H.R. Giger (Hrsg.): "Vampirric"
Die unheimlichsten
Vampirgeschichten
(Hörbuchrezension)
Gänsehaut für die Ohren von H.R.
Giger
"Ich frage mich, ob nicht jedes Dasein auf der Welt
vampirric ist. Denken Sie in Ruhe über das Ausmaß dieser Erkenntnis nach. Für
mich gibt es kaum etwas, das mich mehr erschreckt", führt H.R. Giger ohne
Vorwarnung den Hörer von "Vampirric" in Versuchung, in der nach
philosophischem Herumgeirre der Irrsinn oder aber eine irrsinnige Erkenntnis
lauern kann, je nach persönlichem Blickwinkel. Denn ist es allem Dasein ohne
Einschränkung gestattet, den Blutdurst zu stillen, nur um die eigene Existenz
fortzuführen, verflüchtigt sich die Grenze von Gut und Böse, aus klar umrissenem
Weiß und Schwarz wird zwielichtiges Grau, die Untoten verlieren an Schrecken,
die Lebenden legen hingegen kräftig daran zu.
Kaum verwunderlich, dass
der Mann mit dem schwyzerdütschen Zungenschlag (so könnte Erich von Däniken nach
übermäßigem
Absinthgenuss
klingen) schon oft in den schwefelumflorten Geruch des Satanisten gekommen ist -
H.R. Giger selbst verneint dies beharrlich. H.R.? Blasphemisches Kürzel? Nein.
Konsonantenanlehnung an
H.P.
Lovecraft? Vielleicht. Profane Initialsetzung für Hans Ruedi? Die Antwort!
Der 1940 in Chur geborene Autor des "Necronomicon" schreibt und
illustriert nicht nur, auch eine umfangreiche Anzahl an Öl- und
Spritztechnik-Bildern samt schaurig-biomechanischen Skulpturen macht sein Oeuvre
aus. "Gebärmaschine", "Harkonnen-Stuhl" oder glibbrig-ätzende "Alien"-Monster -
all das entsprang der Fantasie des H.R. Giger - und auch "ARh+", ein 1971
erschienenes literarisches Frühwerk. Erraten, es geht um Blut - und damit ist in
des Meisters Schaffen der farbliche Bogen von kaltem Grün und monochromatischen
Orgien an metallnem Grau zum süffigen Rot gespannt. Blut ist jene Ressource, um
die sich in "Vampirric" alles dreht. Sechs verschiedene Erzählungen um
den kostbaren Lebenssaft hat H.R. Giger für dieses Hörbuch ausgewählt. Er selbst
agiert als Ideen spendender Erzähler in den Übergängen zwischen den Geschichten
- ein wenig nach der Art des Narrators aus der "Rocky Horror Picture
Show".
1. "Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts" von
Thomas Ligotti
Der amerikanische Schriftsteller Thomas Ligotti (geb.
1953) kommt nach Meinung mancher so etwas wie einem zeitgenössischen Edgar Allan
Poe gleich. Vielleicht sind seine Geschichten sogar mehrdimensionaler als jene
des großen Horror-Idols. "Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts"
ist auf alle Fälle die wortschönste Erzählung auf "Vampirric". Vom
Sprachstil wohl ausgefeilt und kunstvoll, bereitet es eine schaurig-spannende
Freude, dem von Lutz Riedel gelesenen Ich-Erzähler André zuzuhören. Giger liegt
richtig, wenn er mit "Lauschen Sie und kommen Sie dem Wahnsinn ein Stück
näher" zum akustischen Entree bittet. Besagten André langweilt sein
Halbleben irgendwo in einem Herrenhaus an einem abgelegenen amerikanischen See.
Nur "Tante T." und ein greiser Butler umgeben ihn. Im Laufe seiner Introspektion
gibt André die eigene Vergangenheit preis. Beide Elternteile entstammten
wohlhabenden Familien aus Aix-en-Provence. Beim Studium an einer amerikanischen
Elite-Universität verquickte das Schicksal ihre Wege, ehe das Paar wieder nach
Frankreich zurückkehrte, wo das Unheil seinen Lauf nahm. Andrés Vater starb vor
seiner Geburt an einem Schlaganfall, die Mutter wurde hochschwanger gepfählt -
mitten ins Herz - sie war als Vampirin überführt worden: "Ich bin ein Kind
der Toten. Meine Ahnenlinie geht über die Zeit hinaus", erklärt André voller
Schwermut. Zofe Thérèse hatte ihn aus dem Leib der toten Mutter entbunden, sich
als seine Tante und Vermögensverwalterin ausgegeben und ihn nach Amerika in
Sicherheit gebracht. Erst versuchte "Tante T.", ihn mit normaler Kost
großzuziehen, die sein Organismus allerdings nicht behalten konnte. Deswegen
stieg sie schon bald auf Blutpüree um. André ist weder Mensch noch Vampir.
"Am besten würde sich die Darstellung meines Lebens als abstraktes Gemälde
machen. Eine Zwielichtwelt mit verschwommenen Rändern und ohne Zentrum oder
Fokus (...) Eine dämmrige Existenz, einfach nur ein ruhiger Hafen zwischen der
Hysterie des Lebens und der beharrlichen Dunkelheit des Todes", beschreibt
der moribunde Erzähler sich selbst. Er lehnt es ab, beseelter Mensch oder
seelenloser Vampir zu sein. Beide sind für André "ermüdende Polaritäten,
langweilige Gegensätze, die sich nicht mehr von einander unterscheiden als ein
Paar hirnloser Monozygoten". "Ich verachte ihre billigen Einladungen. Ich
sage nein zum Leben und nein zum Tod; nein, Herr Frühlingsknospe und nein, Herr
Wurm". Das Einzige, wonach André wirklich hungert, ist das "astrale
Bankett der Kunst", jene "Schlemmerei für Geist und Seele". Er
verbraucht Privatlehrer um Privatlehrer. Immer wieder stellt Ligotti auf einer
Zwischenebene den Bezug zu Paul Cézanne her, der ebenfalls aus Aix-en-Provence
stammte. Andrés Müßiggang in der Zwischenwelt nimmt ein jähes Ende, als die
Familie Duval in der alten provenzalischen Heimat aufbricht, um ihn in Amerika
zu besuchen. Bei ihrer Ankunft vernimmt er im Halbschlaf schrecklich anmutende
Laute. Tags darauf findet das "Halbblut" den verstümmelten Leib von Thérèse,
umlagert von kalten, gierigen schwarzen Schemen, die an den Wänden kauern. Ein
surreales "Schachspiel" folgt, und in André tut sich ein unauslotbarer Abgrund
auf; eine neue Realität, schlimmer als jeder Alb, beschließt Ligottis
Erzählung.
2. "Das Federkissen"
von Horacio Quiroga
Der
Uruguayaner Horacio Quiroga (1878-1937) lebt ein Leben, das selbst Stoff für
eine Tragödie böte. Als er noch ein Kind ist, wird sein Vater irrtümlich
erschossen, der Stiefvater erschießt sich Jahre danach. Horacio selbst tötet
einen Freund aus Versehen beim Gewehr Reinigen. Später versucht er sich als
Baumwollpflanzer, scheitert und wird Lehrer. Er heiratet eine Schülerin. Die
beiden der Ehe entstammenden Kinder begehen Suizid. Bald darauf nimmt seine Frau
Gift und siecht eine Woche qualvoll dahin, ehe sie stirbt. Als bei ihm selbst
Magenkrebs diagnostiziert wird, scheidet Horicio Quiroga mit Zyankali aus dem
Leben. Nur wer sich diese unglaublich unheilsschwangere Lebensgeschichte bewusst
macht, kann die Erzählung "Das Federkissen" in vollem Umfang
verstehen.
Es geht darin um Alicia und Jordan, ein frisch vermähltes Paar. Alicia steht
unter keinem guten Stern: "Ihre Flitterwochen waren ein einziges Frieren.
Ein blondes und engelsgleiches schüchternes Wesen wie sie musste durch das eisige
Gemüt ihres Mannes aus den naiven Träumereien der Brautzeit gerüttelt werden,
dennoch liebte sie ihn sehr, obwohl sie zeitweise ein eisiges Frösteln überkam
...". Als die Frischvermählte in das palastartige, ungemütliche Haus ihres
Mannes einzieht, beginnt sie krank zu werden. Galoppierende Anämie und Delirium
treten ein. Ihr Zustand verschlimmert sich gänzlich ab dem Moment, ab dem sie
ihr Kopfkissen nicht mehr aufschütteln lässt. Was sich blutsaugend zwischen
den Daunen verbirgt, würde Gigers Aliens alle Ehre machen.
3. "Der Vampyr" von Leonhard Stein
Kurz
nach dem Ersten Weltkrieg erschien Leonhard Steins Kurzgeschichte "Der
Vampyr". Näheres über den Autor ist nicht bekannt. Ein mysteriöser Mann
(oder eine männermordende Frau unter einem Pseudonym), gut passend zum
Schreibgenre. Handlungstragender der Geschichte ist Herr Samassa, der in einer
Anwaltskanzlei arbeitet. Der erfolgreiche Frauenschwarm beschließt, die hübsche
Klara Gärtner zu ehelichen. Doch es soll anders kommen. Just da er in den Stand
der Ehe treten will, taucht eine neue Schreibkraft im Anwaltsbüro auf. Die
vorerst wenig attraktive Dame macht Samassa Avancen, die dieser brüsk übergeht.
Aber die blasse, ausgezehrte Rothaarige mit dem gebückten Gang scheint ihn zu
verfolgen, sie schlägt in seinem Wohnhaus Tür an Tür Quartier auf. Nächtens,
wenn Samassa in fiebrigen Schlaf verfällt, scheint es ihm, als käme die
Rothaarige an sein Bett und würde ihm das Blut aus dem Körper schlürfen.
Allmorgendlich wird Samassa schwächer und schwächer, verfällt zusehends, während
seine einst unansehnliche Kollegin sich zur Schönheit mausert. Dem Lebemann wird
sein Leben förmlich ausgesaugt, und der Zuhörer weiß, was los ist - die femme
fatale ist natürlich eine Vampirin. Fast mutmaßt man,
Franz Kafka und
Sigmund
Freud hätten in "Der Vampyr" gemeinsam zur Feder gegriffen. Die Erzählung
kostet nicht nur die Ohnmacht des Individuums bis zur Neige aus, sondern steckt
auch voller symbolisierter sexueller Fantasien. Beim Zuhören wurde der Rezensent
an ein Bild des norwegischen Expressionisten Edvard Munch erinnert - es trägt
den bezeichnenden Namen "Vampir" und zeigt eine rothaarige Frau, die halb
tröstend, halb bedrohend ihren Mund an den Hals eines gebeugten Mannes
setzt.
4. "Der Untote" von Amelia Reynolds Long
Eine
Bewertung dieser Kurzgeschichte kann leicht unfair ausfallen, denn von den
inhaltlichen Requisiten entspricht sie zwar perfekt der gotischen Schauernovelle
in all ihrer düsteren Anziehungskraft, vom Verlauf ist sie allerdings nach
wenigen Sätzen vorhersagbar, was den Reiz am weiteren Zuhören schmälert. Alles
dreht sich um ein düsteres Familiengeheimnis der Familie Thorne, mit dem der
junge Ich-Erzähler Michael konfrontiert wird. Er selbst ist Mitglied der
"Gesellschaft für psychologische Forschung", einer jener grenzwissenschaftlichen
Zirkel in der Spätzeit des viktorianischen Zeitalters. Wobei der Rezensent
unverfroren mutmaßt, dass im englischen Original möglicherweise "psychic" stehen
könnte, nicht "psychological", was dem X-Akten-Charakter Michaels mehr
entsprechen würde. Wie dem auch sei, kurz zur Handlung: Um dem sich
verschlimmernden mysteriösen Leiden seines Gastgebers Henry auf den Grund zu
gehen, wagt sich Michael in bester Fox-Mulder-Manier in das Dunkel der Nacht.
Ein fahler Besucher aus Tibet erscheint am abgelegenen Familiensitz der Thornes,
ein Wesen mit fledermausflügelartigem Umhang schwirrt durch die nächtlichen
Schlosskorridore - und im Turmzimmer geht es auch nicht mit rechten Dingen zu.
Tja, das Turmzimmer: Gräfin Báthory saß in
einem solchen ein, schwarze Magier in Märchen und Legenden nützen es ebenso
gerne als Domizil. Und der Fremde aus
Tibet? Wiedergänger sind auch am Dach der
Welt bekannt, Tulpas heißen sie dort. Irgendwie erinnert "Der Untote" an
Geschichten Sir Arthur Conan Doyles, wenngleich deren Spannung gebärende
Drehungen und Wendungen fehlen.
Dabei wirkt Amelia Reynolds Long (1904-1978)
nach kurzer Internet-Recherche als überaus interessante Literatin. Die Dame aus
dem US-Bundesstaat Pennsylvania schrieb nicht nur Horrorgeschichten ("The
Thought Monster"), sondern war in den 1930ern einer der ersten weiblichen
Science-Fiction-Autoren ("When the Half Gods Go", "Reverse Phylogeny") -
mit Hang zu außergewöhnlicher Poesie ("Lucifer’s Reply"). Um ihre Bücher
nicht sexistischen Vorurteilen auszusetzen, publizierte die Long ihre Vornamen
unter den Unisex-Initialen A.R. (J.K. Rowling griff zu Beginn ihrer Karriere zur
selben Vorsichtsmaßnahme). Die nähere Auseinandersetzung mit Longs Werk könnte
sich als sehr befriedigend erweisen.
5. "Das Grabmal auf dem Père
Lachaise" von Karl Hans Strobl
Am 13.3.1913 - welch unglückseliges
Zahlenspiel! - segnet die russische Aristokratin Anna Feodorowna Wassilska das
Zeitliche. Sie wird auf dem Pariser Künstlerfriedhof Père Lachaise beigesetzt,
in einer Marmorgruft mit seltsamen Symbolen und einer Kupferplatte, die wohl so
etwas wie die Pforte ins Reich der Albträume darstellt. Jener wagemutigen
Person, die einwilligt, ein Jahr in ihrem unterirdischen Grabmal zu verbringen,
hat die Wassilska zweimal hunderttausend Francs testamentarisch vermacht.
Der
ehrgeizige aber brotlose junge Wissenschafter Ernest willigt in die seltsame
Abmachung ein. An einem sonnigen Augusttag bezieht er die kalte Ruhestatt. Außer
mit Ivan, dem pockennarbigen tatarischen Diener der verstorbenen Russin, ist ihm
mit niemandem zu sprechen gestattet. Ivan ist es auch, der ihn zweimal täglich
fürstlich mit Nahrung versorgt. Während seines Jahres im "Untergrund" will
Ernest das System der Wissenschaft revolutionieren, vor allem das der optischen
Physik. Doch allnächtlich werden seine Notizen von einem unerklärlichen Windstoß
in Unordnung gebracht, erst glaubt er, es wäre der "Äther", doch der ist es
nicht.
Im Laufe der Geschichte gibt Ernest Details vom Leben seiner toten
Gönnerin preis. Aus den kargen russischen Weiten war sie ins mondäne Paris
gekommen, um rauschende Feste zu veranstalten. Madame Wassilska hatte eine
bizarre Vorliebe, Zofen mit spitzen Nadeln zu quälen. Ein Ölgemälde zeigt sie
hüllenlos am offenen Fenster: kalte Augen, üppige Lippen, grausames "La
Gioconda-haftes" Lächeln, lange, spitze, fast krallenartige Finger. Außerdem
sammelte die Dame Aktmalereien und Porzellanfigürchen - Zweitere natürlich
ebenfalls im Adam-und-Eva-Kostüm. Wenngleich der geübte Rezensionsleser schon
längst weiß, dass Anna Feodorowna Wassilska gewiss eine Tochter
Liliths war.
Die Handlung schreitet in gotischer Manier ihrem düsteren Höhepunkt
entgegen. Ein Zettel mit der Notiz "Der Atem der Katechana" gibt Rätsel auf. Und
Ernest erhält von Ivan so reichlich an Nahrung, als sollte er gemästet werden.
Gespenstisches grünes Leuchten oder Steinblöcke, die zu Gallert werden, all das
spielt sich in der Russin Grab am Père Lachaise ab. Ernest ging mit der
Wassilska einen faustischen Pakt ein, die Verblichene selbst wirkt wie eine
unheilige Kombination aus Zarin Katharina der Großen und Blutgräfin Elisabeth
Báthory. Natürlich fehlt auch der Querverweis zum nekrophilen Sergeanten Bernard
nicht, der schon in
Basil Coppers
"Der Vampir in Legende, Kunst und Wirklichkeit" seinen Auftritt hat.
Schlussendlich schwingt ein Quäntchen von Edgar Allan Poes Urangst mit, nämlich
lebendig begraben zu sein.
Schöpfer von "Das Grabmal auf dem Père
Lachaise" ist der Österreicher Karl Hans Strobl (1877-1946), der in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche historische bzw. schaurige Werke
("Gespenster im Sumpf", 1920) veröffentlichte.
6. "Der
Horla" von Guy de Maupassant
Vom der Dynamik des Erzählstils her ist
de Maupassants Vampirgeschichte die beste der sechs Episoden auf
"Vampirric", wenngleich der Horla gar keinen Vampir im klassischen Sinn
abgibt. Blut interessiert ihn nämlich gar nicht, er bevorzugt Wasser, Milch und
vor allem eines: Gedanken!
Der Ich-Erzähler beginnt seine in Tagebuchform
verfasste Leidensgeschichte an einem 8. Mai, irgendwo bei Rouen, an der Seine,
unter einer mächtigen Platane sitzend. Idylle pur. Ein strahlend weißer
Dreimaster aus Brasilien fährt flussabwärts. Und damit fängt alles Übel an. Von
Bord geht nämlich eine seltsame Entität, die der Erzähler erahnt, aber nicht
näher fassen kann: "Man hat das Gefühl, die unsichtbare Luft sei erfüllt von
nicht wahrnehmbaren Gewalten und Mächten." Drei Tage später setzen
unerklärliche Depressionen ein, die sich zur körperlichen Krankheit verdichten.
De Maupassants Erzähler wacht nächtens schweißgebadet auf, hat das Gefühl, ein
seltsames Wesen sitze auf seinem Brustkorb und sauge ihm das Leben von den
Lippen. Völlig paralysiert ist er zur Gegenwehr unfähig. Einzig und alleine ein
Ortswechsel bringt Genesung, zuerst geht es zum Mont Saint Michel, später nach
Paris. Doch sobald der junge Mann zurückkehrt, setzen die Krankheitssymptome
umso stärker ein. Macht er einen Spaziergang durch die Waldallee, heftet sich
das personifizierte Unheil - mit menschlichen Sinnen nicht erfassbar - auf seine
Fersen; wie ein bedrückender Schatten. Schläft der Erzähler, ist morgens seine
Wasserflasche wie von Geisterhand geleert, auch die Milch im Glas fehlt, während
Brot oder Erdbeeren allemal unberührt bleiben. Buchseiten blättern sich
scheinbar von selbst um, Rosenknospen knicken ab und schweben in Nasenhöhe,
Gläser zerbrechen in der Vitrine. Der Horla zeigt sich als Meister des
Psychoterrors. Dem Wahnsinn ins Antlitz starrend legt sich der Ich-Erzähler
allerlei rationale Erklärungsmodelle parat: Schlafwandelei,
Mesmerismus,
Autosuggestion. Er will einfach nicht an die scheinbar unmögliche und
unsichtbare Wesenheit glauben, solange bis diese immer mehr das Kommando über
seine Gedanken übernimmt und Befehle erteilt. Ein dramatischer innerer wie
äußerer Abwehrkampf strebt einem feurigen Finale zu.
Guy de Maupassants Horla
ist kein spitzgezahnter Blutsauger, sondern eine Art Energievampir. Psychiater
mögen aus der Erzählung vielleicht auch eine paranoide Schizophrenie des
Ich-Erzählers heraushören. Was der Horla genau ist, woher Seinesgleichen stammen
könnte, das legt de Maupassant nicht dezidiert fest, er überlässt dem Zuhörer
die Entscheidung - sofern dieser im trauten Zimmer nicht schon misstrauisch
seine Sinne auf verdächtige Lufthauche fokussiert.
Mit einem höhnischen
Lachen H.R. Gigers klappt der akustische Deckel des Hörbuchs zu. Wer nach
"Vampirric" Blut geleckt hat, dem sei das Museum des surrealistischen
Alien-Vaters im Château St. Germian in Gruyères ans dunkle Herz
gelegt.
(lostlobo; 12/2005)
H.R. Giger (Hrsg.), Lutz Riedel (Sprecher), Helmut
Krauss (Sprecher): "Vampirric"
Lübbe Audio, 2005. 4 CDs. (Gekürzte
Lesung)
ISBN 3-7857-3060-8.
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Hans Rudolf Giger, geboren am 5.
Februar 1940, wurde durch seine Arbeit für den Film "Alien", die ihm einen Oscar
einbrachte, bekannt. Lien zur Netzseite von HR Giger: https://www.hrgiger.com/.
Buchtipp:
"HR Gigers
Vampirric"
Ausgewählt und mit einem Vorwort von HR Giger persönlich: 23
Vampirgeschichten, u. a. von Carl Jacobi, Nancy Kilpatrik, Elisabeth Engstrom,
Malte S. Sembten, Brian Lumley, Brian Hodge, Basil Copper, Robert E. Howard,
Leonhard Stein, P. N. Elrod und Brian Stableford.
Inhalt:
HR Giger:
Vorspiel
Carl Jacobi: Schwarze Offenbarungen
Nancy Kilpatrik: La
Diente
Eric Count Stenbock: Die wahre Geschichte eines Vampirs
Elisabeth
Engstrom: Erkenne dich selbst!
Karl Hans Strobl: Das Grabmal auf dem Père
Lachaise
Malte S. Sembten: Der Blutfalter
Brian Lumley: Necros
Amelia
Reynolds Long: Der Untote
Edward Heron-Allen: Noch eine Squaw?
Michael
Siefener: Der Egelgott
Catherine Lucille Moore: Shambleau
Brian Hodge: Das
letzte Testament
Guy de Maupassant: Der Horla
Lafcadio Hearn: Der Fall
Chûgôrô
Basil Copper: ... und dann begrub ich ihn
Christian von Aster: Im
Nagerparadies
Mary E. Wilkins-Freeman: Luella Miller
Thomas Ligotti: Die
verloren gegangene Kunst des Zwielichts
Horacio Quiroga: Das
Federkissen
Robert E. Howard: Der Garten der Furcht
Leonhard Stein: Der
Vampyr
P. N. Elrod: Slaughter
Brian Stableford: Der Mann, der die
Vampirfrau liebte
(Festa)
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