Petri Tamminen: "Mein Onkel und ich"
Im
April 2007 veröffentlichte der Suhrkamp Verlag den neuen, 155
Seiten umfassenden Roman des finnischen Autors Petri Tamminen als
gebundene Ausgabe.
Im Mittelpunkt des Ganzen steht der Ich-Erzähler Jussi und der
Verlauf seines Lebens.
Als Jussi noch ein Kind ist, ist das Band zwischen ihm und seinem zehn
Jahre älteren Onkel Olli bereits ein starkes. Schon die
Erinnerung Jussis an diese Zeit, als alle Welt an den Bildschirmen
klebend die Märchenhochzeit zwischen Prinz Charles und Diana
verfolgte, zeigt sich in gewissem Maße surreal und absurd.
Jussi begleitet seinen Onkel beispielsweise beim Kauf eines Sarges
für den noch lebenden Großvater. Nicht, dass man
diesen lebendig unter die Erde bringen wolle, nein - aber der
Großvater hatte sich gewünscht, den Sarg zu sehen,
also wollte man ihm diesen Wunsch erfüllen.
Jussi wird erwachsen, heiratet und wird Vater eines Sohnes. Viele
Kilometer trennen ihn mittlerweile von seinem Onkel, und seine Sicht
der Dinge hat sich mit der Zeit verändert. Erst da erkennt
Jussi, dass sein Onkel nicht der Held ist, für den er ihn
immer hielt. Olli trinkt zuviel, verbringt die Nächte nach dem
Zerbrechen seiner Ehe mit wechselnden Frauen, ist trotz seiner Arbeit
als Fotograf am ehesten ein Tunichtgut. Für Olli scheint alles
sehr einfach zu sein - dies erschreckt Jussi, der bei einem Besuch fast
unweigerlich den Eindruck hat, er müsse die Dinge für
seinen Onkel in die Hand nehmen. Hinter diesem Erschrecken steckt
jedoch noch immer die Faszination. Warum kann Olli so unbeschwert
leben, warum fällt ihm alles so leicht? Warum erscheint Jussi
hingegen das Leben als eine so schwere Aufgabe, an deren Meisterung er
manches Mal zu scheitern glaubt? Jussi fühlt und erlebt, dass
die Dinge sich geändert haben und weiterhin ändern -
und selbst aus der TV-Märchenhochzeit zwischen Charles und
Diana von einst ist im Verlauf der Jahre ein Scherbenhaufen, viel
schmutzige Wäsche und schließlich ein tragischer
Todesfall geworden.
Obwohl Jussi doch stets der Meinung war, ganz anders als sein Onkel zu
sein, ereilt ihn schließlich ein vergleichbares Schicksal:
seine Ehe geht in die Brüche, Jussi verliert den ohnehin
dünnen Boden unter den Füßen. Er versucht
sich mit wechselnden Frauenbekanntschaften abzulenken, doch weder
Erfolg noch Zufriedenheit wollen sich einstellen. Das einzig
Beständige - in all seiner Unbeständigkeit - ist der
Kontakt zu Onkel Olli. Jussis Blick und Verständnis
diesbezüglich ändert sich ein weiteres Mal, und Olli
ist zur Stelle, wenn Jussi ihn braucht. Gerade Ollis Pragmatismus und
seine schlichten Weisheiten sind es, die Jussi zur Seite stehen.
Doch dann beginnt wieder eine neue Episode. Während das
Publikum die Trauung von Charles und Camilla im Fernseher mitverfolgt,
verabschiedet Jussi seinen Onkel Olli, der seinen letzten Weg
angetreten ist.
Obwohl recht schmal im Umfang, steckt sehr vieles in Tamminens neuem
Roman. Es ist die Geschichte einer Familie, aber auch die einer
Freundschaft. Es ist die Geschichte von der Unterschiedlichkeit der
Dinge, von ihrer Komplexität, zugleich aber auch die
Geschichte dessen, dass alle Dinge irgendwie und irgendwann dieselben
Enden finden, und dass alles, was so unglaublich komplex wahrgenommen
wird, schließlich doch auch einer sehr schlichten Wahrheit
Platz machen kann.
"Mein Onkel und ich" ist voll von Passagen, die des Zitats wert sind.
Es ist ein Buch, das sich eindeutig an eine männliche wie
weibliche Leserschaft richtet. Die Frauen jedoch stehen im Hintergrund,
denn es ist das männliche Dasein, von dem der Autor berichtet.
Gerade als Mann hat man es nicht leicht, so scheint es, und so ist dies
auch eine Geschichte alltäglicher Antihelden, über
deren Probleme, Sorgen, Nöte und auch
Unzulänglichkeiten.
Bei aller immer wieder aufkommenden Absurdität ist dieser
Roman zugleich ein sehr bodenständiger, ehrlicher und
authentischer, der ein Stück weit sogar die Welt
erklärt, auch wenn er dies gar nicht in den Vordergrund
stellt. Er ist ein Roman der Menschlichkeit, der Nähe, der
Distanz und der Natürlichkeit aller Dinge.
In jedem Fall ist "Mein Onkel und ich" eine sehr lesenswerte
Lektüre.
(Tanja Elskamp; 06/2007)
Petri
Tamminen: "Mein Onkel und ich"
(Originaltitel "Enon opetukset")
Aus dem Finnischen von Stefan Moster.
Suhrkamp, 2007. 155 Seiten.
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Petri
Tamminen, geboren 1966,
studierte Kommunikationswissenschaft in Tampere und arbeitete danach
als
Redakteur bei verschiedenen finnischen Tageszeitungen. Seit dem
Erscheinen
seines ersten Buches ist er freier Autor und lebt in
Vääksy, einer kleinen
Ortschaft unweit von Lahti. Außer Büchern hat er
Kolumnen, Radiobeiträge und
Essays geschrieben.
Weitere Bücher des Autors:
"Der
Eros des Nordens"
Als seine Frau schwanger wird, bekommt es Harri mit der Angst zu tun:
Überall
lauern Gefahren für Mutter und Kind, ein früherer
Seitensprung
bereitet ihm
Schuldgefühle. Als das Kind kerngesund geboren ist, steigern
sich die Sorgen
nur: Harri glaubt, dass er Aids
hat (trotz negativen Testergebnisses),
er ahnt
Verschwörungen, hat Angst vor Steinwürfen durchs
Fenster und gibt schließlich
seine Arbeit auf, um die Familie schützen zu können.
Dabei wird schnell klar:
Die größte Bedrohung für den
Familienfrieden ist Harri selbst.
Bei einer Autopanne kommt ihm Eero zu Hilfe, ein
Sprücheklopfer und finnisches
Mannsbild, wie es im Buche steht.
Eero nimmt Harri mit auf einen Wochenendtrip, sie gehen zum
Tanzen,
lassen sich
von Frauen abschleppen, verursachen einen Saunabrand, geraten in eine
religiöse
Erweckungsbewegung - und Harri merkt, dass auch Eero nicht der perfekte
Mann
ist. Lakonisch, finnisch, schräg. Wer
Kaurismäki
mag,
wird Petri Tamminen
lieben. (Suhrkamp)
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"Verstecke"
Ein Blick nach links, ein Blick nach rechts, ein rasches
Beiseitetreten: Ob man
nun im Wald oder im Getümmel der Großstadt steht, ab
und zu ist es notwendig,
schnell ein Versteck zu finden. Das Böse der Welt, die guten
Nachbarn, die
Familie, der Alltag und die eigenen Unzulänglichkeiten
lösen Fluchtreflexe
aus. Da ist gut beraten, wer sich rechtzeitig nach
Möglichkeiten des Abtauchens
umsieht. Petri Tamminen findet sie fast überall: So ist dem
ausgebrannten
Unternehmensberater
die Flughafentoilette ein seelischer Schutzraum; in
der
Fischerhütte können verantwortungsvolle
Familienväter endlich wieder Schwein
sein; auf den Dachboden dringt der Lärm der Welt nur
gedämpft herauf; im
Trubel der eigenen Geburtstagsfeier hilft es, im Hinterzimmer
auszuharren. Auch
die Suche nach einer guten Wohnung, einem guten
Café,
einem
guten Buch basiert
wohl auf der Sehnsucht nach den Kleiderschrankverstecken der Kindheit.
Im
Versteck kann man alten Gedanken nachhängen, Augenblicke zur
Ewigkeit werden
lassen, zur Ruhe und zu sich kommen. Oder sich finden lassen. Danach
tritt man
gestärkt hervor, setzt ein passendes Gesicht auf und begegnet
den Anforderungen
mit neuer Gelassenheit.
In 42 eigenwilligen Prosastücken, zum Teil
melancholiegetränkt, zum Teil mit
lakonisch-finnischem Humor gesegnet, erschließt Petri
Tamminen eine ganze Welt
voller Verstecke. (Suhrkamp)
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