Sobo Swobodnik: "Schöne Bescherung"
Mordsgeschäft
an Weihnachten
Plotek hasst dank einschlägiger Erfahrungen
Weihnachten
im Familienkreis, und genau das blüht ihm, als seine
Freundin ihn unbedingt
über die Feiertage zu ihrer Familie schleppen will.
Außerdem ist Plotek
ziemlich abgebrannt, da kommt ihm das Angebot eines anderen Stammgastes
seiner
Lieblingskneipe
gerade recht. Diesem gehört ein Busreiseunternehmen, und
Plotek soll auf einer
Reise nach Karlsbad über die Feiertage den Reiseleiter
abgeben. Nicht gerade
Ploteks Traumjob, aber eine willkommene und bezahlte
Möglichkeit zur Flucht.
Irgendwie ist dann aber nichts wie erwartet. Dass die Reisegesellschaft
aus
lauter sonderbaren, gestrandeten Existenzen besteht, kann man ja noch
hinnehmen,
und dass gleich zu Anfang das Kaninchen einer Kundin den Lebensatem
aushaucht,
gibt auch nicht wirklich Anlass zur Sorge.
Doch kaum ist die seltsame Gesellschaft in Karlsbad angelangt, kommt
eines ihrer
Mitglieder nach dem anderen unter sehr skurrilen Umständen zu
Tode.
Davon wenig berührt, geht der Fahrer und Unternehmer
undurchschaubaren Geschäften
mit lichtscheuen Gestalten nach; ein Heiratsschwindler hat es schwer,
sich
zwischen den vielen bereitwilligen Opfern zu entscheiden, und im Hotel
logieren
skurrile Gäste, die uns unter anderem Namen sehr bekannt
vorkommen.
Plotek möchte am liebsten seine Ruhe, wie es seiner eher
phlegmatischen Natur
entspricht, aber aus unerfindlichen Gründen verstrickt er sich
immer tiefer in
die ganze Geschichte - oder vielmehr: die ganzen Geschichten -, landet
im
tschechischen Knast und erlebt schließlich eine unerwartet
spannende Heimfahrt.
Obwohl: Gab es überhaupt etwas nicht Unerwartetes auf dieser
ganzen Reise?
Um einen klassischen "Whodunnit" handelt es sich bei diesem
Kriminalroman natürlich nicht. Der Verantwortliche
für die dunklen Geschäfte
des Hauptstranges der Handlung steht früh fest, die anderen
Morde und Todesfälle
sind schmückendes Beiwerk von bestem Unterhaltungswert. In
Swobodniks
skurrilem, mit pechschwarzem Humor durchtränktem Krimi geht es
bei aller
Spannung vor allem um die wunderbar böse skizzierten Figuren
rund um den
liebenswerten Sonderling Plotek, um Überraschungseffekte und
selbstverständlich
um Weihnachten,
das auch erklärten Weihnachtshassern eine schöne
Bescherung nach der anderen
liefert. Und Swobodnik lässt es sich nicht entgehen, dem Leser
ganz bewusst die
klassischen Klischees des Kriminalromans zu präsentieren - so
fehlt auch ein
bisschen Undercover-Agententum nicht.
Herrlich gehässig, in Umgangssprache geschrieben und selbst in
den wenigen
besinnlichen Augenblicken fesselnd, dabei hier und da doch angemessen
sentimental, bietet dieser Krimi Mordsunterhaltung nicht (nur) zur
schönen
Sommerzeit, nein, auch im Winter, wenn es in Karlsbad schneit oder auch
nicht.
(F)Rohe Weihnachten!
(Regina Károlyi; 12/2005)
Sobo
Swobodnik: "Schöne Bescherung"
dtv, 2005. 260 Seiten.
ISBN 3-423-24506-9.
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Sobo Swobodnik, geboren 1966
auf der Schwäbischen Alb, arbeitete bis 2000 als
Rundfunkredakteur bei verschiedenen Hörfunkanstalten und als
Theaterregisseur. Er ist Autor zahlreicher Kinder- und Jugendromane,
hat außerdem Erzählungen veröffentlicht
sowie zwei Romane, darunter 2002 den ersten Paul-Plotek-Roman,
"Altötting", der bereits 1999 mit dem
Pfefferbeißer-Literaturpreis des Theaters im Schlachthof,
München, ausgezeichnet und 2002 für den
Friedrich-Glauser-Preis für das beste Krimidebüt
nominiert wurde. Er lebt und arbeitet
in Berlin.
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Oktoberfest"
Das Oktoberfest in München: Schauplatz bierseliger
Glücklichkeit - wenn da nicht die Leichen hinter den
Hendlkartons wären. Ein Fall für Paul Plotek.
Paul Plotek, der
gescheiterte Münchner Schauspieler und
hypochondrische Trinker, sitzt mal wieder in seiner
Lieblingsgaststätte, dem "Froh und Munter" im
Münchner Stadtteil Neuhausen, und schaut in den Schaum seines
Weißbiers hinein. Es geht ihm, wie meistens, schlecht, und
pleite ist er auch noch, total abgebrannt. Nun steht das
alljährliche Oktoberfest vor der Tür, und auch wenn
Plotek zunächst von Kneipenbedienung Susis Vorschlag nicht
ganz überzeugt ist: schließlich heuert er doch als
Kellner beim neuen Wiesnwirt, dem Oberländer an.
Eigentlich läuft da dann auch zunächst alles seinen
bierseligen Gang - bis Plotek die Leichen hinter den Hendlkartons
entdeckt: eine alte Frau und einen alten Mann, dem ein Lebkuchenherz
mit der Aufschrift "Glückliches Ende" um den Hals baumelt. Na
ja, irgendwer muss ja was tun - auch wenn die schlaue BR-Journalistin
Dr. Agnes Behrendt (die mit den tiefblauen Augen) nicht ganz unschuldig
daran ist, dass Plotek im Verlauf der folgenden Wiesntage immer tiefer
hineingezogen wird in den Lokalsumpf aus Bestechung, Altenheim-Misere
und Sterbehilfe, aus dem schließlich sieben Tote gezogen
werden, von denen nur einer auf natürliche Weise das Zeitliche
segnen durfte. (dtv)
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"Fallers Held"
Georg Elser und Faller - zwei Einzelkämpfer: der Eine
scheitert 1939 im Münchner
Bürgerbräukeller mit seinem Attentat auf
Hitler,
der Andere mit dem Versuch,
diese Geschichte für unsere Gesellschaft zu rekonstruieren.
Sobo Swobodnik legt ein einfühlsames Doppelporträt
aus kunstvoll komponierter
Fiktion und authentischer Geschichtsschreibung vor.
Wenige Tage vor Kriegsende wurde der Hitler-Attentäter Georg
Elser
hingerichtet. Mehr als ein halbes Jahrhundert später macht
sich ein
Geschichtsstudent aus Berlin auf die Suche nach den Spuren seines
Helden von der
Schwäbischen Alb. Diese Suche konfrontiert Faller mit seiner
eigenen Heimat und
Biografie, Geschichte und Geschichten verschwimmen: Warum wurde Elsers
nie
wirklich gedacht? Fallers ehemaliger Geschichtslehrer
stößt ihn auf
Sonderbares: rechtsradikale Netzwerke, der mysteriöse
Unfalltod eines
Studenten, und eine "femme fatale", die in ihm den Helden erwecken
möchte.
Faller reißt die Rolle des Widerstandskämpfers an
sich, aber gegen wen er kämpft,
weiß er im Strudel sich widersprechender Aussagen immer
weniger ...
Sobo Swobodnik erzählt nicht nur sensibel die Biografie Georg
Elsers, sondern
auch, wie Geschichte in Geschichten
zerfällt, in denen man die Orientierung
verlieren kann. So entsteht das Porträt einer Landschaft und
ihrer Menschen,
ein Roman über die Aktualität des Geschehenen und die
Unmöglichkeit des Verdrängens.
(Klett-Cotta)
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Leseprobe:
Jetzt war Plotek also im Froh und Munter, seiner
Lieblingsgaststätte in
Neuhausen, einem Stadtviertel von München, und sinnierte in
den Schaum von
seinem Weißbier hinein. Oben über der Tür
kämpften im Fernseher
zweiundzwanzig Männer gegen einen Ball und den gefrorenen
Rasen. Das war schon
lange nicht mehr mit anzugucken.
Neben Plotek saß am Tresen ein Mann, der da schon
öfters gesessen hatte. Susi,
die Wirtin, hätte, wenn man sie gefragt hätte,
gesagt: "Stammgast."
Aber Susi fragte niemand, also sagte sie auch nichts. Egal, Plotek
wusste es
trotzdem. Es war so einer, der immer da saß, wenn Plotek auch
da saß. Ob er
auch da saß, wenn Plotek nicht da saß, wusste
Plotek jetzt nicht. Was er
wusste, war, dass ihm der Tresenhocker nicht gerade sympathisch war.
Umgekehrt
offenbar schon.
"Susi, zwei Tequila", sagte der jetzt. Und schon stand einer davon vor
Plotek.
"Prost."
Plotek nahm die Zitrone in die eine Hand und streute das Salz auf den
angefeuchteten Handrücken derselben. Das Glas in die andere.
Und dann ging es
ganz schnell. Salz, Glas,
Zitrone: "Ah!"
"Mensch, das tut gut", sagte der Tresenhocker.
Plotek sagte nichts. Plotek konnte es noch nie ausstehen, wenn innere
Vorgänge, zweifelhafte Zustände oder scheinbare
Gefühle kommentiert wurden. Das tun viele. Ob man es
hören möchte oder nicht. Viele sagen: "Ich freu mich
so!", wenn sie sich freuen. "Wir lieben uns!", wenn sie sich lieben,
"Ich bin so glücklich!", wenn sie glücklich sind.
Plotek sagt nichts und denkt, wer so etwas sagt, dem kriecht das
Unglück schon wie Krampfadern die Waden hoch, die Trauer
nistet sich in den Rocksaum ein und die Liebe macht es nicht mehr
lange. Apropos Liebe: Bei der klingt so ein kommentierender Zusatz dann
oft nicht nur ziemlich peinlich, sondern auch zerstörerisch.
"Mmh, das war jetzt aber schön", hat eine Frau einmal nach
einer ausschweifenden Liebesnacht zu Plotek gesagt - und schon war das
Schöne gar nicht mehr schön, schon war das
Schöne dahin. Blöde Kuh, hat Plotek gedacht, muss
alles kaputtreden, niedertrampeln. Plotek nicht.
Plotek schweigt lieber. Jetzt auch. Plotek schweigt überhaupt
am liebsten. Es gibt für vieles einfach keine Worte, und wenn,
dann ist ihre Aussagekraft nur unzureichend. Wenn schon, dann
hätte er jetzt sagen müssen: "Mir geht's schlecht.
Hundsmiserabel schlecht."
Davon wäre es ihm dann aber auch nicht besser gegangen. Also
hat er es gelassen und weiter in sein Weißbierglas
hineingeguckt, so dass er fast das Gefühl bekam, das
Weißbierglas guckte schon aus ihm heraus. Der Tresenhocker
hat sich über seinen Schnauzbart gestrichen, als ob er schon
lange ein intimes Verhältnis zu ihm pflegen würde,
dann hat er sich mehrmals geräuspert, eine HB
angezündet und schließlich gesagt: "Sag mal, Plotek,
du warst doch mal
Schauspieler?
Du bist doch belesen, gebildet, mit allen Wassern gewaschen, du bist
doch einer, der sich auskennt, hast schon viel gesehen, dir macht doch
keiner mehr ein A für ein O vor, oder?"
Achtung! Wer so anfängt, führt was im Schilde,
hätte Plotek jetzt denken müssen,
wenn er bloß an etwas anderes hätte denken
können als an die
Auseinandersetzung mit Agnes. Er konnte aber an nichts anderes mehr
denken. Also
kam auch keine Reaktion. Hat der Tresenhocker wieder seinen Bart
gestreichelt
und dann einfach weiter auf ihn eingeredet.
"Wie du vielleicht weißt, hab ich ein kleines Busunternehmen.
Schnabel,
Ferdinand Schnabel. Luxusreisen nach Karlsbad, schon mal was
gehört davon?"
(...)