Eveline Hasler: "Stein bedeutet Liebe"
Regina Ullmann und Otto Gross
Nur
schreibend spüre ich mich
Die Dichterin Regina Ullmann: Eine vom Leben Verstörte
"Stein bedeutet Liebe" heißt der neue Roman von Eveline
Hasler.
Eingebettet in die Schwabinger Künstlerszene der Jahre 1907/08
- die Zeit der
erotischen Revolution - lässt dieses Buch die
unglückliche
Liebeskonstellation zwischen der Autorin Regina Ullmann und dem
Psychoanalytiker
Otto Gross neu aufleben.
Wenn ein offizieller Termin beim Fotografen ansteht, dann ist dem zu
Fotografierenden meist unwohl in seiner Haut. Dieses
künstliche Posieren, das
grelle Licht und die nüchterne Atmosphäre erzeugen
eine Situation des Gequälten
und Zwanghaften. Das obligatorische: "Bitte lächeln!"
verursacht
zumeist eine verkrampfte Gesichtskonstellation, und der Mensch, der am
Ende aus
der Fotografie herausschaut, hat überwiegend nicht mehr viel
mit dem wahren Ich
zu tun.
Auch von Regina Ullmann (1884-1961) gibt es Fotografien. Aber besonders
eine,
inmitten ihrer beiden Töchter Gerda, (aus einer kurzen Liaison
mit dem Ökonomen
Hans Dorn), und Camilla, (aus der Beziehung mit Otto Gross),
erzählt eine
Geschichte, ist Biografie, Leidensweg und innere Selbstfindung in einem.
Man sieht ein schmales, schwach konturiertes Gesicht von einer nahezu
madonnenhaften, geheimnisvoll verborgenen Schönheit. Das Haar
schlicht
gescheitelt, zwei schöne dunkle Rehaugen, die bei
flüchtiger Betrachtung eher
blicklos wirken, doch auf den zweiten Blick dem Betrachter eine
verborgene
Leidenschaft präsentieren, beinahe paralysieren. Nicht der
Anflug eines Lächelns
ist zu erahnen, auch bei ihren zwei Mädchen nicht. Alles an
dieser Frau strahlt
eine schwermütige Lethargie aus, eingebrannte Verletzungen,
Verlassenheit,
seelisches Leiden: Erosion der Enttäuschung.
Dieser Frau nähert sich Eveline Hasler, St. Galler
Kulturpreisträgerin wie
einst Regina Ullmann, auf sehr feinfühlige, aber
dafür umso intensivere und überzeugendere
Art und Weise an. Nur ausgewählte Zeitabschnitte hat sie
für ihre - nicht mit
einer wissenschaftlichen Biografie zu verwechselnde -
Erzählung beleuchtet.
Doch durch ihre ungeheure Imaginationskaft, die Entwicklung einer
eigenen
inneren Spannung, hat sie die Persönlichkeit Regina Ullmanns
zu intensivem
Leben erweckt.
Als zentralen Ankerplatz wählt die Autorin das Café
Stefanie in Schwabing, "das
der Volksmund spöttisch 'Café
Größenwahn' nannte". Es wird von
Eveline Hasler als literarisches Wohnzimmer
konzipiert. Hier im Trubel der herausgeputzten, extravaganten
Gäste - meist
Intellektuelle, Künstler und Literaten wie
Gustav
Meyrink, Erich Mühsam, die
Gräfin
Reventlow, Else Jaffé, der Verleger
Wolfskehl u. v. a. m. - beginnt das Kennenlernen mit der jungen
"Rega", einem scheuen, extrem introvertierten Mädchen, im
Schatten
ihrer allgegenwärtigen Mutter, der "Frau Augsburger
Rat". Hier
sitzt die angehende Literatin und beobachtet Menschen, "berauscht
von
den Gesprächsfetzen, inmitten der Wortgischt."
Von diesem imaginär geschilderten Mittelpunkt aus betritt der
Leser andere Räume,
reist abwechselnd in die Vergangenheit und die Zukunft oder schlendert
gemächlich
den "Korridor des Lebens" entlang. Einige "Nebenräume"
werden offenherzig präsentiert, bei anderen steht er
unvermittelt vor
verschlossenen Türen. Doch Eveline Hasler hat immer den
passenden Schlüssel
parat.
Da öffnet sich einen Spalt breit die Tür zur St.
Gallener Kindheit von Regina
Ullmann. Man sieht ein kleines Mädchen "sich im
Schatten des
Muttergebirges ein eigenes Reich schaffen." Sie lacht selten,
spricht
kaum, zieht sich von Spielkameraden zurück, betrachtet lieber
Libellen, Käfer
und Spinnen, unterhält sich mit Fröschen.
Hinter einer anderen Tür offenbart sich ein ähnliches
Schicksal: auch Otto
Gross (1877-1920) - ein Schüler
Freuds
- leidet unter dem
Schatten eines übermächtigen
Elternteils, dem seines autoritären Vaters. Doch Gross
kompensiert die
Verletzlichkeiten aus seiner Kindheit auf andere Art und Weise. Seine
Genialität
verstrickt sich in Drogenabhängigkeiten und Traumata.
Wieder zurück ins Café: Der exzentrische Psychiater
beschließt der jungen
Frau zu helfen. "Sie muss gleichsam in ihr eigenes Wesen
zurückgeführt
werden, dachte er." Er will ihre verborgenen Schätze
ans Licht holen,
will sie therapieren, ihr "unbewohntes Haus" mit
Lebendigkeit
erfüllen. Doch: "Therapiert er sie oder sie ihn?"
Es ist der
vergebliche Versuch eines Unglücklichen, der einer
Unglücklichen zu helfen
versucht. Die Beziehung der beiden bekommt so zu Recht von Anfang an
etwas
Albtraumhaftes. Und erneut endet eines der faszinierenden wie
waghalsigen
psychiatrischen Experimente Gross' mit einer Schwangerschaft.
Viele weitere Türen öffnet Eveline Hasler dem Leser.
Sie führt Otto Gross' Geschichte nach der abrupten
Verabschiedung der
Schwangeren und der von Freud veranlassten Einlieferung ins
Zürcher Irrenhaus
Burghölzli noch weiter: bis hin zur letzten tragischen
Liebesgeschichte mit
Sophie Benz, für die er wie einst für Lotte Chatemmer
zum Sterbehelfer und
Todesengel werden sollte.
Wunderbar beleuchtet die Autorin Regina Ullmanns subtile Art von
Abhängigkeit
gegenüber ihrer Mutter, ihre Selbstverleugnung. Zaghaft
lässt sie
Sonnenstrahlen der Hoffnung durch ein Fenster eines anderen Raumes am
Ende des
"Zimmergeflechts" scheinen. Dort sieht man die Ullmann schreibend,
gelöst
aus der Umarmung ihres "Todesengels", unter der schützenden
Hand
ihres Förderers und Mentors
Rainer
Maria Rilke.
Zwischen Leben und Tod, Liebe und Verzweiflung ist bei Eveline Hasler
die Erzählung
von Regina Ullmann und Otto Gross angesiedelt. Gleichzeitig macht sie
eine ganze
Epoche in der Geschichte der Psychoanalyse lebendig: nicht nur Otto
Gross'
sexuelle Revolution, die oft entstellt und ohne Kontext wiedergegeben
wird,
sondern auch dessen Hauptthemen seiner späteren Werke: "eine
durch die
Psychoanalyse begründete neue Ethik, die Aufwertung der Frau
und die Folgen
einer lieblosen Erziehung und kindlichen Einsamkeit".
"Über Verflossenes kann man berichten",
schreibt Eveline
Hassler am Ende dieses stillen, aber eindrücklichen und
psychologisch feinfühligen
Buches, "man erkennt die Vernetzungen, das System des
Ablaufs, Ursache,
Wirkung. Man findet einen Erzählton. Durch das
Erzählen wird Vergangenes
entschärft, es wird übersichtlich, griffiger."
Eveline Hassler hat das Foto von Regine Ullmann und ihren beiden
Töchtern zum
Leben erweckt. Unter Zuhilfenahme dieses Buches erzählt es
eine tragische
Lebensgeschichte und macht vieles von dem sichtbar und einsehbar, was
die Größe
der am Leben gescheiterten Schriftstellerin ausmacht und was ihr immer
wieder
neue Leser zuführen wird.
Fazit: "Stein bedeutet Liebe" liest sich als "eindrückliches
Psychogramm einer unglücklichen, in einem literarischen Sinn
aber kreativ
wirkenden Liebesbeziehung in einer turbulenten Zeit und in einer Epoche
des
geistigen und gesellschaftlichen Umbruchs, die
einfühlsam-überzeugend, aber
ganz unaufdringlich mit porträtiert ist", schreibt
die "Schweizer
Tageszeitung". Es gibt dem nichts mehr hinzuzufügen.
(Heike Geilen; 09/2007)
Eveline
Hasler: "Stein bedeutet Liebe.
Regina Ullmann und Otto Gross"
Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, 2007. 176 Seiten.
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Eveline
Hasler, am 22. März 1933
in Glarus
geboren, studierte
Psychologie und Geschichte und war als Lehrerin
tätig. Ihr Werk umfasst Bücher für Kinder
sowie Romane für
Erwachsene, die vielfach mit Preisen ausgezeichnet
wurden. 1994 erhielt sie für ihr literarisches Gesamtwerk den
"Droste-Preis"
Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):
"Die Wachsflügelfrau. Geschichte der Emily Kempin-Spyri"
Gegen Ende ihres Lebens, 1899, bewirbt sich Emily Kempin-Spyri, erste
Juristin
im deutschsprachigen Raum und Nichte Johanna Spyris, in ihrem
Lebensentwurf
gescheitert, um die Stelle als Magd bei einem Pfarrer ...
Eveline Hasler deckt in diesem packenden und beunruhigenden Roman ein
Stück
verschwiegener Geschichte auf. "Die Wachsflügelfrau" ist mehr
als
eine Geschichte einer frühen Emanzipation, die tragisch
endete. Wie in jedem
von Eveline Haslers Romanen gibt es auch in diesem Buch eine heimliche
Unterströmung,
die auf die Gegenwart bezogen bleibt. (dtv)
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"Der Zeitreisende. Die
Visionen des Henry Dunant"
1859: Der Zufall bringt ihn am Morgen nach dem Gemetzel auf das
Schlachtfeld von
Solferino. 38 000 Tote und Verwundete hat es gegeben, und Henry Dunant
vergisst
das geschäftliche Schreiben, mit dem er eigentlich
zu Napoleon
III. unterwegs
ist. Statt dessen kümmert er sich um die Verletzten, und was
er hier erlebt, lässt
ihn nie wieder los.
Fünf Jahre darauf wird die Genfer Konvention unterzeichnet und
das Rote Kreuz
gegründet. Doch dann beginnt Dunants Niedergang: Als
Bankrotteur verurteilt, muss
er aus der Schweiz fliehen, Konkurrenten spinnen Intrigen gegen ihn.
Seine Pläne
zur Gründung eines "Grünen Kreuzes", das die
Gleichberechtigung der
Frau fördern soll, gibt er trotzdem nicht auf. Erst am Ende
seines Lebens wird
rehabilitiert: Man verleiht ihm den ersten Friedensnobelpreis. (dtv)
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"Die
Vogelmacherin. Die
Geschichte von Hexenkindern"
Ein elfjähriges Mädchen, ein eigenwilliges,
fantasievolles Kind, das elternlos
in einem abgelegenen Tal aufwächst, behauptet, es
könne Vögel machen. 1652
wird es unter der Anklage der Hexerei
aufgegriffen und nach einem
qualvollen
Prozess in Luzern hingerichtet. Bestraft wird das Vergehen, sich
gottgleiche Schöpferkräfte
angemaßt zu haben.
Doch hat die Obrigkeit mit Bedacht das elternlose Kind als Opfer
ausgewählt:
das schwächste Glied einer Gemeinschaft
aufrührerischer Bauern, die zur Raison
gebracht werden sollen. Sieben Jahre später in Oberschwaben
ein anderer Fall:
Ein neunjähriger Junge und seine elfjährige Schwester
werden der "Buhlschaft
mit dem Teufel" verdächtigt und verurteilt. Zu jung
für eine Hinrichtung,
werden sie vier lange Jahre im Kloster Buchau "aufbewahrt", bis das
Urteil an ihnen
vollstreckt wird. (dtv)
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"Aline und die Erfindung
der Liebe"
Muse, Künstlerfreundin und enfant terrible: das Leben einer
aufregenden Frau in
aufregenden Zeiten.
Von den Dorfbewohnern wird sie misstrauisch beäugt, die
schöne junge Dame, die
in dem efeuumrankten Schlösschen wohnt. Sie hat
ständig Besuch von seltsam
gekleideten Menschen - Künstlern, die laut lachen und wenig
Respekt vor der
Tradition haben. Alle kommen sie hierher, nach Comologno im Tessin:
Hans Arp,
Ignazio Silone, Kurt Tucholsky, Meret Oppenheim,
James Joyce, C. G.
Jung ...
Mit einigen unternimmt sie Ausflüge, mit anderen hat sie eine
Affäre.
In Zürich, wo sie mit ihrem Mann Wladimir Rosenbaum einen
literarischen Salon
unterhält, kennt jeder ihren Namen: Aline Valangin. Mit einer
unbändigen
Neugier begeistert sie sich für alles, was neu und radikal
ist: die
Psychoanalyse, Dada, den Expressionismus. Und für die Liebe.
(dtv)
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"Tells Tochter. Julie
Bondeli und die Zeit der Freiheit"
Im 18. Jahrhundert macht in Bern eine mutige junge Frau von sich reden:
Julie
Bondeli mischt sich ein in die politischen Debatten der
Männer, sie ignoriert
deren Regeln für das weibliche Geschlecht, sie korrespondiert
mit den führenden
Köpfen der Aufklärung und ringt auch ihren Gegnern
Bewunderung ab. Auch als
Julies Lehrer und Vertrauter Samuel Henzi wegen seiner Manifeste
für eine
politische Reform öffentlich hingerichtet wird, lässt
sie sich nicht
entmutigen: Sie kämpft weiter für Demokratie und
Freiheit und die Rechte der
Frauen. Ihr literarischer Salon wird zum Treffpunkt junger
Intellektueller. (dtv)
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"Anna
Göldin - Letzte Hexe"
1782, am Vorabend der
Französischen
Revolution, geschah das
Unbegreifliche:
Anna Göldin wurde als letzte Hexe Europas auf dem
Galgenhügel in Glarus durch
das Schwert enthauptet. (Artemis
& Winkler)
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"Engel im zweiten Lehrjahr" zur Rezension ...