Christian Rätsch, Roger Liggenstorfer: "Pilze der Götter"


In Mexiko waren halluzinogene Pflanzen, (Pilze, Kakteen, Samen usw.) in der Zeit vor den Spaniern die wichtigsten Hilfsmittel für spirituelle Praktiken, Heilverfahren und Gemeinschaftsrituale, und mancherorts die wichtigsten Genussmittel nach Kakao. Auch die Spanier mit ihrer derartige Praktiken als Teufelswerk brandmarkenden katholischen Kirche vermochten den Pilzgebrauch lediglich in den Untergrund zu drängen. Bezeichnend für die stumpfsinnige Hysterie (es sei denn, es handelte sich um böse Absicht) der damaligen Scharfmacher war, dass die unterworfenen Indianervölker mit dem spirituellen Grundgerüst des Christentums kaum Probleme hatten, dieses häufig freiwillig übernahmen, umso weniger aber einsahen, warum denn nun auf Pilzgenuss zu verzichten sei, wo sich doch gerade die Pilze seit vielen Jahrhunderten, geht man nach uralten Funden von Steinartefakten in Pilzform, Jahrtausenden, als für religiöse Dinge so fruchtbar erwiesen hatten. Als schönes Zeugnis hierfür sei ihre Namensgebung erwähnt; wurden sie in klassischem Nahuatl "teonanácatl", "Fleisch der Götter" genannt, so heißen sie in der Hauptsprache des heutigen Mexiko - kaum weniger schön - "niños santos", "Heilige Kinder" also.

Einer der ganz wenigen weisen Pilzfrauen, die sich mit Fremden abgab und die deshalb auch international bekannt wurde, der mazatekischen Heilerin María Sabina, ist die erste Hälfte des Buches gewidmet. In kleinere Kapitel unterteilt erzählt sie selbst die Geschichte ihres Lebens, die Geschichte einer aus ärmsten Verhältnissen stammenden Frau, die bald in den Pilzen (der Psilocybe-Familie) eine dauerhafte Stütze fand, welche es ihr schließlich auch ermöglichte, für andere Menschen heilend tätig zu werden. Die heiligen Kinder aß sie zum ersten Mal - selbst noch ein Kind - (nachdem sie kurz zuvor erstmals bei einer velada, einer nächtlichen Pilzzeremonie zugegen gewesen war und sich an den durch den Pilz inspirierten fremdartigen Gesängen des Ritualleiters begeistert hatte), und erlebte gleich von einem großen Glücks- und körperlichen Stärkegefühl begleitete spirituelle Visionen und religiöse Empfindungen; sie hatte eine - wie sie schon bei dieser ersten Bekanntschaft ahnte - neue Kraft für ihr Leben gefunden. Mit 14 wurde sie das erste Mal verheiratet, mit 20 war sie das erste Mal Witwe, und in diese Zeit fiel auch ihr erster zweckgerichteter Verzehr der Pilze, als nämlich ihre Schwester schwer erkrankte, von sämtlichen curanderos (Heilern) der Gegend für todgeweiht erklärt wurde, und María Sabina in ihrer Verzweiflung und mit Hilfe der Pilze selbst die Heilung zu bewerkstelligen vermochte. Dann wurde sie gegen ihren Willen ein weiteres Mal verheiratet, in welcher Zeit sie gänzlich auf ihre kleinen Freunde verzichtete, da sie sich währenddessen nicht rein genug für diese fühlte (auch gelegentlichen Teilnehmern an veladas empfiehlt María Sabina nachdrücklich, sich drei bis vier Tage vor und nach dem Pilzritual sexueller Kontakte zu enthalten). Erst mit Beginn ihrer zweiten Witwenschaft, bereits über vierzig, konnte sie endlich mit Leib und Seele ihrer Bestimmung nachkommen, mit - um es mit ihren eigenen Worten zu sagen - der Sprache der niños santos zu heilen. María Sabina erzählt von verschiedenen Heilungen, wie sie in den einzelnen Fällen, vom Geist geleitet, dabei vorging, bis hin zu den Jahren, als die ersten Weißen in ihre Gegend (Huautla) kamen. Auch den Fremden gegenüber erwies sie sich als sehr offen und ließ sie an veladas teilnehmen, obwohl sie deren Aussagen, wie etwa, dass man zwar nicht krank sei, die Pilze aber zur Suche nach Gott nehmen wolle, eher befremdeten. Am schlechtesten kommen die Hippies bei ihr weg, welchen sie attestiert, die Heiligen Kinder mit erschreckender Respektlosigkeit konsumiert zu haben. Überhaupt machte María Sabina ihre wachsende Berühmtheit in den letzten Lebensjahrzehnten sehr zu schaffen, sie wurde in Intrigen verwickelt und von Fremden wie Verwandten ausgenutzt; dennoch starb sie, wie sie gelebt hatte, demütig, voll Gottvertrauen und Menschenliebe, im Jahre 1985, im stolzen Alter von 91 Jahren.

Die zweite Hälfte des Buches ist westlichem, wissenschaftlichem Geist vorbehalten (sieht man einmal davon ab, dass sich westlich von Mexiko nur mehr der Pazifik befindet). In zahlreichen Aufsätzen werden verschiedene Aspekte des Zauberpilzes ausgiebig beleuchtet. Der Leser erfährt einiges über den Hauptwirkstoff, das Psilocybin, und seine Verwendung in psychotherapeutischen Methoden, über Ethnomykologie, über eine in Europa langsam aber sicher (wieder)entstehende Pilzsubkultur und deren gängige Rituale. Dazu kann er etliche Rauscherlebnisberichte nachlesen und wertvolle Ratschläge, worauf bei Zauberpilzgenuss besonders zu achten, was dabei möglichst zu unterlassen sei, mitnehmen. Schließlich gehören die Autoren der Artikel, ob sie nun hauptberuflich Chemiker, Ärzte, Psychotherapeuten oder Heilpraktiker sind, fast durchwegs zu Pionieren der Bewusstheitsforschung, des theoretischen und praktischen Umgangs mit Halluzinogenen, man darf also getrost annehmen, dass sie wissen, wovon sie sprechen. Einige von ihnen, wie zum Beispiel der Erfinder des LSD, Albert Hofmann, sind von María Sabina persönlich in das Reich der Pilze eingeführt worden und schildern auch ihre Erlebnisse und Eindrücke beim Besuch der alten Dame. Den klaren, einfachen Geist der Mazatekin, der aus jeder Zeile ihrer kurzen Autobiografie spricht und sich - nun - wie ein machtvoller, behütender und einender Pilzhut über den Leser breitet, atmen diese Texte freilich nicht, und ebenso, wie es fraglich ist, ob Hofmanns isolierte Pillen das Wesen der Heiligen Kinder einzufangen vermochten, ebenso ist zu bezweifeln, dass aus einer Subkultur, die in erster Linie auf psychische Analyse und chemische Synthese setzt, eine solche ohne Vorsilbe entstehen wird können.

(Esquilin; 07/2002)


Christian Rätsch, Roger Liggenstorfer: "Pilze der Götter"
AT Verlag. 270 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:

Christian Rätsch: "Pilze und Menschen. Gebrauch, Wirkung und Bedeutung der Pilze in der Kultur"

Pilze begleiten den Menschen seit langer Zeit, doch an ihnen scheiden sich Geister und Kulturen: Sie werden entweder geschätzt und als nützlich angesehen, oder aber sie werden gefürchtet und mit Giftmord, Tod und Grauen assoziiert. Nach dem Begründer der modernen Mykologie, R. Gordon Wasson, lassen sich die verschiedenen menschlichen Kulturen denn auch als mycophil, "pilzliebend", oder mycophob, "pilzhassend", einordnen. So gibt es Kulturen, die Pilze hoch schätzen und sie verbreitet als Nahrung, Medizin und Rauschmittel verwenden, während andere Kulturen die Pilze meiden, sie mit Angst und Argwohn betrachten und ihnen jeden Nutzwert absprechen.
Der international renommierte Ethnopharmakologe Christian Rätsch erzählt auf anschauliche Weise, begleitet von vielen seltenen Abbildungen, aus der Geschichte der Ethnomykologie und stellt die weltweiten kulturellen Verwendungen von Pilzen vor. Pilze dienen und dienten als Nahrungs- und Genussmittel, als Medizin und Heilmittel, als Zunder zur Feuererzeugung, als Zauberpilze für schamanische Rituale, als Inspiration für Literatur und Kunst. (AT Verlag) zur Rezension ...
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