Natale Spineto: "Die Symbole der Menschheit"
Eine Kultur- und Religionsgeschichte des Symbols
Der Mensch und die ihm wesenhafte Ausdrucksform
der Symbolsprache ist Gegenstand dieser Kulturgeschichte der besonderen Art.
Alle menschliche Kultur beruht auf Symbolsystemen, ist über Symbole vermittelte
Wirklichkeit, meint Natale Spineto, und spannt in diesem Sinne einen Bogen von
den Anfängen des Menschseins bis zu jenen Hochkulturen, deren schöpferischer
Elan bis in unsere Tage hinein das Staunen der Welt erregt. Es ist ein Staunen
über die Ausdruckskraft vergangener Symbolsphären. Und ein wenig erstaunlich
ist auch der Umstand, dass die Jetztzeit dem Autor in diesem so bildgewaltigen
Band keiner näheren bildlichen Betrachtung wert scheint. Woraus vielleicht auf
ihre (zumindest ästhetische) Armseligkeit geschlossen werde könnte, was einen
kulturpessimistischen Aspekt bezeichnet, den Spineto jedoch nicht explizit zur
Diskussion stellt, sondern eher nur flüchtig in den Schlussbemerkungen streift.
Leider nur streift, möchte man fast sagen, denn wenn der Zivilisationsprozess
als gleichartig mit dem Prozess der Symbolbildung zu erkennen ist, muss die
Unbeachtlichkeit symbolischer Gegenwartsäußerungen einfach zu denken geben.
Immerhin wird jedoch Paul Ricoerur erwähnt, der beim modernen Menschen eine
Entfremdung von der Fähigkeit, Symbole direkt und vital zu erfahren, feststellt.
Die Symbolik sei zwar weiterhin von Bedeutung, doch das weniger in der Lebenspraxis
als in der theoretischen Reflexion. In einer entzauberten Welt geht das Urbild
seiner Wirkkraft verlustig und verkommt zum vervielfältigten Gebrauchsgegenstand
in medial verströmten Bilderfluten. Nicht zuletzt in den Phantasmagorien koketter
Werbesujets.
Es ist für Natale
Spineto eine unleugbare Tatsache, dass Symbole bei aller kulturspezifischen
Besonderheit zugleich immer von erstaunlicher Ähnlichkeit sind. Eine
offenkundige Homogenität, die auf die existenzielle Grundbestimmtheit des
Menschen als endliches Wesen in einer ihm fremden Welt verweist. Das Problem der
Vergänglichkeit allen Seins wirft immer und überall die gleichen Fragen auf und
typisiert dazu Antworten, die dem Unbestimmten menschlicher Existenz Gestalt und
Ordnung geben. Von Natur aus transzendiert der Mensch sich also selbst und
schafft solcherart symbolische Sinngefüge, die der blanken Wirklichkeit
materieller Gleichgültigkeit einen Sinn verleihen, den es sonst nicht gäbe. Auf
Basis dieser erklärlichen allgemein menschlichen Neigung, Symbole zu schaffen,
entwickeln die einzelnen Kulturen ihre jeweiligen symbolischen Systeme,
augenfällig manifest in den Kunstschätzen dieser Erde.
Voll der sinnlichen Wonnen, dergestalt erlebt sich Spinetos Streifzug durch
die Symbolik menschlicher Kultur. Es ist ein gelehrtes Lustwandeln durch ferne
und nahe Zeiten aller Weltgegenden, beginnend mit dem künstlerischen Vermächtnis
prähistorischer Schaffenskraft, über die klassischen Hochkulturen der
Ägypter
und Griechen,
Römer und Germanen,
Chinesen, Inder, Japaner, Azteken und
Maya, der Afrikaner und
der Ureinwohner Australiens, bis hin zu den großen Weltreligionen, Judentum,
Christentum, Buddhismus und dem Islam. Im Kontext der genannten Kulturmächte
und Geistesströmungen werden die einzelnen Aspekte der Symbolik bis ins Detail
ausgeführt. Nichts, das der Mensch nicht symbolisiert hätte. Ob es sich jetzt
um den Totenkult oder um Spiritualität handelt, um Schrift oder um Nutzgegenstände,
um Fruchtbarkeit, Tiere oder Pflanzen, um Farben und Zeichen oder einfach nur
um die Schönheit der Natur, der Mensch bedient sich seit jeher zum Begriff und
zur Erschließung von Welt eines symbolischen Bezugssystems. Und gibt dem einen
höchsten künstlerischen Ausdruck, was die ernsthafte Befassung mit Symbolik
noch allemal zum Sinnengenuss werden lässt. Ein Genuss, der in Spinetos Buch
übrigens nicht zu kurz kommt. Die Weltgeschichte der Symbole, das ist eben nicht
nur überwiegend Religionsgeschichte, sondern vor allem auch Kunstgeschichte.
In der Neuzeit, Spineto beschließt mit diesen Ausführungen sein Buch, gewann
der europäische Mensch Abstand zur Praxis naiver Welterkenntnis und das Symbol
- einst intuitiv gelebte anthropomorphe Vermittlungsinstanz zur Erfahrung von
Naturkräften - wurde selbst zum Gegenstand kritischer intellektueller Betrachtung.
Zuerst durch die Dichter, die wie Friedrich Schiller meinten, das Dichterwort
sei immer symbolisch und, so Novalis, dadurch kraftvoll vorangetrieben, sodann
durch die Erforscher menschlichen Seelenlebens und menschlicher Gesellschaftsordnung.
Nach der Auffassung Siegmund Freuds äußern sich verbotene Wünsche symbolisch,
und folgt man der Psychologie
Carl Gustav Jungs, in der Auslegung von Erich Fromm,
so handelt es sich bei Symbolen im Grunde um Manifestationen archetypischer
Bilder, die aus den Tiefen des kollektiven Menschheitsgeistes hervorgegangen
sind. Der Soziologe Émile Durkheim schließlich betont die Bedeutung von Symbolik
für die Konstituierung und Aufrechterhaltung sozialer Ordnung, indem sie Menschen
- zum Beispiel im "Totemkult" - versammeln, binden und schichten. In sprachphilosophischen
Deutungen treten Symbol und Sprache
in eine innige Wechselwirkung. Der Mensch ist das animal symbolicum,
jenes Lebewesen, das sich durch Symbolbesitz von allen anderen unterscheidet
und solcherart ein höheres Bewusstsein von der Welt erlangt. Bei Claude Lévi-Strauss
wird dann auch eine jede Kultur als Einheit symbolischer Systeme begriffen.
Frei von der vorangegangenen Bilderwucht, doch tiefsinnig
philosophisch beschließt Natale Spineto sein Buch mit Anmerkungen zur
intellektuell verödeten Jetztzeit, die der Symbole zwar nicht überdrüssig doch
ihnen entfremdet ist.
Natale Spinetos Darlegungen zur Symbolwelt der
Menschheit sind resümierend betrachtet durchaus gelehrsam und von einer
aufrichtigen Leidenschaft zur Thematik inspiriert, detailverliebt und
kunstsinnig, wie denn auch frei von eurozentrischer Selbstgenügsamkeit, zu
welcher abendländische Arroganz zuweilen verleitet. Groß ist der Respekt vor den
Wundern menschlicher Schöpferkraft. Vielleicht sogar zu groß, denn eine
kritische Perspektive auf die eben genauso segensreiche wie (im
Missbrauchsfalle) gelegentlich in die Irre leitende Wirkkraft von Symbolen
bleibt sträflich unterbelichtet und wäre gerade im gegebenen Kontext nicht von
geringer Brisanz. Ist doch insbesondere die Sprache der Symbole immer schon von
überragender Bedeutung bei der Konstituierung autokratischer Herrschaft gewesen.
Es sind Symbole, welche die Macht des Heiligen in der Gemeinschaft begründen und
vermitteln, und es ist nach Durkheim ihre eigentümliche Funktion, die Beziehung
des (untertänigen) Menschen zwischen der Wirklichkeit und dem Übergeordneten
(dem hierarchischen Weltbild) herzustellen. Ein kritischer Aspekt, der zwar in
den Abhandlungen über Symboltheorien beiläufig erwähnt aber nicht weiter
ausgeführt wird. Wem nun jedoch dieser politische Aspekt sowieso nicht abgeht,
wer die ewig sich wiederholende Verpolitisierung von Thematiken als allfällig
entbehrliches Zwangsritual empfindet, der wird von Natale Spinetos Prachtband
über "Die Symbole der Menschheit" hellauf begeistert sein.
(Harald Schulz; 04/2004)
Natale Spineto: "Die Symbole der
Menschheit"
Mit Beiträgen von Julien Ries und Fiorenzo Facchini.
Aus
dem Italienischen übersetzt von Reiner Berg.
Patmos, 2003. 240 Seiten mit
über 200 farbigen
und über 200 schwarzweißen Abbildungen.
ISBN
3-491-72474-0.
ca. EUR 39,90.
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