Michael Coren: "J.R.R. Tolkien"
Der Mann, der 'Herr der Ringe' erschuf
Willkommen oder Mae govannen - wie die Elben sagen
würden - im Reich eines fantastischen Autors (lostlobo; 04/2004) Michael Coren: "J.R.R. Tolkien. Der Mann, der 'Herr der Ringe' erschuf" Noch ein Buchtipp:
J.R.R. Tolkiens frühe Jahre
Nicht nur auf ganz Mittelerde stellt der 3. Januar einen Freudentag dar - sondern
bei jedermann mit Vorliebe für fantastische Literatur; fantastische
Literatur im doppelten Sinn! Damals im Jahre 1892 erblickte John Ronald Reuel
(kurz J.R.R.) Tolkien das Licht der Welt. Die Wiege jenes Mannes, aus dessen
Fingern späterhin "Der kleine
Hobbit" oder "Der Herr der Ringe" fließen sollten,
stand in keiner mondänen Metropole, sondern fernab vom kulturellen Treiben,
am Rande der westlichen Zivilisation, in Bloemfontein, Oranje Freistaat, Südafrika.
Die heutige Republik Südafrika war 1892 Teil des britischen Weltreiches, wenngleich
das Empire ihrer Majestät Queen Victoria stets seine liebe Not mit dem weiten
Land am Ende des afrikanischen Kontinents hatte. Denn neben den Kolonialherren
aus Großbritannien kämpften niederländischstämmige Buren, die ebenfalls sehr
expansionistischen Zulu und andere indigene Völker in blutigen Dauerfehden um
die Vorherrschaft.
Arthur Reuel Tolkien, J.R.R.s Vater, hatte sich 1890 aus Karrieregründen gen
Afrika eingeschifft. Er war Angestellter der "Lloyds Bank" im mittelenglischen
Birmingham und packte ein lukratives Angebot der "Bank of South Africa" kurzerhand
beim Schopf. Kurze Zeit später holte er seine Verlobte Mabel Suffield, der er
am 16. April 1891 das Jawort gab, nach. Er war 36, sie 21. Nur zwei Jahre nach
der Geburt von J.R.R. wurde die junge Frau zum zweiten Mal Mutter eines Sohnes.
Sowohl ihr als auch ihren Kindern bedeutete Südafrika niemals viel, so wundert
es wenig, dass Mabel im April 1895 eine Schiffspassage zurück nach England buchte.
J.R.R. war erkrankt und bedurfte ärztlicher Hilfe, die in Bloemfontein nicht
ausreichend vorhanden war. Zudem hatte der Stich einer Tarantel den Dreijährigen
fast das Leben gekostet; ein frühtraumatisches Ereignis, das im "Herr der Ringe"
sechzig Jahre danach literarischen Niederschlag fand - in jener Passage, als
Frodo von der riesenhaften Spinne Shelob (dt. Kankra) attackiert wird. Vater
Arthur wollte Frau und Kindern einige Monate später nachkommen, doch er sollte
seine Familie nie wiedersehen, da er 1896 am rheumatischen Fieber starb.
J.R.R. war früh Halbwaise geworden. Zurück in England, lebte er in Kings Heath
im Hause seiner Verwandten mütterlicherseits, wenig später folgte ein Umzug
in den malerischen Flecken Sarehole, einen jener so typisch englischen Orte,
wo Geschichte förmlich geatmet werden kann, wo hinter jeder Wegbiegung ein Ritter
heranpreschen oder ein Bogenschütze lauern könnte. John Ronald Reuel sog dieses
Flair ein und erlernte den Dialekt der Grafschaft Warwickshire, den schon
William
Shakespeare beherrschte. 1900 konvertiert Mabel Tolkien samt ihren Söhnen zum
römisch-katholischen Glauben. Wieder steht ein Wohnortswechsel ins Haus, diesmal
nach Mosley, wo der Mönchsorden der Oratory Brethren ein Zentrum hatte. Dort
trifft J.R.R. auf Pater Francis Xavier Morgan, einen Geistlichen, der von nun
an die fehlende Vaterfigur ausfüllt und den Jungen auf eine katholische Grundschule
schickt. Mabel Tolkien geht es aufgrund ihrer Diabetes gesundheitlich immer
schlechter. Den Tod vor Augen, legt sie fest, dass nach ihrem Ableben Pater
Morgan Vormund der Söhne J.R.R. und Hilary wird. 1904 ist der traurige Moment
da; die Tolkien-Brüder werden zu Vollwaisen und ziehen zu Tante Beatrice nach
Birmingham.
Die Liebe zu Edith und Büchern
J.R.R. interessiert sich früh für Bücher und ist ein guter Schüler an der protestantisch
dominierten "King Edward's School". Sein Lehrer George Brewerton fördert die Wissbegier
des jungen Tolkien, was mittelalterliche Geschichte und Sprache betrifft. Und
auch Pater Morgan steht erneut zur Seite, sei es spirituell oder finanziell.
1908 arrangiert er den Umzug von J.R.R. und Hilary Tolkien in die Nähe der Oratory
Brethren, ins Haus von Mrs. Faulkner. Dort, in der ersten Etage, wohnt Edith
Bratt, 19 Jahre alt, klug und hübsch. Der drei Jahre jüngere J.R.R. entflammt
in romantischer Liebe zu ihr, möchte sie besser heute als morgen zur Frau nehmen.
Pater Morgan legt ihm nahe, kühlen Kopf zu bewahren und Edith erst mit 21 Jahren
einen Antrag zu machen; denn wenn er sie in fünf Jahren immer noch liebe, wäre
sie die Richtige für ihn. Im England des frühen 20. Jahrhunderts wurde ein Ratschlag
wie dieser befolgt. J.R.R. behält Edith im Hinterkopf und widmet sich wieder
voll und ganz dem schulischen Fortgang. Schließlich erhält er ein Stipendium
für das angesehene Exeter College, ein zur Eliteuniversität Oxford zählendes
Institut. 1915 macht er seinen Abschluss mit summa cum laude, absolviert den
Grunddienst beim Militär und widmet sich nebenbei dem Rugby.
Am 3. Januar 1913 ist der große Tag endlich da. J.R.R. ist 21 und damit volljährig.
Die erste Tat in seinem Leben als Erwachsener besteht im Schreiben eines Briefes
an Edith. Dessen Inhalt gipfelt in einem Heiratsantrag. Die Enttäuschung ist
groß als die Angebetete ihm mitteilt, schon einem Anderen versprochen zu sein.
Doch J.R.R. riskiert und gewinnt - wie seine später am Papier zu Leben erwachenden
Helden. Er reist nach Cheltenham und gewinnt Edith, welche seine Gefühle all
die vergangenen Jahre über ohnehin erwidert hatte, zurück. Die beiden haben
viel gemeinsam. Auch Edith verlor früh ihre Mutter, erhielt einen Vormund und
kam ins Internat. Was für J.R.R. die Literatur ist, ist für sie das Pianospiel,
nämlich Leidenschaft und Ausdruck ungewöhnlichen Talents. 1914 konvertiert die
anglikanisch erzogene Edith zum Katholizismus, um J.R.R. heiraten zu können.
Die Turteltauben zieht es nach Warwick, wo am 22. März anno 1916 der Bund fürs
Leben eingegangen wird.
Für J.R.R. ist die Zeit von 1913 bis 1916 künstlerisch prägend. Er findet Gefallen
an der heroisch-romantischen Malerei der Prä-Raphaeliten und schreibt während
einer Reise nach Nottingham, der Grafschaft des legendären Volkshelden
Robin
Hood, sein erstes mythisches Gedicht. Es trägt den Namen "Die Fahrt Éarendel
des Abendsterns". Seine Verliebtheit zu Edith lässt den lyrischen Galan ins
Reich der Fantastik aufbrechen. Der literarische Grundstein zum "Herrn der Ringe"
ist gelegt. Wie es das Schicksal vorsieht, lernt John Ronald Reuel Tolkien in
Oxford Joseph Wright kennen, einen Autodidakten mit breitem Yorkshire-Dialekt,
der als Jugendlicher weder lesen noch schreiben konnte, nun aber als Sprachkoryphäe
in der Universitätsstadt Anerkennung genießt. Wrights Disziplin ist die Vergleichende
Sprachwissenschaft. J.R.R., ohnehin in Altgriechisch und Latein geschult, wendet
sich dem Altnordischen wie dem Finnischen zu. Letzteres gilt als schwer erlernbar,
J.R.R. hat zumindest mit den Grundzügen dieser nicht-indogermanischen Sprache
wenig Probleme. Finnisch sollte im "Herr der Ringe" prägend für die
Elbensprache Sindarin
werden, so wie das linguistisch dem keltischen Sprachkreis zugehörige Walisische
im zweiten bedeutenden Idiom der Elben Niederschlag finden wird, dem Quenya.
Kriegs-Intermezzo
Doch mitten in J.R.R. Tolkiens frühes Glück brach
der
Erste Weltkrieg. Als 2. Leutnant der Infanterie wird er nach Frankreich eingezogen,
wo er in den Schützengräben gegen die Deutschen und Österreicher zu kämpfen
hat, jene Nationen, aus denen seine Urahnen stammten. Denn Tolkien ist eine
englische Verballhornung des Wortes "tollkühn", eines Prädikats, das seinen
Vorvätern aufgrund ihres Wagemutes in den Türkenkriegen gegeben worden war.
J.R.R. erlebt am französischen Schlachtfeld die Brutalität des industrialisierten
Waffengangs, die mörderische Wirkung moderner Technologien. Glück im Unglück,
erkrankt er 1915 am Schützengraben-Fieber und erhält Heimaturlaub. Edith ist
es erlaubt, ihren Geliebten im Armeehospital zu pflegen.
Eines Tages tanzt sie für ihn in einem Waldstück, ein Erlebnis, das J.R.R. so
bezauberte, dass es im "Silmarillion" als wunderbare Begebenheit wiederaufscheint.
Lúthiën (Sindarin für "Zauberin"), die anmutigste Frau des Elbenvolkes, die
je auf Erden wandelte, wiegt sich im Wald zum Tanz der Elemente. Ihre geschmeidigen
Bewegungen gehen auf im Rauschen des Windes, in der Schwingung der Blätter.
Als der Mensch Beren (="kühn") sie erblickt, verfällt er ihr. Eine Liebesgeschichte
nimmt ihren formvollendeten Lauf. Lúthiën und Beren bleiben für J.R.R. Tolkien
bis über den Tod hinaus Synonyme für seine Frau und ihn, zumal Beren, der Kühne,
auch einer etymologischen Anspielung auf Tolkiens eigenen Namen gleichkommt.
Am 16. November 1917 gebiert Edith den ersten Sohn, John Francis Reuel. Ende
1918 scheidet J.R.R. aus dem Militärdienst aus. England hat den Krieg gewonnen,
aber Tolkien trägt die Abscheu vor Technologisierung und Industrialisierung
als mentale Verwundung sein Leben lang. Sein Inneres sucht den Trost in der
Natur, im vom Menschen noch Unberührten, in der Welt der melancholisch-lyrischen
Elben.
Übergangszeit in Leeds
1920 erhält J.R.R. in der Grafschaft Yorkshire, an der University of Leeds,
einen Lehrstuhl. Sein unmittelbarer Vorgesetzter und guter Freund wird der Kanadier
E.V. Gordon. Mit ihm startet er zwei sprachwissenschaftlich interessante Projekte.
Zum Einen verfassen die beiden "A Glossary of Middle English", zum
Anderen eine
Neuauflage des Gedichts "Sir Gawain and the Green Knight", die allerdings erst
1925 publiziert wird. Beide Werke zur frühmittelalterlichen Epoche Englands
sind erste literarische Schritte in Richtung Ring-Epos.
Während der Zeit in Leeds gebiert Edith ihren zweiten Sohn, Michael Hilary Reuel.
1924 erblickt der dritte, Christopher Reuel, das Licht der Welt. Von Vaterfreuden
erfasst, verfasst Tolkien die Kindergeschichte "Roverandom", die von einem Hund
handelt, der durch einen Sturm zum Mann im Mond verschlagen wird. Als E.V. Gordon
Leeds verlässt, folgt J.R.R. ihm nach und wird mit nur 32 Jahren Dekan der dortigen
Universität.
Der Don von Oxford
1925 geht Tolkiens beruflicher Wunsch in Erfüllung, er erhält eine Englischprofessur
an der University of Oxford. Volle 22 Jahre - bis 1947 - lebt Familie Tolkien
in ihrem Haus an der Northmoor Road. Die Inneneinrichtung wird von Büchern dominiert,
sie sind allgegenwärtig. Dafür ist die von J.R.R. mit Argwohn beäugte Technik
auf ein Mindestmaß reduziert. Edith frönt in ihrer Freizeit der Musik bzw. der
typisch englischen Gartenarbeit. Während die Kinder am Rasen herumtollen, genießt
J.R.R. im Tabakqualm eine seiner heiß geliebten Pfeifen. Dieses Idyll erinnert
frappant an den Alltag der Hobbits, wie es in Buch und Film Darstellung findet.
Fernab von Trubel und Machtkämpfen geht das Leben beschaulich seinen Gang.
Und auch an der Universität gibt es wenig Probleme. Tagtäglich schwingt sich J.R.R.
Tolkien auf sein Rad, um in wallender Gelehrtenrobe zum College zu fahren. Seine
Freundlichkeit und Eloquenz machen ihn bei der Studentenschaft sehr beliebt.
Wenngleich seine Aussprache nicht immer die verständlichste ist, da er auch
bei Vorlesungen die Pfeife nur selten aus dem Mund nimmt. Stark frequentiert
ist seine Vortragsreihe über das altenglische Gedicht "Beowulf". Alles in allem
führt J.R.R. an der Universität das Dasein eines honorigen Gelehrten, eines
Don.
Coalbiters und Inklings
1926 trifft J.R.R. erstmals auf seinen Kollegen Clive Staples "Jack" Lewis,
der ebenfalls eine Englischprofessur inne hat. C.S. Lewis wird neben Tolkien
selbst zu einem der wichtigsten Ahnväter fantastischer Literatur, er verfasst
z. B. die "Narnia
Chroniken", eine Science-fiction-Trilogie. Zwischen beiden
Männern entwickelt sich eine lebenslang anhaltende Freundschaft. Jack wird Mitglied
in J.R.R.s kurz vor ihrem Treffen gegründeten Klub "Coalbiters". Ein Name, der
auf das isländische Wort "Kolbitar" zurückgeht. Das waren Menschen, die im Winter
so nahe am Lagerfeuer zusammensaßen (und sich Geschichten erzählten), dass sie
förmlich in die Kohlen beißen hätten können. In regelmäßigen kurzen Intervallen
treffen sich die Coalbiters am College bzw. im Pub "Der Adler und das Kind".
Sie sehen sich selbstironisch als "Inklings", Literaten, die ihre Ideen mit
Tinte (= engl. "ink") vage zu Papier bringen und mit Gleichgesinnten ausdiskutieren.
Tolkien selbst agiert als wohlwollender, aber auch scharfzüngiger Kritiker seiner
Mit-Inklings. Hinzu kommt, dass sich die Coalbiters zu gegenseitiger Hilfestellung
- auch im Privaten - verpflichten, ein Wesenszug, der in der fellowship
of the ring, den neun Ringgefährten, mit Gandalf (= Tolkien) an der Spitze,
Eingang fand.
"Kleiner Hobbit" und II. Weltkrieg
Am 21. September 1937 veröffentlicht J.R.R. Tolkien "Der kleine
Hobbit", die Geschichte des Halblings Bilbo Baggins, der seine idyllische
Heimat verlässt, auf Zauberer,
Zwerge, Elben und Riesenspinnen
trifft, um letztlich dem Drachen Smaug einen Schatz zu entreißen und auf jenen
einen Ring stößt, der späterhin zum zentralen Element in "Der Herr der Ringe"
wird. Wider die Skepsis des Verlags gefallen die Abenteuer des Hobbits Bilbo
nicht nur den Kindern, sondern auch dem erwachsenen Publikum. J.R.R. Tolkien
erlangt Anerkennung über die Grenzen Großbritanniens hinaus. In New York wird
ihm der Literaturpreis der renommierten "Herald Tribune" verliehen. Und erstmals
macht sich sein literarisches Schaffen auch finanziell positiv bemerkbar. Endlich
können alte Rechnungen bezahlt und Renovierungen am Haus vorgenommen werden.
Schließlich braucht auch Töchterchen Priscilla, 1929 geboren, Raum.
Mitten in diese kreative Schaffensphase platzt der Aufstieg des Nationalsozialismus
in Deutschland und der daraus resultierende Zweite Weltkrieg. J.R.R. Tolkien, ein
an sich ruhiger und besonnener Mann, verabscheut Hitler zutiefst. Seiner Meinung
nach "missbraucht und zerstört" der Diktator den "guten Einfluss des
Nordens".
Tolkien wird an der Heimatfront tätig: Er geht durch die Straßen und bewegt
die Anwohner dazu, abends die Lichter auszuschalten, um den deutschen Bombern
in Oxford keine Ziele zu bieten. Zwei der Tolkiensöhne, einer davon bei der "Royal Air
Force", sind aktiv am Kampf gegen die Nazis beteiligt. J.R.R. Tolkien
lehnte es aber stets ab, wenn Parallelen zwischen
Adolf
Hitler und dessen hochgerüsteter Wehrmacht zu Sauron und seinen zerstörungslüsternen
Ork-Horden im "Herr der Ringe" gezogen wurden. Möglicherweise wollte er den
Faschisten kein literarisches Denkmal setzen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird J.R.R. Tolkien Professor für Englische
Sprache und Literatur am Merton College von Oxford; Schwerpunkt "Mittelenglisch
bis 1500". Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1959 sollte er diese Lehrstelle
innehaben. Samt Familie zieht er erneut um, zuerst in die Manor Road, dann in
die Kleinstadt Headlington.
Die Zeit des "Herrn der Ringe"
Im Sommer 1954 schlägt die eigentliche Geburtsstunde der klassischen Fantasy-Literatur.
Der erste Teil der Trilogie "Der Herr der Ringe" mit dem Titel "Die Gefährten"
wird veröffentlicht. Im folgenden Jahr reicht Tolkien die Fortsetzungen "Die
zwei Türme" bzw. "Die Rückkehr des Königs" nach. Damit ist der Ring-Zyklus komplett.
Die vom Verlag "Allen & Unwin" mit Vorsicht aufgelegten 3.500 Exemplare waren
innerhalb eines Monats vergriffen.
Worum geht es in der Erfolgsgeschichte? In einer mythischen Zeit lange vor uns, am
Ende des 3. Zeitalters, wird der Kontinent Mittelerde vom Krieg überzogen. Der
Dunkle Herrscher, Sauron, will "den einen Ring" zurück, jenes mächtige magische
Utensil, das all seine Träger verknechtet, und die freien Völker in die Sklaverei
führen soll. Unterstützt wird Sauron vom machtgierigen Magier Saruman, der sich
vom Licht abwandte und in fabrikähnlichen Erdschlünden martialische Monster
züchtet, die Uruk-hai. Beide Finsterlinge residieren in festungsartigen Türmen,
die von Horden verunstalteter Orks bewacht sind. Diese Allianz der "Zwei Türme"
schickt sich an, Land um Land, Volk um Volk zu unterjochen. Ziel ist es, das
Zeitalter der Menschen zu beenden.
Auf der Gegenseite formieren sich die "Ringgefährten", ein mühevoll zustande
gebrachtes Bündnis der Kräfte des Lichts. Es besteht aus neun Personen. Neben
dem mächtigen und weisen Zauberer Gandalf ragt vor allem Aragorn, Abkömmling
des edelsten aller Königsgeschlechter der Menschen, der ein Leben als Waldläufer
wählte, heraus. Ihnen zur Seite stehen Legolas, ein elbischer Prinz, sowie Gimli,
ein stämmiger Zwergenkrieger - ebenfalls fürstlichen Bluts. Die Mehrheit in
der fellowship of the ring machen allerdings Hobbits aus, unscheinbar
wirkende Halblinge aus dem Auenland. Ihre Namen: Merry, Pippin, Sam und Frodo.
Später gesellt sich Boromir, ein adliger Krieger aus dem Südreich Gondor hinzu.
Von diesen neun Gefährten fällt Frodo die bedeutsamste Rolle zu. Er ist der
vom Schicksal Auserkorene - ihm obliegt es, den "einen Ring" zurück zum Schicksalsberg
zu bringen, dort in dessen Lava zu werfen und ihn damit auf die einzig mögliche
Weise zu zerstören. Verhalten sich Band eins und zwei wie These und Antithese,
birgt Band drei, "Die Rückkehr des Königs", die Synthese. Alle Nebenhandlungsstränge
kulminieren in einer apokalyptisch anmutenden Entscheidungsschlacht, währenddessen
Frodo tatsächlich die Vernichtung des unheilbringenden Rings gelingt. Die Armeen
der Dunkelheit können geschlagen werden, und Aragorn setzt sich auf den seit
Jahrhunderten verwaisten Thron der Menschen. Das 4. Zeitalter - viele meinen,
unsere Jetztzeit - zieht herauf.
Tolkien verfasste kein Märchen, bei dem alles absehbar ist und strahlende Helden
das Geschehen dominieren. Seine Aussage ist die, dass nur aufgrund vereinter
Kräfte und harter Entbehrungen ein Erfolg möglich wird. Die Ringgefährten stehen
oft gefährlich nah am Abgrund, nur Zentimeter oder Gedankenfragmente vom Versagen
entfernt. Aragorn, der Heros, hätte ohne die Hilfe des Halblings Frodo versagt,
ebenso wäre der mächtige Magier Gandalf zum Scheitern verurteilt gewesen. Ausschließlich
durch Synergie aller Kräfte und Personen war der Sieg möglich. Und selbst dieser
ist nicht strahlend, sondern geprägt durch Verrat, Verlust und Tod - ein Pyrrhussieg
eben. Als Quintessenz des "Herrn der Ringe" bleibt: Jeder kann die Welt verändern,
jeder ist Teil des untrennbar Ganzen - auch wenn er klein und schwach wie ein
Hobbit wirkt.
Der manchmal ins Treffen geführte Rassismusvorwurf geht bei J.R.R. Tolkien ins
Leere. Es stimmt zwar, dass er etwa in den Elben eine Art "Überrasse" mit hoher
Ethik und Kultur entstehen ließ, deren Zerrbild die degenerierten, von Zerstörungswut
getriebenen Orks sind, doch steht nicht der Rassebegriff im Zentrum, sondern
jener der Gesinnung. Auch Orks waren einst Elben, ehe sie von der Kraft des
Bösen versklavt und verunstaltet wurden. Nicht was in den Adern fließt ist vorrangig,
sondern das, was in den Gedanken und Herzen strömt. Zudem setzt Tolkien anhand
der Charaktere Legolas (Elbe) und Gimli (Zwerg), Sprösse zweier an sich verfeindeter
Rassen, auf Völkerverständigung und Abbau von Vorurteilen. Die beiden Kampfgefährten
avancieren im Laufe der Erzählung immer mehr zu besten Freunden.
In den 1960ern eroberte "Der Herr der Ringe" auch die Vereinigten Staaten von
Amerika. Der Verlag "Houghton Mifflin" brachte in Kooperation mit
"Ballantine Books"
die erste Taschenbuch-Edition heraus; alle drei Ringbücher in einer einzigen Ausgabe
gebunden. Im Zuge der Studentenbewegung und Proteste gegen den Vietnamkrieg
erhielten die Hobbits eine neue Interpretation, sie wurden zu den Kraut rauchenden
(= Drogen) Einzelkämpfern gegen das System des Militarismus, repräsentiert durch
die US-Regierung mit Sauron (dem Präsidenten) an ihrer Spitze.
Die späten Jahre
Tolkien, selbst konservativer Naturliebhaber, kriegt von dem all wenig mit.
Für ihn ist eine Zeit der Huldigungen hereingebrochen. In Belgien und Irland
werden ihm honoris causa Doktorate zuteil, das Exeter College ernennt J.R.R.
zum Ehrenmitglied, und Merton College zum Emeritus. 1966 feiert er die Goldene
Hochzeit mit Edith. Fünfzig Jahre schon hat die Liebe zwischen Lúthiën und Beren
gehalten. Doch das körperliche Wohl seiner Frau nimmt aufgrund einer Arthritis
immer mehr ab, weshalb die beiden 1968 in die südenglische Küstenstadt Bournemouth
übersiedeln, wo das Klima weit milder als in Oxford ist. Ihre noch verbleibende
gemeinsame Zeit bleibt knapp bemessen. Am 29. November 1971 ist der Tag des
Abschieds schlussendlich gekommen, Edith stirbt.
Im März 1972 geht J.R.R. nach Oxford zurück, wo er in der Merton Street 21 von
der Universität eine Wohnung samt Hausverwalter zur Verfügung gestellt erhält.
Zur Krönung seiner akademischen Laufbahn verleiht ihm seine Alma mater das Ehrendoktorat.
Von der Königin wird er im Buckingham Palace feierlich zum "Commander of the
Order of the British Empire" geschlagen. Es sollte der letzte Höhepunkt im Leben
des John Ronald Reuel Tolkien sein, denn am 2. September 1973 verlässt er diese
Welt. Seine sterblichen Überreste werden am Stadtrand von Oxford, am Friedhof
von Wolvercote, bestattet. Der Tod bringt die Wiedervereinigung mit seiner Frau
Edith. Tatsächlich stehen unter den englischen Namen der beiden auch ihre Synonyme
- Lúthiën und Beren - am Grabstein eingemeißelt.
Tolkiens Erbe lebt weiter
Sein Spätwerk, das "Silmarillion", eine Sammlung von Geschichten aus dem 1.
und 2. Zeitalter Mittelerdes, konnte J.R.R. nicht mehr zur Gänze fertig stellen.
Diese Aufgabe nahm sein Sohn Christopher wahr. Danach folgt eine Schar von Fantasy-Autoren,
die mehr oder weniger stark Anleihen an Tolkiens Werk nimmt und so zur weiteren
Verbreitung des literarischen Grundmusters beiträgt. Auch in anderen Kunstbereichen
geizten die Musen nicht mit Küssen. So z. B. im Film. Nachdem es 1978 unter
Ralph Bakshi eine leider nur Fragment gebliebene Trickversion des "Herrn der
Ringe" gab, fasste der australische Regisseur Peter Jackson "The Lord of the
Rings" - dem schriftlichen Original eng angelehnt - mehr als zwanzig Jahre später
in bewegte Bilder mit teils realen Akteuren. J.R.R. Tolkiens Traum, breitenwirksam
visualisiert und mehrfach Oscar belohnt, hat eine Vielzahl neuer Länder erschlossen.
Begleitend dazu erleben seine Bücher eine Blütezeit. Ein Indiz dafür, dass Tolkiens
Werk über Generationen und Kulturkreise hinweg Aktualität behält.
J.R.R. Tolkien, der Mann, der "Herr der Ringe" schuf, komponierte ein Stück
Weltliteratur, schöpfte aus unserem kollektiven Bewusstsein und schuf ein unsterbliches
Epos - ähnlich der "Ilias" oder "Edda" - zeitlos,
schön, elbisch ...
Heel, 2001. 135 Seiten.
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Gregory Bassham, Eric Bronson: "Der Herr der Ringe und die Philosophie. Klüger
werden mit dem beliebtesten Buch der Welt"
Eine leicht lesbare Einführung in die grundlegenden Fragestellungen der
Philosophie und ein spannender Beitrag zu den vielfältigen Möglichkeiten, wie
das beliebteste Buch aller Zeiten gelesen werden kann. Was hat Nietzsches Wille
zur Macht mit Frodos Ring zu tun? Wie hängen
Augustins Vorstellungen über die
Natur des Bösen mit Gandalfs Gedanken über Saruman zusammen?
Wenn ein sterbliches Wesen - zum Beispiel ein Mensch oder ein Hobbit - einen
Ring der Macht besäße, würde es sich dann noch für ein moralisches Leben
entscheiden? Gregory Bassham und andere akademische Philosophen zeigen, wie sich
im "Herrn der Ringe" die großen philosophischen Fragen von
Platon bis
Nietzsche entdecken lassen. Den Leser erwartet eine leicht lesbare und
unterhaltsame Einführung in die wichtigsten Themen der Philosophie:
- Bilbos Ring als Symbol für den Zusammenhang von Macht und Moral.
- Saurons finstere Pläne: Technik und Umweltzerstörung als Frage der Ethik.
- Das Auenland und die Suche nach dem Glück als dem "einfachen Leben".
(Klett-Cotta)
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