Michael Tetzlaff: "Ostblöckchen"
Neues aus der Zone
In
"Ostblöckchen" beschreibt Michael Tetzlaff im Stil von Schulaufsätzen seine
Kindheitserinnerungen auf einem Dorf in der ehemaligen DDR und bereitet dem
Leser damit eine höchst amüsante Lektüre
Es gibt Geschichten über einen recht
humorvollen Großvater, der ein echter Kapitalist ist und eine eigene Schreinerei
besitzt, die Tetzlaffs feierfreudiger Onkel - er feiert an einem 17. Juni den
Westdeutschen Feiertag "Tag der deutschen Einheit" - übernommen hat. Dazu
Geschichten über die Eltern; der Vater nimmt sich zuhause kein Blatt vor den
Mund, und wenn der Junge dann draußen den Vater nachahmt, wie Kinder das nun mal
so tun, dann bekommt die Familie einige Schwierigkeiten. Die Mutter ist eine
brave Arbeiterin. Die Großmutter,
Oma
Lisbeth, der das Buch gewidmet ist, erzieht den Jungen, bis er in den
Kindergarten gehen kann, was dieser wiederum nicht will, nicht nur, weil man
dort nur mit Strumpfhose und Schürze herumrennen darf.
Man erfährt
außerdem, was der Fasching mit Faschismus zu tun hat, wie fürchterlich
Westbesuche sind, wie ein betrunkener Fleischhauer Oma Lisbeths Unterhosen
kostet, was das Arste Reutsche Dernsehen ist, wie Urlaube
so abliefen, was Bitterschwipse sind, wie Wehreinsätze der DDR abgehalten
wurden, welche Bedeutung westdeutsche Popmusik hat und wie lustig das
Maibaumsetzen und Maidemonstrationen in der Deutschen Demokratischen Republik
einst waren.
Michael Tetzlaff schreibt ohne Sentimentalität über die
ehemalige DDR, jedoch
humorvoll, seine eigenen Erinnerungen und Alltagsgeschichten auf. Die hätten im
Prinzip so auch im Westen stattfinden können, nur sie fanden eben im Osten
Deutschlands statt. Und deshalb erfährt man auch ein kleinwenig, wie der "real
existierende Sozialismus" für Kinder ausgesehen haben mag. So war die heute so
hochgepriesene Individualität jedes Einzelnen, die frei wählbare Ausbildung oder
freie Meinungsäußerung wohl nicht so ganz gewährleistet. Da konnte man schon in
Schwierigkeiten kommen, wenn man allzu frei und wahr gesprochen hat,
Westverwandtschaft hatte, oder ehrlich über seine Beweggründe
sprach.
Dennoch unterschied sich Tetzlaffs Heranwachsen wohl in nichts
von den West-Kindern und -Jugendlichen. Kindliche Bedürftigkeit, Pubertät und
Individualität finden wohl auch in kommunistischen Ländern statt, auch wenn dort
alle vermeintlich gleich sind.
Einige der Feinheiten kann wohl nur jemand ergründen, der wie Tetzlaff in der
DDR aufgewachsen ist. Aber auch für mich als Westkind ist dieses Buch ein unterhaltsamer
und humorvoller Begleiter in den Tagen des Lesens gewesen und ich habe bedauert,
dass es nach schon 162 Seiten vorbei war mit dem Lesevergnügen. Hoffentlich
schreibt der Autor bald noch mehr solche Geschichten, die dann wieder veröffentlicht
werden.
Einige Geschichten
konnte man bereits in der Kolumne "Ostblöckchen" im Feuilleton der "Frankfurter
Rundschau" lesen, und so werden diese Geschichten von Michael Tetzlaff jetzt im
gleichnamigen Buch bei Schöffling & Co veröffentlicht.
Michael
Tetzlaff wurde 1973 in Eisenberg geboren. Er wuchs in Thüringen auf und zog nach
der Wende er nach Frankfurt, wo er heute lebt und arbeitet.
(Ingrid; 05/2004)
Michael Tetzlaff:
"Ostblöckchen"
Schöffling & Co., 2004. 162 Seiten.
ISBN
3-89561-335-5.
ca. EUR 14,90.
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Leseprobe:
Oma
Lisbeth
Meine Oma hat so ziemlich alles erfunden, was in der DDR von
hohem Gebrauchswert war. Angefangen hatte alles damit, dass meine Eltern nicht
mehr mit im Haus meiner Großeltern wohnen konnten, da ich ja jetzt da war.
"Jetzt ist der da und die Scheiße geht los", soll mein Vater laut Überlieferung
seiner Freude Ausdruck verschafft haben. Also erfand meine Oma den Umzug. Die
Verwandten packten allen Krempel meiner Eltern inklusive mir auf den Garant K30
meines Onkels und fuhren das Zeug woandershin. Da lag ich nun zwischen lauter
Möbeln in einer neuen Wohnung und wuchs heran.
Ich war sehr faul - mir war
stellenweise selbst das Schlafen zu anstrengend -, verbrachte aber doch sehr
gerne meine Zeit bei meiner Oma. Die wohnte allerdings ein, zwei Kilometer weit
weg. Es musste etwas her, womit ich die Höllendistanz überwinden konnte. Meine
Oma machte sich ein paar Gedanken und erfand kurzerhand das Fahrrad. Nun konnte
ich jeden Tag zu ihr fahren und mich verwöhnen lassen. Von morgens bis abends
kochte und buk meine Oma. Irgendwann konnte sie mit meinem Fresswahn nicht mehr
mithalten. Ihr Kohleofen war einfach zu langsam. Das Resultat, das meine Oma aus
diesem Konflikt mit dem Kopf gebar, erfreut sich noch heute allergrößter
Beliebtheit: der Gasherd.
"Von so vielen Errungenschaften muss die Republik
erfahren", sagte Tante Erna, eine Nachbarin meiner Oma.
Es mag unglaubwürdig
klingen, aber meine Oma erfand an einem (!) Nachmittag die Zeitung, das Radio
und das Fernsehen. Nun kannte sie wirklich jedes Kind der DDR. Wissenschaftler,
sogar aus Russland, kamen und besuchten meine Oma. Sie redeten stundenlang mit
ihr, machten Aufzeichnungen und nickten wie verrückt. Meine Oma steckte sie alle
in die Tasche. Während einem dieser Gespräche erfand sie nebenbei die
Milchtüte.
Meine Oma arbeitete fortan sogar für verschiedene Ministerien der
DDR. Für unsere Hauptstadt erfand sie den Fernsehturm, den Palast der Republik,
die Leber "Berliner Art" und Herrn Konopke. Sie machte das alles ehrenamtlich
und zum Wohle des Volkes. Es war herrlich, eine solche Oma zu haben. Sie erfand
den Blitzknaller für Silvester, den Viertaktmotor und einen süßen Hustensaft.
Wenn ich meinen Schulkameraden erzählte, dass das meine Oma war, zeigten sie mir
einen Vogel und sagten: "Hättste wohl gerne?!"
Das wohl größte Aufsehen
erregte meine Oma mit der Erfindung der staatlichen Subventionen. Ein Brötchen
kostete nur noch fünf Pfennige, ein Fünf-Kilo-Brot (Wer hat's wohl erfunden?) 97
Pfennige. Einzig bei Importschlagern fehlte meiner Oma das Rezept zur
Subventionierung. Das nahm ihr aber keiner so wirklich übel.
Viele Jahre
schuftete meine Oma. 1989 sah sie, dass sich trotz ihrer ganzen Taten das Land
nicht zu einem Paradies entwickelt hatte. Andere Leute hatten sogar einige ihrer
Erfindungen, ich denke da an das Telefon, schamlos ausgenutzt, um alles zu
kontrollieren.
Das ging ihr zu weit und sie erfand die Wende.