Anup und Manoj Shah: "Tiermütter und ihre Jungen"

Dem Autorenteam Anup und Manoj Shah ist es gelungen, ein fotografisches Meisterwerk zu schaffen. In ihrem Buch "Tiermütter und ihre Jungen" begleiten sie viele verschiedene Tiermütter und ihre Jungen auf einem langen Weg. Von der Geburt, über die ersten Schritte bis hin zur unvermeidlichen Trennung, die das Erwachsenwerden mit sich bringt.


Die Autoren haben mit dem Thema ihres Buches eines der schönsten aber sicher auch eines der schwierigsten Themen ausgewählt. Tiermütter und ihre Sprösslinge sprechen jeden von uns an. Denn wer kann den großen fragenden Augen eine jungen Orang-Utans oder dem weichen Fell eines kleinen Löwen schon widerstehen. Aber aus genau dem selben Grund ist es auch so schwierig, ein auch inhaltlich hochwertiges Buch über dieses Thema zu schreiben. Denn neben schönen Bildern vergisst man leicht auf Information und rutscht bald ins Kitschig-Banale ab. Doch genau diese Gratwanderung zwischen Bilderbuch und Sachbuch ist den Autoren meisterhaft gelungen. Ihre Tierbilder regen uns zum Lesen an. Wir wollen mehr über die gezeigten Tiere erfahren. Durch kurze Untertitel zu den einzelnen Bildern ermuntern die Brüder Anup und Manoj Shah den Leser geradezu, dazu Fragen zu stellen. Und diese Fragen werden in kurzen aber sehr informativen Texten sofort beantwortet.

So erfährt der Leser zum Beispiel, warum Gnus immer gemeinsam gebären oder warum Gepardenmütter doppelt so viele Junge bekommen wie Leopardenmütter. Man lernt, auf welch unterschiedliche Art und Weise die einzelnen Arten ihren Nachwuchs schützen und wodurch sich die einzelnen Kinderstuben unterscheiden.

Ein großer Teil des Buches ist den Menschenaffen gewidmet. Jenen haarigen Wesen, die uns so ähnlich sind und sich doch so sehr von uns unterscheiden. Die Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Menschenaffe, die uns in diesem Fotoband immer wieder gezeigt werden, machen sicher einen großen Teil des Reizes dieses Buches aus. Der Leser sieht, dass - wie auch bei uns Menschen - ein Neugeborenes von allen bestaunt wird. Affenweibchen verspüren einen ungeheuren Drang, ein Neugeborenes zu streicheln und zu liebkosen. Wie auch wir Menschen erliegen sie voll und ganz dem Charme des Kindchenschemas.

Doch die Autoren zeigen dem Leser auch die Kehrseite der Medaille: Jungtiere fast aller Arten sind einer ständigen Bedrohung ausgesetzt. Sei es durch Räuber oder auch durch Artgenossen. Pavianmütter begutachten den Nachwuchs von rangniedrigeren Weibchen sehr genau. Wenn sie in den rangniedrigeren Jungen eine Konkurrenz für die eigenen Jungen sehen, machen sie der Mutter und ihrem Nachwuchs das Leben schwer. Löwenmännchen töten die Jungen ihrer Konkurrenten um bessere Chancen zu haben, eigene Nachkommen zu zeugen. Dieses in "Tiermütter und ihre Jungen" sehr genau beschriebene Verhalten stößt uns im ersten Moment ab und lässt uns wirklich erschrecken, wenn wir auch hier traurige Parallelen zu uns Menschen erkennen können.

Die Autoren vermitteln die Informationen nicht - wie sonst so oft - völlig wertungsfrei. Sie gestehen den Tiermüttern eigene Gefühle wie Trauer, Freude und Liebe zu. Das kommt vor allem in einer Textstelle über eine trauernde Gepardenmutter, deren Junge von einem Löwen getötet wurden, zur Geltung: "Sichtbar schockiert betrachtet sie das Gemetzel. Dennoch ruft und sucht sie unablässig und hofft auf ein Lebenszeichen von einem ihrer Jungen. Bei Einbruch der Nacht sucht sie immer noch, doch sie ruft nicht mehr. Sie maunzt verzweifelt. Wenn Gepardenmütter weinen könnten, würde sie laut schluchzen."
Dadurch, dass praktisch alle fotografierten Tiere Namen haben, wachsen sie dem Leser ans Herz, wodurch sein Interesse geweckt wird. Durch solche Tricks schaffen es die Autoren auch jene zum Lesen der Texte zu animieren, die sich ursprünglich "nur" die "netten" Bilder ansehen wollten.
Die Gestaltung des Buches ist sehr übersichtlich: Es gliedert sich in die drei Überkapitel "Die Mutter und ihr Neugeborenes", "Die Mutter und ihre Jungen" und "Mütter im Portrait". Diese sind wieder jeweils in vier bis fünf Unterkapitel unterteilt.
Die Texte sind leicht zu verstehen und so aufgebaut, dass das Ende eines Kapitels überleitet zum Anfang des nächsten, wodurch der Leser zum Weiterlesen animiert wird. Es ist schwierig, das Buch zur Seite zu legen, weil man wissen will, wie die erzählten Geschichten weitergehen. Man will wissen, was aus dem kleinen Orang-Utan Forrester wird, und ob es der Gepardin Frisky gelingen wird, ihre Jungen groß zu ziehen.

"Tiermütter und ihre Jungen" ist sowohl für Erwachsene als auch für Kinder (ab 10) geeignet. Die wunderschönen Aufnahmen beeindrucken auch denjenigen, der sich eigentlich nicht für Tiere interessiert. Und auch wer nur auf der Suche nach Information ist, wird trotzdem in den Augen des abgebildeten Affenbabys versinken, über die tollpatschigen Löwenjungen schmunzeln und die stolzen Elefantenmütter bewundern.
Dieser Fotoband hat mir besonders gut gefallen. Die Autoren schaffen es uns zu zeigen, warum die Natur so schützenswert ist und warum man auch vor Tieren so etwas wie Ehrfurcht empfinden kann. "Tiermütter und ihre Jungen" beeindruckt deshalb so, weil es uns auf ganz besondere Weise berührt. Es weckt Beschützerinstinkte in uns und zeigt uns weshalb das, was wir da beschützen wollen, so besonders ist, dass man es als Wunder bezeichnen kann.

Die Brüder Shah sind in Kenia aufgewachsen, wo sie schon früh ihre Liebe zu wilden Tieren entdeckten. Die hinreißenden Momentaufnahmen der beiden preisgekrönten Tierfotografen finden sich in so renommierten Zeitschriften wie "Figaro Magazine", "Nature's Best Magazine" und "National Geographic".

(Anna Mehlmann; 09/2003)


Anup und Manoj Shah: "Tiermütter und ihre Jungen"
Aus dem Französischen von Regina Enderle.
Gerstenberg, 2003. 224 Seiten, 200 Abbildungen. 
ISBN
3-8067-2923-9.
ca. EUR 39,90.
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