Désirée v. Trotha: "Wo sich Himmel und Erde berühren"

Tuareg in der Weite der Wüste


"Boukaschkasch tanzte jeden Tag und lebte ein fröhliches Leben. Sein Bruder Amaijas betete jeden Tag und lebte ein ernstes Leben. Eines Tages beschloss Amaijas, auch einmal zu tanzen und seine Gebete ausfallen zu lassen, während Boukaschkasch gerade das Gegenteil tat, nicht tanzte und zum ersten Mal betete. Da rief Gott die beiden zu sich. Er schickte Boukaschkasch ins Paradies und Amaijas in die Hölle."

Genauso ungewöhnlich wie diese berührende Geschichte über die göttliche Gerechtigkeit ist dieser Bildband. Neben beeindruckenden Fotos, die in erster Linie die unendliche Weite und Farbenpracht der Wüste und des Horizonts zeigen, erzählen die Geschichten und Tagebucheintragungen von Menschen, die durch einen tiefen Glauben mit Gott verbunden sind, die sich ihrer Endlichkeit täglich bewusst werden und vielleicht gerade deswegen uneingeschränktes Vertrauen in die Natur und die Fähigkeiten ihrer Marabouts haben.

Beeindruckend auch die gelungene Kombination der Bilder mit Suren aus dem Koran, was dem Buch einen geradezu meditativen Charakter verleiht und den Leser zum Innehalten einlädt und motiviert, das Bild und den Vers aus dem Koran als Einheit - quasi vertiefend - zu betrachten und den Inspirationen nachzuspüren.

Die Tuareg, deren Gebiet sich über die Staaten Niger, Mali, Libyen und Burkina Faso erstreckt, werden dem Leser so vorgestellt, dass eine Verbundenheit mit diesen stolzen Menschen entsteht. Die strenggläubigen Wüstenbewohner, die kaum verstehen können, dass jemand keinen Gott hat, halten trotz des Verbotes von Aberglauben und Zauberei durch den Islam an alten Gebräuchen fest. So wird ein Tuareg immer das Zelt mit dem rechten Fuß betreten, sich mit Karneolstein und Kaurimuscheln vor dem bösen Blick schützen und an die besonderen Kräfte der Scherifen glauben.
Die Scherifen sind Angehörige von streng religiösen Tuareg-Familien. Aus deren Kreis stammen hauptsächlich die Marabouts, heilige Männer, die dem Schöpfer besonders nahe stehen und unglaubliche Kräfte besitzen, mit denen sie Wohltaten an ihren Mitmenschen vollbringen.
Einige dieser wunderschönen Geschichten sind im Buch nachzulesen. Es sind dies Erzählungen über schützende und abwehrende Amulette, reinigende Zeremonien, Liebe und Errettung aus aussichtslosen Situationen.
Als Mitteleuropäer tendiert man leicht dazu, sie als Mythen abzutun, obwohl etwas davon bis tief ins Herz vordringt, die Rezensentin berührt hat und nicht mehr loslässt. Die Tuareg sind an dieses Zweifeln gewöhnt und meinen nur "Warte Fremder, bis ein starker Zauber dich trifft. Mögest du dann gelassen handeln."

Die Bilder zeigen Himmel über der Wüste, deren Farbenpracht und Vielfalt den Betrachter fesselt. Die wenigen abgebildeten Menschen faszinieren durch ihre Ausstrahlung, und die Kamele verschmelzen geradezu mit der Wüste. Immer wieder zeigen sich Wolken am Himmel, manchmal einzelne, dann birst der Himmel geradezu davon, und jeden Augenblick rechnet man mit Regen, der aber nur selten und dann in Form von heftigen Gewittern und herabstürzenden Flutwellen auf die dürstende Landschaft und deren Mensch niedergeht.
Aber auch das nehmen diese Menschen mit Gelassenheit hin und sagen sich "Inschallah" - so Gott will.

Désirée v. Trotha ist es gelungen, mit diesem Bildband Sehnsucht zu wecken nach der Wüste, nach dieser grenzenlosen Weite, nach den himmlischen und irdischen Farben, die diese Landschaft zu bieten hat, und danach, den Himmel und die Erde miteinander verschmelzen zu sehen. Aber bei der Rezensentin wurde auch der Wunsch geweckt, sich mit dem Volk der Tuareg näher auseinanderzusetzen. Einem Volk, das sich in seiner Sprache als imouhar oder imajeghan, freie Menschen, bezeichnet.

(Margarete; 05/2003)


Désirée v. Trotha: "Wo sich Himmel und Erde berühren. Tuareg in der Weite der Wüste"
Frederking & Thaler, 2003. 164 Seiten, 100 Farbfotos.
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Désirée v. Trotha, geboren 1961 in Augsburg, studierte Grafik-Design in München und Regie in München und London. Von 1985 bis 1996 arbeitete sie als freie Regieassistentin bei Film und Fernsehen. Seit 1991 lebt sie immer wieder für längere Zeit bei den Tuareg in Algerien und im Niger.