlichen Helden Jules Vernes. Und so ist es. In
wievielter Auflage mittlerweile, das entzieht sich meiner Kenntnis.
Wie aber ist es zu verstehen, dass ein Autor wie Jules Verne bis heute
die Lesergenerationen in seinen Bann zieht? Was unterscheidet Jules
Verne von seinen Vorgängern, seinen Epigonen und Nachfahren,
die sich ebenso wie er dem Thema
"Reise zum Mond" angenommen haben?
Warum haben ausgerechnet seine Werke überlebt und sind zu
Klassikern geworden, während andere der Vergessenheit anheim
fielen? Wo er doch keineswegs der erste Autor war, der seine Fantasie
in das Thema Weltraumfahrt hat fließen lassen, wie es
unzweideutig aus der Zeittafel hervorgeht, die uns einen nahezu
lückenlosen Überblick über die
frühe Science Fiction-Literatur, speziell
jener zum Thema Mondfahrt verschafft. Zumal Verne in seiner "Reise um
den Mond" auf spektakuläre Ereignisse und Erscheinungen wie
Mondmenschen, Weltraumungeheuer und dergleichen komplett verzichtet
hat. Für mich bleibt dies ein ungeklärtes
Phänomen, aber ich bin ja auch ein wenig voreingenommen, da
mich die Werke Jules Vernes eingestandenermaßen noch nie
besonders faszinieren konnten. Verne erklärte einmal in einem
Interview (in Auszügen abgedruckt in der Zeittafel
vorliegender Ausgabe), in welchem er einen Vergleich zwischen sich und
seinem Kollegen H.G. Wells zieht: "Ich sehe H.G. Wells als einen allein
der Fantasie verpflichteten Schriftsteller, der dafür
höchstes Lob verdient, aber unsere Vorgehensweisen sind
grundsätzlich verschieden. In meinen Romanen stütze
ich mich bei den sogenannten Erfindungen immer auf eine Grundlage
realer Fakten und benutze bei ihrer Anwendung Methoden und Materialien,
die nicht die Grenzen der zeitgenössischen
Möglichkeiten und technischen Kenntnisse
überschreiten." Gerade diese sich selbst auferlegte
Beschränkung auf die damals gültigen Lehrmeinungen
aus Technik und Wissenschaft, die natürlich von den rasch
fortschreitenden Naturwissenschaften und ihren technischen Anwendungen
schon bald eingeholt und für ungültig
erklärt wurden, müsste doch eher nahe legen, dass
Jules Vernes Romane ebenso schnell der Vergessenheit anheim gefallen
wären, um dann vielleicht auf einem Abstellplatz in
irgendeinem Raritätenkabinett zu verstauben. Nun, die Leser
haben anders entschieden und ein eindeutiges Votum für
Monsieur Verne abgegeben.
Wer waren und wer sind diese Leser? Hauptzielgruppe für Jules
Vernes Romane waren zunächst Jugendliche beziehungsweise junge
Erwachsene, denen er wohl mit Hilfe seiner Geschichten die technischen
Wissenschaften
nahe bringen wollte. Darauf verweisen unter anderem, speziell in diesem
Roman "Reise um den Mond" die ausführlichen Debatten seiner
drei Mondreisenden, die technisch-physikalische Probleme in ihren
Köpfen wälzen, um lang und breit darüber zu
debattieren, oder die sich in absonderlichen Perspektiven für
die zukünftige Raumfahrt ergehen, die heute allenfalls noch
ein mitleidiges Lächeln hervorrufen können. Dies gilt
im Grunde aber nur für zwei der drei Reisenden, zwei
Wissenschaftler. Der dritte im Bunde, mehr ein Abenteurer, ein Kunst-
und Genussmensch, der Franzose Michel Ardan, hat die Rolle eines
Gegenspielers zugewiesen bekommen. Aber die Komik, die er durch seine
flapsigen Bemerkungen in die Diskussion trägt, kommt
für mich wenig überzeugend und scheint eher von
Albernheit geprägt.
Trotz all seiner kühnen Perspektiven klingen aber auch bei
Verne Zweifel an einer Omnipotenz der Wissenschaft immer wieder an. Die
Wissenschaftler, Techniker und Planer der Reise zum Mond gehen zum Teil
von falschen Voraussetzungen aus oder stellen ungenaue, wenig
zuverlässige Berechnungen an. Volker Dehs weist in seinem
Nachwort darauf hin, dass allein die wissenschaftlichen Themen die
Gespräche an Bord des Mondprojektils beherrschen, dass
beispielsweise Themen religiöser oder spiritueller Art ganz
ausgeklammert werden, was angesichts einer solchen Himmelfahrt schon
erstaunlich ist.
Eine sowohl interessante als auch kuriose Zugabe hat dieser Band der
neuen Verne-Ausgabe - es handelt sich übrigens um den vierten
Band dieser Edition - noch zu bieten: den dritten Akt des
Theaterstücks "Reise durch das Unmögliche", das Jules
Verne gemeinsam mit Co-Autor Adolphe d’Ennery im Jahr 1882
verfasst hat. Dieser dritte Akt, der hier zum ersten Mal in deutscher
Übersetzung erscheint, hat eine Reise in den Weltraum zum
Inhalt, die ersten beiden Akte behandeln die
Reise
zum Mittelpunkt der Erde
sowie die Tauchfahrt in die
Tiefsee (20.000 Meilen unter den Meeren). Das Stück wurde ein
Misserfolg, hatte allerdings auch nichts anderes verdient, denn es ist
auch
in meinen Augen ein absoluter Schmarren, hat aber wohl Jules Vernes
Renommee nicht schaden können.
Insgesamt ist die Ausstattung dieser neuen Ausgabe als vorbildlich zu
bewerten, sie bietet sämtliche Illustrationen der
französischen Originalausgabe, ist mit einer Vielzahl von
erläuternden Anmerkungen versehen, die bereits
erwähnte Zeittafel gibt einen beeindruckenden
Überblick über die erstaunliche Fülle von
Mond- und Weltraumliteratur schon in früher Zeit, und zudem
kann das Buch auch noch mit einer deutschen
Erstveröffentlichung aufwarten, dem dritten Akt des kuriosen
Theaterstücks "Reise durch das Unmögliche".
(Werner Fletcher; 04/2007)
Jules
Verne: "Reise um den Mond"
Aus dem Französischen neu übersetzt von Claudia
Kalscheuer.
Mit sämtlichen Illustrationen der französischen
Originalausgabe.
Mit einem Nachwort, Anmerkungen, Zeittafel und Materialien zur
Entstehung.
Patmos Verlag, Reihe Winkler Weltliteratur, 2007. 382 Seiten.
Buch
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