Antonio Tabucchi: "Erklärt Pereira"
"In Portugal, einem Land, das nach
fünfzig Jahren Diktatur zur Demokratie zurückgefunden hatte, herrschte damals
Aufregung und Durcheinander. Es war ein junges Land, das von jungen Leuten
regiert wurde. Niemand erinnerte sich mehr an einen alten Journalisten, der sich
Ende der vierziger Jahre entschieden der Diktatur Salazars widersetzt
hatte." (A. Tabucchi in einer Nachbemerkung zum
Roman)
Pereira erklärt ...
erklärt Pereira
Inspiriert durch den Tod eines Journalisten, der zur Zeit der Salazar-Diktatur in Portugal einen
kritischen Artikel gegen die Regierung veröffentlicht hatte und danach ins Exil
nach Frankreich gehen musste, schrieb Tabucchi den Roman "Pereira erklärt".
Die Geschichte spielt
sich im Jahre 1938 in Lissabon ab. Sie beschreibt einen Ausschnitt aus dem Leben
des portugiesischen Journalisten Pereira, der den Kulturteil der Lissabonner
Zeitung "Lisboa" redigiert. Pereira, ein gebildeter älterer Herr, übersetzt mit
Vorliebe Bücher französischer Autoren für seine Zeitung
ins Portugiesische. Die
aktuelle Politik interessiert ihn nicht. Dass die "Lisboa" ein regimetreues
Blatt ist, nimmt er nicht wahr.
Eines Tages
lernt er den jungen Monteiro Rossi kennen, der dringend Geld benötigt und daher
eine Arbeit sucht. Pereira stellt ihn als Praktikanten bei der "Lisboa" ein. Er
soll ihn bei seiner Arbeit entlasten. Rossi schreibt einige Artikel, die Pereira
allesamt für zu revolutionär hält und daher nicht veröffentlicht. Statt sich von
ihm zu trennen, entwickelt er eine gewisse Sympathie für den jungen Mann und
gibt ihm immer wieder eine neue Chance.
Im Laufe der Zeit wird
Pereira allmählich klar, dass Rossi ein Regimegegner ist, der ihn in
Schwierigkeiten bringen kann. Aber Pereira hilft ihm und seiner Freundin und
macht dabei einen persönlichen Wandel durch. Seine inneren Konflikte diskutiert
er mit Doktor Cardoso, einem Arzt der Klinik, in der er sich zeitweilig aufhält,
und Pater Antonio, einem Franziskaner, den er manchmal aufsucht.
Eines Tages muss Rossi sich bei Pereira verstecken und mit dem Besuch der Geheimpolizei
spitzt sich die Situation zu ...
Pereira veröffentlicht einen Augenzeugenbericht und wird dadurch zum Helden. Er flieht
nach Frankreich.
Auffallend ist der stilistische Aufbau des Romans. Passend zum faschistischen Umfeld im Portugal
unter Salazar hat Antonio Tabucchi seinen Roman in Form einer Erklärung, wie sie
für ein Verhör typisch wäre, abgefasst. Eindrucksvoll finde ich, dass die
Atmosphäre zunehmend beklemmender wird. Als Erkenntnis aus diesem Roman sollte
der Leser mitnehmen, dass ein totalitäres Regime erst dann spürbar wird, wenn
man seine freie Meinung zum Ausdruck bringen will. Unkritische Zeitgenossen, so
auch anfänglich Pereira, sind sich dieser Situation gar nicht bewusst. Von
diesem Roman, dessen Spannungskurve nur langsam wächst, geht eine gewisse
Faszination aus.
Antonio Tabucchi wurde
1943 in Vecchiano bei Pisa geboren, lehrt als Professor portugiesische Sprache
und Literatur und lebt in Vecchiano und Lissabon. "Erklärt Pereira" bekam 1994
mehrere Preise und stand in Italien lange Zeit auf der Verkaufsbestenliste. Die
Geschichte wurde mit Marcello Mastroianni verfilmt.
Weitere Werke von Tabucchi
sind u. A. "Indisches Nachtstück", "Der Rand des Horizonts", "Kleine Missverständnisse
ohne Bedeutung", "Lissabonner
Requiem", "Der verschwundene Kopf des Damasceno Monteiro", "Träume von Träumen"
und "Das Umkehrspiel".
(Klemens Taplan; 09/2003)
Antonio Tabucchi: "Erklärt Pereira"
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl.
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Weitere Bücher des Autors (Auswahl);
"Indisches Nachtstück"
Die Geschichte einer Suche: Einer fährt
nach Indien, um einen ehemaligen Freund zu
treffen, einen Portugiesen, der auf geheimnisvolle Weise verschollen ist.
Nachrichten, Briefe, verschlüsselte Botschaften lassen ihn von Bombay über
Madras bis nach Goa reisen, wobei der Anlass der Reise mehr und mehr
verschwimmt. Ist es die Suche nach einem Doppelgänger oder nach einer wirklichen
Person - oder erschöpft sich der Sinn der Reise im Unterwegssein, an dessen Ende
ein Buch steht? Am Ende sitzt der Erzähler mit einer Reisebekanntschaft auf
einer Hotelterrasse und erzählt den Inhalt des Romans, an dem er gerade
schreibt: die Geschichte der Suche nach einem Mann, der in Indien
verlorengegangen ist. Und plötzlich sieht er ihn, den anderen, ein paar Tische
weiter.
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"Der Rand des Horizonts"
Die Suche nach Identität.
Amateurdetektiv Spino will den Mord an einem jungen Mann aufklären.
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"Kleine Missverständnisse ohne Bedeutung"
Tabucchi erzählt scheinbar harmlose Geschichten, die jedoch bei längerem Hinsehen rätselhaft
sind, voller Unerhörtheiten dicht unter der Oberfläche, und die schleichend eine
haarsträubende Wendung nehmen.
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"Lissabonner Requiem"
Eine hinreißende Liebeserklärung an Lissabon, seine
Cafés, seine Museen, seine
Friedhöfe, seine Menschen, verfasst von einem der größten Bewunderer dieser
Stadt. Antonio Tabucchi beschreibt wieder einmal den fließenden Übergang
zwischen Traum und Wirklichkeit, Realität und Fiktion.
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"Die Zeit altert schnell"
Erzählungen.
Neun meisterhafte Erzählungen, die allesamt im Europa nach der Wende spielen.
Berlin, Warschau, Bukarest und Moskau sind einige der Schauplätze in Tabucchis
Geschichten - Wendehälse und Mauer-Nostalgiker, Opfer von Diktaturen und
Kriegen sind die Protagonisten. Melancholisch, aber mit beißender Ironie
reflektiert der große Fabulierer aus Italien Zeit und Zeitgeschichte. Und er
zeigt Symmetrien zwischen unserer unheimlichen Vergangenheit und der
desillusionierten Gegenwart. (Hanser)
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