Joseph Kardinal Ratzinger: "Werte in Zeiten des Umbruchs"
Die Herausforderungen der Zukunft bestehen
Der Umstand, dass der Tod des Papstes Johannes Paul II. und die Wahl Joseph Ratzingers zu einem gewaltigen Medienspektakel gerieten, vermittelt leicht den Eindruck, wir wären bestens über den neuen Papst und damit über die Richtung der katholischen Kirche im 21. Jahrhundert informiert. Ratzinger, nun Papst Benedikt XVI., bislang Leiter der Glaubenskongregation, gilt als erzkonservativer "Hardliner", und sein strenger Kurs gegenüber Themen wie Abtreibung, Homosexualität und Zölibat stößt besonders in seinem Geburtsland vielfach auf Ablehnung und Unverständnis.
Der
Frage, ob die Medien nicht ein allzu einseitiges Bild von Ratzinger gezeichnet
haben, kann man sicher am besten begegnen, indem man ihn selbst zu Wort kommen lässt
- zum Beispiel in einem seiner Bücher: Werte in Zeiten des Umbruchs.
Das Buch ist recht dünn und erweckt somit den Anschein, man könne es "mal
eben" lesen, aber weit gefehlt: Auch wenn Ratzinger sich offensichtlich an
eine breite Öffentlichkeit wenden möchte, so ist sein Stil zwar elegant, doch
wissenschaftlich-kompakt und ohne jegliche Füllsel. Der Leser kommt nicht
umhin, sich mit jedem einzelnen Satz auseinander zu setzen.
Im Grunde handelt es sich bei diesem Buch um eine Sammlung von Vorträgen, Reden
und Niederschriften zu folgenden Themen beziehungsweise Kapiteln:
1. | Wonach handeln? - Politik und Moral |
2. | Was ist Europa? - Grundlagen und Perspektiven |
3. | Verantwortung für den Frieden - Richtpunkte |
Jedes
Kapitel enthält mehrere Beiträge, die thematisch aufeinander aufbauen. Es
treten einige wenige inhaltliche Redundanzen auf, die allerdings aufgrund des
jeweiligen Kontexts wohl unvermeidbar waren. Ein Inhaltsabriss scheint mir wegen
der enormen Dichte der Darstellung unmöglich, er würde zu lang für eine
Buchbesprechung geraten.
Ratzinger geht in den einzelnen Beiträgen auf aktuelle Probleme und
Herausforderungen ein, die bislang zum Teil in der Öffentlichkeit sehr
einseitig diskutiert worden sind. Er stellt unterschiedliche philosophische,
politische und theologische Ansätze einschließlich ihrer jeweiligen Geschichte
einander gegenüber und prüft sie auf ihren Gehalt, ihre praktische
Anwendbarkeit und, wo möglich, ihre gegenseitige Vereinbarkeit oder zumindest
Kompatibilität. Dabei geht er streng logisch vor, sodass seine Ausführungen
immer nachvollziehbar bleiben. Überhaupt tritt Ratzingers klare, unbestechliche
Logik in diesem Buch sehr deutlich und vor allem positiv hervor, denn sie lässt
das überholte Argument der allein selig machenden katholischen Kirche nicht zu,
auch wenn der Autor selbstverständlich als überzeugter Repräsentant seiner
Religionsgemeinschaft auftritt.
Ratzinger äußert im Vorwort: "Vieles ist nur Skizze, mehr Frage als
Antwort." Selbst wenn eine Patentlösung meistens nicht möglich ist, könnten
die Fragen doch eine überfällige Diskussion anstoßen, zumal bei Themen wie
der europäischen Identität. Man kommt als politisch interessierter Mensch
nicht umhin zu beobachten, dass gerade die westlichen Kulturen einen rapiden
Verfall traditioneller Werte erleben, ohne hinreichenden Ersatz dafür zu
finden. Nicht jeder Leser wird sich wie Jürgen Habermas im Dialog mit Ratzinger
dessen Position annähern können, doch die vielfältigen, sorgfältig
zusammengetragenen Denkanstöße sind die Lektüre allemal wert.
Der Erörterungsstil in diesem Buch passt nicht recht zu Ratzingers Image vom
"Panzerkardinal": Zum einen betont der Autor, dass er seine eigene
Meinung darstellt - viele Antworten auf die aufgeworfenen Fragen beginnen mit
"Ich denke" oder "Ich glaube", ohne einen Anspruch auf
alleinige Wahrheit (die übrigens ein wesentliches Thema des Buches ist) zu
erheben. Zum anderen geht Ratzinger sehr behutsam und respektvoll mit anderen
Bekenntnissen um, ob politisch oder religiös.
Ratzinger scheint bei seinen Lesern Grundkenntnisse der Philosophie
vorauszusetzen (oder liegt es an Charakter und Adressaten der Vorträge und
Referate, aus denen das Buch entstand?), daher wird der philosophisch unbedarfte
Leser gut beraten sein, sich ein Lexikon bereitzulegen. Zudem werden einige
lateinische Titel und Sentenzen nicht übersetzt. Trotz meines Kleinen Latinums
war ich gelegentlich "mit meinem Latein am Ende" - schade. Ansonsten
empfehle ich dieses Buch gern. Es ist ein Beweis dafür, dass "konservativ"
keineswegs grundsätzlich mit "borniert" und "ewiggestrig"
gleichgesetzt werden sollte, und dass Religion sich in manchen Fragen
befruchtend auf die Politik auswirken kann (oder: könnte).
Auf einer Internetseite las ich folgende Aussage des Erzbischofs Meisner von Köln:
"Der bisherige Kardinal
Ratzinger ist für Theologen so etwas wie der 'Mozart der Theologie'."
Das klingt in "Werte in Zeiten des Umbruchs" ein Stück weit durch.
(Regina Károlyi; 05/2005)
Joseph Kardinal Ratzinger: "Werte in
Zeiten des Umbruchs"
Herder, 2005. 160 Seiten.
ISBN 3-451-05592-9.
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Weitere Buchempfehlungen:
"Glaube - Wahrheit - Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen"
Kardinal Ratzingers in gewohnt intellektueller Brillanz verfasste Analyse. Sein
Appell, Andersglaubende zu achten, ohne das eigene Selbstverständnis vorschnell
aufzugeben, ist eine unbequeme, aber weiterführende Wortmeldung in einer
notwendigen Diskussion. (Herder)
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"Einführung in das Christentum"
"Kehren wir zurück zur Frage nach Gott und nach Christus als Herzstück
einer Einführung in den christlichen Glauben. Eines ist schon deutlich
geworden: Die mystische Dimension des Gottesbegriffs, die von den Religionen
Asiens als Anruf auf uns zukommt, muss deutlich auch unser Denken und unser
Glauben bestimmen. Gott ist ganz konkret geworden in Christus, aber so ist auch
sein Geheimnis noch größer geworden. Gott ist immer unendlich größer als all
unsere Begriffe und all unsere Bilder und Namen. Dass wir ihn nun als dreieinig
bekennen, bedeutet nicht, dass wir jetzt eigentlich alles über ihn wissen,
sondern ganz im Gegenteil: Es zeigt uns erst, wie wenig wir von ihm wissen und
wie wenig wir ihn begreifen oder umgreifen können. Wenn heute nach den
Schrecknissen der totalitären Regime (ich erinnere an das Mahnmal Auschwitz)
die Theodizeefrage mit brennender Gewalt sich auf uns alle legt, dann wird nur
noch einmal sichtbar, wie wenig wir Gott definieren, gar durchschauen können.
Die Antwort Gottes an Ijob erklärt ja nichts, sondern weist nur unseren Wahn,
über alles urteilen und abschließend sprechen zu können, in die Schranken und
erinnert uns an unsere Grenzen. Dem Geheimnis Gottes in seiner Unbegreiflichkeit
zu trauen, ermahnt sie uns. (...)" Aus dem Buch. (Kösel)
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"Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche im 21. Jahrhundert. Ein
Gespräch mit Peter Seewald"
Massenaustritte und Kirchenvolksbegehren erschüttern die
Autorität der katholischen Kirche. Wie reagiert diese mehr als zweitausend
Jahre alte Institution auf eine der schwersten Krisen ihrer Geschichte?
In einem intensiven Dialog mit Peter Seewald aus dem Jahr 1996 stellt sich der
einflussreichste deutsche Kirchenmann elementaren Fragen zur Zukunft der
Volkskirche, zum Dogma der Unfehlbarkeit und zum Zölibat, zur
Empfängnisverhütung und zur Wiederheirat Geschiedener, zum Papsttum und zur
Ökumene, aber auch zur Kirchensteuer und zum westlichen Wirtschaftssystem.
Hierbei findet der oberste Glaubenshüter des Papstes nicht selten
überraschende, immer aber nachdenkliche Antworten.
Noch nie zuvor hat ein so hohes Mitglied der Kurie derart umfassend Stellung
genommen zu zentralen Problemen der Christenheit.
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"Gott und die Welt. Glauben und Leben in unserer Zeit. Ein Gespräch mit
Peter Seewald"
Was bedeuten die Sakramente? Was ist mit Eucharistie gemeint? Mit Himmel und
Hölle? Gibt es Freiheit? Das Wissen über die Inhalte des christlichen Glaubens
geht den Menschen mehr und mehr verloren. Joseph Kardinal Ratzinger, damals
der "zweite Mann im Vatikan", erörterte im Gespräch die Grundlagen des Glaubens
und der Kirche und gab eine profunde und verständliche Einführung in die christliche
Religion.
Die christliche Religion verliert in der westlichen Welt ihre einstmals die
gesamte Gesellschaft prägende Kraft. Die Zeichen und Handlungen des Glaubens
sind für viele längst zu leeren Hülsen geworden, und das Wissen über die Inhalte
und ihre Bedeutung schwindet. Die Kirche scheint keine Antworten auf die Fragen
unserer Zeit geben zu können. Der Journalist Peter Seewald befragte Joseph Kardinal
Ratzinger, den autorisierten Hüter der katholischen Lehre, nach den grundlegenden
Dingen des Glaubens. Jenseits von wissenschaftlichen Disputen geht es in dem
Gespräch um die Grundpfeiler und Bausteine von Christentum und Kirche, um das
Lesen der Bibel, das Wesen Gottes
und der Schöpfung, um Jesus, um die ursprüngliche Gestalt der Kirche, das Papsttum,
um Dogma und Zweifel. Das Buch ist eine Einführung in den christlichen Glauben
und es ist zugleich der Versuch, aus dem Gefühl des Abgestandenen und des Schon-längst-Wissens
herauszuführen.
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"Aus meinem Leben. Erinnerungen (1927-1977)"
Selten gibt ein hoher Würdenträger der Kirche den Blick
frei auf die in ihm schlummernden Antriebskräfte, denen er die entscheidenden
Impulse für das Wirken im Dienst der Kirche verdankt. Welche Erlebnisse und
Erfahrungen seine Kindheit prägten, wie er die einzelnen Schritte in das Amt
des Erzbischofs erlebt hat, erfährt der Leser in diesem selbstkritischen und
uneitlen Lebensbild.
Ratzinger besitzt nicht nur die Gabe des einfühlsamen, gleichwohl distanzierten
Erzählens - er berichtet auch offen über die Zeit als Schüler während des
Nationalsozialismus, später als Flakhelfer im Reichsarbeitsdienst, als Soldat.
Und er verschweigt nicht persönliche Durststrecken.
Der einflussreiche Theologe beschreibt die geistigen Auseinandersetzungen mit
Weggefährten aus dem kirchlichen Leben. Dabei spielt der Gedankenaustausch mit
Karl Rahner und Kardinal Frings in den fünfziger und sechziger Jahren -
Gemeinsamkeiten und Meinungsunterschiede - eine große Rolle. Als Ratzinger 1966
in Tübingen den Lehrstuhl für Dogmatik übernimmt, gerät er ins Zentrum
hitziger Debatten um eine theologische Neubesinnung. Dort schlug sich in
marxistisch-revolutionären Positionen aus der Lehre Ernst Blochs die
Aufbruchstimmung der Studentenbewegung nieder. Das kritische Gespräch mit
Hans
Küng mündete in eine Sackgasse.
1969 kehrte Ratzinger der gespannten Atmosphäre den Rücken und nahm einen Ruf
an die neu gegründete Universität in Regensburg an, bevor er 1977 Erzbischof
von München und Freising wurde.
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Papst Benedikt XVI., Wael Farouq, André
Glucksmann, Sari Nusseibeh, Robert Spaemann, Joseph Weiler:
"Gott, rette die Vernunft!"
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Rezension ...