Elisa Gregor: "Amok"

Wenn Väter durchdrehen


Wenn Feministen fürchten lehren

Statistisch gesehen kommen Amokläufe in Deutschland jährlich etwa 3000 mal vor. In der überwiegenden Anzahl sind es Männer, die so ausrasten. Selten ist der Fall allerdings so gravierend wie in dem Fall des Kai Lenhart, der in diesem Buch geschildert wird. Da sich seine Frau von ihm trennen will, löscht er in einem Wutanfall mit siebzig Messerstichen seine ganze Familie aus.

Frau Gregor nimmt den Fall zum Anlass für eine psychologische und soziologische Analyse, bei der sie mit zahlreichen Einschüben in ihre Nacherzählung des Dramas und unter Berufung auf wissenschaftliche Studien und Expertenanalysen die einzelnen Faktoren aufdröselt, die für diesen Amoklauf verantwortlich gemacht werden können. Den Schwerpunkt sieht sie im gestörten Selbstbild des Mannes in unserer Gesellschaft und seine durch Videospiele und andere Medien gesteigerte Gewaltbereitschaft.

Wer das Buch liest, könnte leicht glauben, dass der Erfolg des Feminismus für alles verantwortlich sei. Er hat die Rolle der Frau neu definiert. Ein ähnlicher Prozess steht beim Mann, so Gregor, noch aus. Das Spannungsfeld zwischen der neuen Frau und dem alten Mann schafft dann Frustration und jede Menge Missverständnisse. Der Macho kehrt vom Wildschweinfang nach Hause, und er wird nicht mehr vom warmen Abendessen, dem fürsorglichen Drink und der sanft und verständnisvoll sich vor dem Kaminfeuer räkelnden Ehefrau empfangen - sondern eher von einem ähnlich gestressten, abgekämpften Ebenbild, das militant Arbeitsteilung im Haushaltsbereich einfordert. So was kann nicht gut gehen.

Ich bin mir sicher, dass diese Fernanalysen in vielen Fällen zutreffen. Mitunter aber erschien mir, dass es sich Beobachter von fremden Ehen etwas zu leicht machen. Gewiss bilden ein verfehltes Rollenverständnis, eine unklare gesellschaftliche Direktive, was nun einen Mann ausmachen soll und was nicht, und vieles andere Psychologische mehr die Basis für Amokläufe. Aber nicht zufällig drehen jedes Jahr in Deutschland auch 200 Frauen durch. Für dieses unerwartete Phänomen liefert das Buch, das den Mann zum Schreckbild macht, keine Erklärung.

Im Kern meine ich, dass Liebe oder die Abwesenheit von Liebe entscheidend dafür sind, ob eine Beziehung klappt. Einen geliebten Menschen wird keiner morden. Und kein Mensch, der geliebt ist, wird in eine derartige Verzweiflung geraten, dass er andere Menschen tötet. Der Tod betritt die Bühne immer am Ende von Kälte, Entfremdung und Seelenschmerz. Wer daran nicht konstruktiv und entschieden arbeitet, sollte sich nicht wundern, wenn am Ende körperliche Gewalt als letzte Zuspitzung hinzutritt. Dass da mehr Männer hauen, und warum sie das tun, hat die Autorin mit Sachkenntnis und solider Aufarbeitung von Quellen erklärt. Über Lösungsmöglichkeiten schreibt sie wenig. Wie Frauen solche Katastrophen verhindern können, sagt sie gar nichts.

Ein weiterer Kritikpunkt: Das Buch ist etwas eindimensional im Ansatz und sensationsheischend in der Aufmachung. Der Einband erinnert optisch an die Ankündigung eines Horrorfilms. Die Textdynamik folgt den Regeln der Thriller-Kunst. Der Titel klingt nach: "Der Mann, das unbekannte Wesen. Bei einem Alien diesen Ausmaßes ist alles möglich, selbst Amok. Rette sich wer kann." Dadurch verschärft das Buch die Gangart und wird die Angst vieler Frauen noch verstärken, dass der Feind nun auch in ihrem Bett liegt.

Nachdem ich selbst der Männerschaft, dieser merkwürdigen Spielart der Natur angehöre, möchte ich abschließend alle ängstlichen Frauen, die mit zitternden Händen in diesem Band blättern und trotz Großdruck nicht wirklich in ihm lesen können, darauf aufmerksam machen, dass der Mann meiner Ansicht nach ähnlich wie die Frau ein ziemlich einfach gestricktes Ding ist, das auf primitive Reize reagiert, wobei Nachsicht und Verständnis hundertprozentig jede Gewaltbereitschaft auslöschen können. Ich mag nicht beispielhaft für alle Individuen meiner Spezies sein, kenne aber auch Frauen, die weit dumpfere Klötze wie am Gängelband durchs Leben führen, ohne sie fürchten zu müssen. Meistens geht das Leben eben nicht schief, und wenn man mit einem Partner nicht auskommt, sollte man einfach rechtzeitig klare Weichen stellen. Das Amokläufe Endstadien langanhaltender fehlerhafter Prozesse sind, und schlechte Ehen meist durch Fehler beider Seiten schlecht geworden sind, wäre meine Anregung dafür, darüber nachzudenken, wie man Amokläufe im eigenen Bereich verhindern kann.

(Berndt Rieger; 03/2005)


Elisa Gregor: "Amok. Wenn Väter durchdrehen"
Ueberreuter, 2005. 160 Seiten.
ISBN 3-8000-7098-7.
ca. EUR 17,95.
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