Basil Copper: "Der Vampir in Legende, Kunst und Wirklichkeit"
Bei Untoten spielen ein paar Jährchen mehr oder weniger bekanntlich
kaum eine Rolle. Dieser zeitlose Zugang scheint auch bei Büchern über
sie Gültigkeit zu haben. Basil Coppers Werk erschien im englischen
Original bereits 1973, die deutschsprachige Taschenbuchübersetzung
brauchte 32 Jahre bis zur Erstauflage. Jetzt endlich geht auch in
heimischen Gefilden der Sargdeckel quietschend hoch, um alte Phantasmen
und Legenden auferstehen zu lassen. Der Buchumschlag - dominiert von
Schwarz und Rot samt fahlen weißen Lettern - gibt die Richtung vor. Als
Wegbegleiter in das Herz der Dunkelheit scheint der Brite und
Krimiautor Basil Copper gut gewählt. Also,
Knoblauch zur Seite, auf geht's.
Inkubus im Dunkel der Zeiten
"Niemand kann sagen, wie die Legende des Vampirs geboren wurde. Sie scheint
in den unterschiedlichsten Ländern beheimatet und wurde in verschiedenen Epochen
der Geschichte von unwissenden und halbgebildeten Menschen vollkommen ernst
genommen", subsumiert Copper über den Ursprung des Vampirmythos im Dunkel
der Geschichte. Jünger der Blutromantik wie auch gestandene Hämophile werden
ob dieser Intelligenz absprechenden Worte den Fang aufblitzen lassen. Wenngleich
nur kurz, man will ja schließlich von der sterblichen Masse nicht unbedingt
enttarnt werden. "Vampir!", ein von Copper in Lettern gepresster Schreckensruf.
"Welch furchtbaren Klang besaß dieser Name in der jeweiligen Sprache (...)
Schon seit grauer Vorzeit bezeichnet dieses Wort einen Inkubus, der sich ernährt,
in dem er lebendigen Kreaturen das Leben aus den Adern saugt." Wenig nobel
lässt Copper hier die Lamien und Succuba außer Acht, die Weibsteufel der Antike.
Schon alleine der Gedanke an ihre nächtlichen Heimsuchungen löste bei manch
einsamem Hirten oder Mönch wohlige Blutströme aus. Angeführt ist hingegen das
Kruzifix, irgendwann kam es zur Legende hinzu, als Bannmittel körperlicher Verlockungen.
Ein Schutzkreis aus Weihwasser soll untote Wüst- wie Lüstlinge ebenfalls fernhalten,
Knoblauch dito. Besonders hartnäckigen Herzensbrechern aus der Zwischenwelt
muss ihr Pumporgan gepfählt werden. Um auf Nummer sicher zu gehen, rät die Legende,
den Vampir auch noch zu köpfen und die separierten Leichenteile allesamt zu
verbrennen.
Die Erweckung des Blutadels
In der Literatur des 19. Jahrhunderts geht es weit distinguierter zu.
John William Polidori, Leibarzt seines Idols Lord Byron, wird die Ehre
zuteil, das Genre der Vampirliteratur zu begründen. Es geschieht im
Sommer des Jahres 1816, am Genfer See, in der Villa Diodati. Byron,
Polidori, Percy Bysshe Shelley und Mary Wollstonecraft erzählen sich in
gewittriger Nacht aus dem Stegreif Schauergeschichten. Es wird
gemunkelt, es wäre noch etwas Fünftes dabei gewesen: Laudanum. Wie auch
immer, Mary (durch Heirat mit Percy späterhin
Mary Shelley) erfindet
"Frankenstein" (1818 veröffentlicht),
während Polidoris Kopfgeburt "Der Vampir"
(am 1. April 1819 in einem Magazin erschienen) Lord Ruthven entstehen
lässt. Dieser schwermütig dreinblickende Adlige zieht einen jungen
Mann, Aubrey, immer mehr in den Bann und schlussendlich in den Abgrund.
Polidoris Projektion der eigenen Beziehung zu Byron? 1847 macht ein
neuer Untoter von sich reden, Thomas Preskett Prests "Varney, der Vampir",
der in 220 Kapiteln für schier nicht enden wollenden Horror sorgt. 1872 schickt der irische Autor Sheridan Le Fanu
"Carmilla"
als erste Vampirin in die Buchwelt der Lebenden. Ihre schwarze Kutsche
bringt die blasse Schöne nicht etwa in die düsteren Karpaten, nein, in
die grüne Steiermark, zum Schloss der Karnsteins. Zwischen der
hypnotischen Carmilla und der dahinsiechenden Erzählerin entsteht ein
seltsam inniges Abhängigkeitsverhältnis. Thanatos und Eros vereint.
Literarische Vernetzer dürfen jetzt spekulieren, ob Le Fanus Karnsteins
irgendwie in Blutlinie zu Bram Stokers (ebenfalls Ire) in Graz
ansässiger Gräfin Dolingen (aus "Dracula's Guest") stehen.
Warum gerade zwei Schreiber von der Grünen Insel ihre
Schauererzählungen in der Grünen Mark ansiedeln, bleibt genregerecht
rätselhaft. Stichwort Bram Stoker: Mit seinem im wilden Transsilvanien
beginnenden und im nebelverhangenen London endenden Blutepos "Dracula"
(1897 erstveröffentlicht) wird der passionierte Theatermann zum
Übervater der Vampirliteratur. Bis heute konnte kein anderer Blutsauger
mit dem untoten Grafen Vlad erfolgreich die Reißzähne kreuzen.
"Ungerecht", sinniert der Rezensent. Vampirismus scheint Erbrecht des
Adels zu sein. Oder hat schon mal jemand von einem Clochard gehört, der
nach Einsetzen der Dämmerung Jungfrauen in seinen Bann ziehen darf?
Werwolf, ziemlich sicher von Räude geplagt, wäre hier wohl das äußerste
Zugeständnis im literarischen Topos.
Gotischer Schauder auf Brettern und Leinwand
1924 wird "Dracula"
vom Roman auf die Bühne beschworen. Im Grand Theatre von Derby feiert
die erste Theaterinszenierung fröhliche Urständ. Schon bald folgen das
noble Londoner West End, ein passender Rahmen für den feinspitzigen
Vampir, sowie die Schauspielsäle New Yorks. Der Mythos vom untoten
Blaublütler ist nicht mehr tot zu kriegen. Weltgewandt wie sie nun einmal
sind, passen sich die erlauchten Wiedergänger an den technischen
Fortschritt an. Die Stummfilmära bringt 1922 mit Friedrich Wilhelm
Murnaus Streifen "Nosferatu" einen zeitlosen Klassiker des
Gruselns hervor. Der darin von Max Schreck (nomen!) dargestellte Graf
Orlok setzt neue Maßstäbe des Abseitigen. Im Gegensatz zu seinen
modischen Vorgängern und Nachfolgern besticht er durch abstoßende
Hässlichkeit. Als Bela Lugosi in den 1930er-Jahren Hollywood heimsucht,
kehren die Vampire wieder zur alten Eleganz zurück, Dracula mit Frack
und Umhang. In den 1950er- und 1960er-Jahren dominieren die britischen "Hammer
Studios" die filmischen Blutopern mit einem viktorianisch sinistren
Christopher Lee. 1967 schlägt Roman Polanskis "Tanz der Vampire"
einen eher komödiantischen Zugang zum Genre ein. Schluss mit der Kunst, auf zu den realen Blutsaugern.
Jungbrunnen aus Blut, Tod unter dem Fallbeil
Gräfin Elisabeth Báthory (1550-1614) erwirbt sich im Ungarn der frühen
Neuzeit
vampirischen Ruf mit Nachhall. Die sadistisch und nekrophil veranlagte Dame
soll im Blut von eigenhändig gequälten Jungfrauen gebadet haben - um ewig jung
zu bleiben. Da die Standesregeln es verbieten, Hochadlige hinzurichten, mauert
man die Blutgräfin letztendlich in ihrem Schlafgemach ein. Gut hundert Jahre
zuvor frönt Gilles de Rais (1404-1440), seines Zeichens Marschall von Frankreich
und Kampfgefährte Jean d'Arcs, der Hämatomanie, der Sucht nach Blut. Junge Knaben
hat er auf sein Chateau gelockt, missbraucht, zerstückelt und ihr Blut getrunken.
Fritz Haarmann, der "Vampir von Hannover", schlägt 1918 einen ähnlichen Weg
ein. Auch er will Sex mit jungen Männern, ehe er sie mit Kehlbiss tötet und
verspeist. 1925 beendet ein Fallbeil fast stilgerecht sein "vampirisches" Leben.
Das Phantom vom Montparnasse, der Blutbarbier Sweeney Todd u.A. runden Basil
Coppers Vampir-Anthologie rottriefend ab. Weiterführende deutschsprachige Primär-
bzw. Sekundärbibliografien finden lesefreudige Kinder der Nacht im Anhang.
"Der Vampir in Legende, Kunst und Wirklichkeit" ist ein
Sammelsurium aus gotischer Romantik und blankem Ekel, ein interessant
zusammengestückeltes Flickwerk, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Auffälligerweise wird darin
Vlad Tepes,
dem historisch belegten Dracul (Drachenordensträger), kaum Raum
gewidmet. Auch die Krankheit Porphyrie, eine mögliche medizinische
Erklärung für "Vampirismus", bleibt unerwähnt. Als Skriptum zur
Einführungsvorlesung über Wiedergänger mit Biss wäre Basil Coppers Buch
ideal. Wessen Fantasie allerdings zum "Interview mit einem Vampir" drängt, der ist bei
Anne Rice besser aufgehoben.
(lostlobo; 11/2005)
Basil Copper: "Der Vampir in
Legende, Kunst und Wirklichkeit"
Übersetzt und bearbeitet von Malte S. Sembten.
Festa Verlag.
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Weitere Buchtipps:
"Von denen Vampiren oder Menschensaugern"
Eine nachtschwarze Anthologie, die sich ganz dem Phänomen der Blutsaugerei verschrieben
hat: Mit Arbeiten von
Goethe, Novalis und
Heine,
Martin Luther, Stefan George
und Johannes Bobrowski bildet der Band eine umfangreiche Sammlung vampirischer
Dichtungen und Dokumente. Mit einem literarischen und einem historischen Essay
der Herausgeber Dieter Sturm und Klaus Völker. (area-verlag)
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Rainer M. Köppl: "Wir
sind Vampir. Von Dracula biss Twilight"
Sie sind zwischen dem Diesseits und dem
Jenseits unterwegs, geistern durch
die Nacht und beißen schöne Frauen in den Hals. Wunschvorstellungen und Ängste
offenbaren sich in der Figur des Vampirs, der als Roman- und Filmstoff Weltruhm
erlangte, aber auch in Werbefilmen, politischen Kampagnen und in der
Psychoanalyse zum Einsatz kommt.
Der Wiener Vampirologe Rainer M. Köppl erzählt von der angstvollen Hysterie
zwischen Aberglaube und Aufklärung. Er zeigt, wie die Vampire in die romantisch
verklärte Literatur flüchteten, im 20. Jahrhundert im Film wiederauferstanden
und zu Beginn des 21. Jahrhunderts erfolgreicher denn je agieren. An eindrücklichen
Beispielen macht er die Vollkommenheit von Form und Funktion des Vampirs
deutlich: als Spiegelbild unserer Fantasien über Sex, Gewalt, Angst, Blut, Tod,
ewige Liebe und ewiges Leben.
Eine faszinierende Zeitreise durch die Geschichte eines unsterblichen Mythos. (Residenzverlag)
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