Martin Haidinger: "Von der Guillotine zur Giftspritze"
Die Geschichte der Todesstrafe. Fakten - Fälle - Fehlurteile
Es
gibt Bücher, die den Leser nach der Bewältigung der
Lektüre ziemlich ratlos zurücklassen. In diese
Kategorie gehört wohl auch das nunmehr zu besprechende
Sachbuch. Das hängt damit zusammen, dass das Thema Todesstrafe
für sich schon äußerst
dramatisch ist, und
der Historiker Haidinger durch die nichtlineare Darstellung von Fakten
so etwas wie einen Rundumschlag macht, der von der
Französischen Revolution bis
zum Irak-Krieg führt. Es
gibt also kein spezifisches Prinzip, durch das sich dieses Buch
kennzeichnet. Die Aneinanderreihung von oft makabren Aspekten der
grauenhaften Thematik vermag es nur selten, eine Quintessenz auch nur
anzudenken. Nunmehr kann selbstverständlich die Frage gestellt
werden, ob ein Sachbuch überhaupt eine Quintessenz ergeben
muss? Ist es in diesem Falle nicht ohnehin so, dass es keine rationalen
Argumente gibt, diesem offenbar seit Anbeginn der Menschheit
praktizierten "Phänomen" zu begegnen?
Der Französischen Revolution samt damit
zusammenhängender ausufernder Lynchjustiz wird sehr viel Raum
gegeben. Hierbei werden die Begleitumstände ebenso dargestellt
wie die verschiedenen Staatsgebilde, welche in gewisser Hinsicht
"Vorbild" für spätere Systeme wurden, was keineswegs
als "Ruhmesblatt" beschrieben werden kann. Die Systeme wechselten
einander ab, und am Ende waren die letzten Revolutionäre tot.
Zwar ist es interessant, davon zu lesen, dass
Robespierre keineswegs
ein Robin Hood seiner Zeit war, und Henker auch menschliche
Züge hatten, doch ist es eher mühsam, die ganze
durchaus nicht unbekannte Vorgeschichte zu lesen, um dann dem
grundsätzlichen Thema zu begegnen. Ludwig XVI. hatte das Pech,
König zu sein, und wurde somit der Guillotine
zugeführt. Seine Frau, die auch Österreichern wohl
nicht unbekannte Marie Antoinette wiederum hatte nur wenig
später das Pech, mit diesem Mann verehelicht zu sein, sodass
sie ihrem Todesurteil nichts entgegensetzen konnte. Ansonsten brachten
Menschen andere Menschen ohne Maß und Ziel um. Es reichte
schon, zu glauben, dass diese "anderen" nicht die eigenen Standpunkte
vertreten würden, welche wiederum schon übermorgen
ebenso Grund sein könnten, um selbst guillotiniert zu werden.
Zweifellos das "Prunkstück" des Buches ist die Darstellung der
Todesstrafe in Österreich. Hierbei wird auf den Scharfrichter
und also Henker Josef Lang eingegangen, der sozusagen einer "Dynastie"
von Henkern entstammte, und folglich - so makaber dies klingt - sein
Handwerk professionell auszuüben bemüht war. Noch im
Jahre 1960 gab es in Österreich eine Debatte über die
Todesstrafe, die einige Politiker gerne wieder sehen würden,
und welche nach 46 verhängten Todesurteilen in den Jahren 1945
bis 1950 nicht mehr zu ihrem "Recht" kam.
Es sollte bis ins Jahr 1968 hinein dauern, bis der Artikel 85 des
Bundesverfassungsgesetzes besagte:
"Die Todesstrafe ist abgeschafft."
Die Constitutio Theresiana beschrieb haarklein,
für welche Delikte welche Arten der Todesstrafe zu
Maria
Theresias Zeiten vorgesehen waren. Nachdem der Galgen - die
berühmte Spinnerin am Kreuz entfernt
worden war, wurden nun den Delinquenten Daumenschrauben angelegt, und
das Aufhängen in nicht vorstellbarer Art war an der
"Tagesordnung". Es folgten weitere "Abwandlungen" der Todesstrafe, bis
also 1968 endlich die Abschaffung konstituiert war.
Der Todesstrafe in den USA wird
verhältnismäßig wenig Raum zugestanden,
obzwar es einigermaßen erschütternd ist, wie viele
angebliche Mörder zu Tode gebracht wurden, ohne dass sie
für irgendein schweres Verbrechen verantwortlich waren. Ein
gewisser George W. Bush hat von seinem Recht der Begnadigung ebenso oft
Gebrauch gemacht wie ein gewisser Arnold Schwarzenegger.
Nämlich haargenau null Mal. Und das, obzwar es nicht wenige
Fälle gab, wo berechtigte Zweifel an der Schuld oder
Zurechnungsfähigkeit der Todeskandidaten bestanden.
Schwarzenegger setzt sich dafür ein, dass die Henker besser
"geschult" werden und überhaupt die ganze Prozedur
"professioneller" abläuft.
Besonders grausam sind die Details, die mit der Praktizierung der
Todesstrafe im Orient einhergehen. Insbesondere im Iran und in Saudi
Arabien wird auf eine Art und Weise die Todesstrafe praktiziert, die
für die betreffenden Menschen die Hölle auf Erden
bedeutet, ehe sie sterben dürfen. So werden in Saudi Arabien
Menschen, die - aus Sicht der Araber - besonders schreckliche
Verbrechen verübt haben, lebendig aus Flugzeugen. Im Iran
verhält es sich so, dass der "Nachweis" von
Homosexualität mit dem Tod bestraft wird. Die Steinigung ist
sozusagen "üblich", und dies alles beruht auf dem Gesetzbuch
des Islam, der Sharia, das zum Teil aus dem Koran
abgelesen werden kann, und zudem Rechtstraditionen samt
Präzedenzfällen impliziert, die bis ins 7. und 8.
Jahrhundert zurückreichen. Schließlich kommt auch
noch ein dritter Aspekt hinzu, der Erlässe von Rechtsgelehrten
beschreibt, und allgemein als "Fatwah" bekannt ist. Laut Sharia
steht der Tod auf zwei Delikte, nämlich Unzucht und
Straßenraub. Auf Andersgläubige soll keineswegs die
Todesstrafe angewandt werden. Das ändert aber nichts daran,
dass dies dennoch sehr häufig geschieht. Christenverfolgungen
in Ländern, deren Bürger mehrheitlich islamisch sind,
wie etwa in Indonesien, werden mit Nachdruck praktiziert. Ich kam ganz
persönlich mit einem jungen Mann aus Nigeria in Kontakt, der
mir davon erzählte, dass er in Nigeria deswegen verfolgt
wurde, weil er Christ sei. Seine Familie wurde ermordet. Es war die Sharia
gegen ihn verhängt worden. Für mich war das damals
ein Aspekt, der mir bis dahin unbekannt gewesen war, aber Verfolgung
von Andersgläubigen in islamisch dominierten Staaten ist - wie
beschrieben - weit verbreitet.
Im Zusammenhang mit dem Islam wird auf die Vorlesung von
Papst Benedikt
XVI. eingegangen, der am 12. September 2006 an der Universität
Regensburg einen mittelalterlichen, byzantinischen Kaiser zitierte, der
Mohammed kritisiert habe. Daraufhin wurde nicht nur Benedikt von der
islamischen Welt öffentlich und medial zum Tode verurteilt,
sondern es kam tatsächlich zu Hinrichtungen, die
ursächlich mit dieser Vorlesung in Verbindung stehen
könnten. Im Sudan etwa wurde eine Nonne erschossen.
Vieles wird in diesem Buch miteinander vermengt, sodass also der
anfangs erklärte ratlose Eindruck entsteht. Dass die
Todesstrafe ein Irrsinn ist, und in unzähligen Fällen
auch ohne Gerichtsverfahren praktiziert wird, ist eine Tatsache. Die
Frage, ob überhaupt noch von Todesstrafe die Rede sein kann,
wenn es ohne ein ordentliches Verfahren zu einer Hinrichtung kommt,
wird nicht ausgespart. Tatsächlich ist die Todesstrafe ein
Instrument von Staaten, in erster Linie Macht zu demonstrieren. Die
willkürliche Tötung von Menschen, wie sie zur Zeit
der Französischen Revolution "üblich" war, kann nicht
als "Todesstrafe" durchgehen. Das Abschlachten von Menschen, wie es in
zahlreichen Ländern auch heute noch an der "Tagesordnung" ist,
orientiert sich an keiner rechtlichen Basis, die dies legitimieren mag.
In jenen Fällen, wo die Todesstrafe ein gesetzlich anerkanntes
Instrumentarium ist, kann ebenso wenig davon ausgegangen werden, dass
hier alles seine "Ordnung" hat. Abgesehen davon, dass die
Tötung eines Menschen immer ein Verbrechen darstellt, und kein
Staat dies abstreiten kann, ist eine Unzahl von Todesurteilen
ausgesprochen worden, welche jeglicher Logik entbehren. Ein makabres
Beispiel ist etwa jenes eines jungen Mannes in den
USA, der zum Tode verurteilt wurde, obzwar ein Freund zugab, ganz
allein für ein Verbrechen verantwortlich gewesen zu sein.
Allenorten kam und kommt es zur Vollstreckung von Todesurteilen, die
ganz gewiss als willkürliche Tötung unschuldiger
Menschen bezeichnet werden müssen.
Die unglaubliche Brutalität, mit der Menschen als "Strafe" zu
Tode gebracht wurden, von der Guillotine bis zur Giftspritze und noch
weit darüber hinaus, beschreibt das Buch zur Genüge.
Martin Haidinger hat sich hierbei zahlreicher Quellen bedient, die als
historisch gesichert gelten mögen.
Wer dieses Buch liest, wird mit zahlreichen Dingen konfrontiert, die
teilweise nur schwer verdaulich sind. Es ist sicher nichts für
schwache Nerven, was mich auch dazu veranlasst hat, keine Details in
meine Rezension einfließen zu lassen. Die Todesstrafe zu
verhängen ist in meinen Augen ein schweres Verbrechen, das
immer noch in vielen Staaten praktiziert wird.
Jene sechs Staaten, die für 91 Prozent der Hinrichtungen
verantwortlich zeichnen, sind China, Iran, Pakistan, Irak, Sudan und
die USA. Bislang haben 99 Staaten die Todesstrafe für alle
Verbrechen abgeschafft, nachdem es im Jahr 1977 erst 16 gewesen waren.
Es ist zu hoffen, dass dieser "Aufwärtstrend" bald auch die
genannten Staaten und noch einige mehr erreicht.
(Al Truis-Mus; 09/2007)
Martin
Haidinger: "Von der Guillotine zur
Giftspritze. Die Geschichte der Todesstrafe. Fakten - Fälle -
Fehlurteile"
Ecowin, 2007. 224 Seiten.
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Vom
Rezensenten wird auf die Netzseite
https://www.todesstrafe.de
hingewiesen.
Martin Haidinger, Mag. phil.,
wurde 1969 in Wien geboren und absolvierte dort ein Studium der
Geschichte. Seit
1990 arbeitet er als Journalist für österreichische
und deutsche
Rundfunkanstalten und schreibt für Zeitungen und Magazine.
1996 erhielt
Haidinger den Österreichischen Staats-Förderpreis
für
Wissenschaftspublizistik. Der Buchautor, Romancier und Kabarettist ist
außerdem
Lehrbeauftragter der Karl-Franzens-Universität Graz und der
Katholischen
Medienakademie in Wien.