Dan Tsalka: "Im Zeichen des Lotus"


Ein moderner Schelmenroman

Nach seinem auch in Deutschland sehr erfolgreichen monumentalen Epos "Tausend Herzen" hat der in Israel wohlbekannte Schriftsteller Dan Tsalka kurz vor seinem Tod im Jahr 2005 einen nicht weniger umfangreichen Roman veröffentlicht, der ähnlich wie sein Vorgänger mit einer leichten Sprache daherkommt, einer fließenden Erzählweise, die den Leser in eine ungewöhnliche Geschichte mitnimmt.

In "Im Zeichen des Lotus" wird eine fantastische Schelmengeschichte erzählt, die dennoch viele für den deutschsprachigen Leser oft gar nicht verständliche Anspielungen auf die reale israelische Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts aufweist.
Es geht um einen jungen Mann namens Jotam Ninio, der sich als Schüler des berühmten Sprachwissenschaftlers Ben-Zion Goldhammer zu einem absoluten Spezialisten für semitische Sprache entwickelt hat. Dieser Ansatz ist für Tsalka nicht ohne Hintergrund, geht es doch sowohl in diesem Roman als auch in der Realität Israels um nicht weniger als um Existenzrechte. Betrachtet man die Sprachforschungen über die semitischen Sprachen, stellt man fest, sie kommen allesamt zu dem Ergebnis, dass sie alle auf einen Ursprung zurückzuführen sind. Deshalb sind die Überlegungen Jotams und seiner Lehrer über die Sprachwurzeln nicht einfach als Spielerei abzutun. Dennoch überzeichnet Dan Tsalka sie immer wieder gekonnt und demaskiert so den Versuch, über diese Form historischer Forschung irgendwelche Rechte für die Gegenwart abzuleiten, als grotesk. Und als eine großartige Groteske, als einen witzigen und hintergründigen Schelmenroman muss man dieses Werk auch lesen.

Jotams Geschichte wird über einige Dutzend Seiten erzählt: Er ist ein erfolgreicher Sprachforscher, sonst aber eher lebensuntüchtig. Seine Ehe mit Mili scheitert auch deshalb, weil Jotam noch nicht erwachsen geworden ist. Er setzt seine Karriere an der Universität nicht fort und hält sich mit Vorträgen sowie Seminaren über Wasser, in denen er die Teilnehmer rhetorisch schult und ihnen zu besserem Ausdruck verhilft.
Dann rutscht er in die Drogenszene ab. Dieser Einschub kommt unvermittelt und ist nicht sehr überzeugend. Wahrscheinlich brauchte der Autor diese Lebensphase seines Protagonisten, um ihn dann, von langer Hand geplant, vom israelischen Geheimdienst aus diesem Milieu herausholen zu lassen. Entzugsmaßnahmen und Therapien werden initiiert, und als Jotam überraschend schnell drogenfrei ist, wird er von Geheimagenten mit einem Auftrag konfrontiert. Er soll in eine extremistische, jüdisch-nationalistische Untergrundorganisation eingeschleust werden.

Jannai Waldmann, ein ehemaliger Professor Jotams, ist der Kopf einer Organisation, die sich nichts Geringeres auf die Fahnen geschrieben hat als die Restitution des Königtums in Israel. Wissenschaftlich fundieren will Waldmann dies durch einen Vergleich mit der Lotuspflanze, von der man über tausend Jahre alten Samen wieder zum Keimen gebracht habe. Ein solches "Zeichen des Lotus" müsste doch auch für den Stammbaum Davids zu setzen sein.

Tatsächlich findet Jannai Waldmann einen etwas schrägen und nicht sehr intelligenten Jungen, von dem er glaubt, er stamme direkt von David ab. Jotam soll nun dabei helfen, dessen etwas tumben Geist so aufzumöbeln, dass er für die jüdische Öffentlichkeit präsentabel ist. Aber auch Gutachten von Rabbinern müssen eingeholt  und mannigfaltige andere Unterstützung, nicht zuletzt finanzieller Art, organisiert werden.

Je länger Jotam in Kontakt mit seinem alten Lehrer Jannai ist, desto mehr verliert er den Kontakt zur Realität und weiß irgendwann nicht mehr, auf welcher Seite er steht.

Ein obskurer, teilweise lustiger Roman, den man als deutschsprachiger Leser noch mehr genießen und würdigen könnte, verstünde man die zahlreichen spürbaren, aber nur für Israelis wirklich verständlichen Anspielungen auf Gruppen, Szenen und Entwicklungen in der israelischen Gesellschaft Ende der 1990er Jahre.
Zu Beginn des Jahres 2000 soll der neue König präsentiert werden. Lassen wir hier offen, wie das Vorhaben endet ...

Große, hintersinnige und subtile Sprachkunst eines großen israelischen Autors.

(Winfried Stanzick; 09/2007)


Dan Tsalka: "Im Zeichen des Lotus"
(Originaltitel "Besiman halotus")
Aus dem Hebräischen von Barbara Linner.
DVA, 2007. 521 Seiten.
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Dan Tsalka (1936-2005), in Warschau geboren, floh mit seinen Eltern bei Kriegsausbruch nach Kasachstan, kehrte 1946 nach Polen zurück und emigrierte 1957 nach Israel. Tsalka studierte Geschichte, Philosophie und Literatur in Tel Aviv und Grenoble. Sein literarisches Werk umfasst Prosa, Lyrik, Theaterstücke sowie Essays und wurde mehrfach ausgezeichnet.

Ein weiteres Buch des Autors:

"Tausend Herzen"

Der epochale und dabei kritische Roman über den zionistischen Traum und den Gründungsmythos des Staates Israel.
Als die "Ruslan", ein heruntergekommenes, für sechzig Mann gebautes Frachtschiff aus Odessa, nach langer, stürmischer Fahrt 1919 in Jaffa, dem ältesten Hafen der Welt einläuft, kauern siebenhundert kranke und hungrige Menschen an Bord und träumen von Erez Israel. Unter ihnen ist der Architekt Ezra Marinsky, er küsst den Boden Jaffas und macht sich daran, dort, wo "nur Sonne und Sand sind und auf dem Sand ein armseliges Städtchen", eine Metropole zu erbauen: Tel Aviv.
Fünfzig Jahre und fast tausend Seiten später besteigt Marinskys Tochter ein Flugzeug, um das Land, das gerade den Sechs-Tage-Krieg siegreich überstanden hat, zu verlassen. Das Glück, das die Eltern fühlten, als sie den Boden Palästinas betraten, empfindet sie erst, als das Flugzeug abhebt - "so fiel von ihr der Zauberbann Israels ab, der merkwürdige, kraftvolle Klebstoff trocknete und zersprang. Sie war frei! Leb wohl, heiliges Land!" Dazwischen ein halbes Jahrhundert des Ringens um Verwurzelung, eine neue Identität, Aneignung der neuen Heimat. (dtv)
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