Erika Summ: "Schäfers Tochter"
Die Geschichte der Frontschwester Erika Summ. 1921-1945
Die
Schrecken der Ostfront, von einer Rotkreuzschwester packend
erzählt
Inzwischen kann man sich mittels zahlreicher Zeitzeugenberichte "aus
erster Hand" über praktisch alle Aspekte des Zweiten
Weltkriegs informieren. Solche autobiografischen Erzählungen
bieten zwar weniger historische Fakten als Sach- und
Fachbücher zum Thema, doch sie verschaffen dem Leser einen
unmittelbaren Zugang zu dieser für alle Beteiligten, ob zu
Hause oder an der Front, traumatisierenden
Zeit.
Über die Arbeit der Frontschwestern in den Lazaretten der
Wehrmacht wurde bisher wenig geschrieben. Umso interessanter und
spannendender liest sich Erika Summs Lebensbeschreibung.
Erika, 1921 als Tochter eines Schäfers im Hohenloher Land in
eine heil erscheinende Welt geboren, erlebt zunächst eine
recht unbeschwerte Kindheit, nicht viel anders als die meisten
Dorfkinder jener Zeit. Erste Schatten fallen auf diese Kindheit, als
Vater und Onkel mit ihren Familien gemeinsam ein
größeres Gut erwerben; die räumliche
Nähe tut nicht gut, und die Böden erweisen sich als
wenig ergiebig.
Die Nazis teilen das Hofgut in mehrere Einheiten auf - eine neuerliche
Beeinträchtigung der Einkommenssituation. Noch vor Erikas
vierzehntem Geburtstag endet ihre Kindheit: sie muss zum Landdienst und
für eine benachbarte Familie hart arbeiten. Diese Zeit zeigt
ihr, dass für sie eine Zukunft als Dienstmagd nicht
erstrebenswert ist. Sie wird in einem anderen Ort Köchin
für die Pfarrersfamilie. Auch hier gibt es viel Arbeit und
ziemlich wenig Geld, aber das Mädchen findet Anerkennung und
darf einige Kurse besuchen. Ein Kurs für häusliche
Krankenpflege bringt Erika auf den Gedanken, Rotkreuzschwester zu
werden. Im Herbst 1940 beginnt ihre Ausbildung - und wie für
viele junge Leute dieser Zeit gilt der Spruch: "Lehrjahre sind keine
Herrenjahre." Zwei Jahre später schließt sie die
Lehre mit einem Notexamen ab und wird als Ersatz für eine
schwer erkrankte Schwester umgehend nach Shitomir in der Ukraine
geschickt. Den Einsatzort erreicht sie auf abenteuerlichen Wegen und
unter Lebensgefahr, schließlich reist sie durch
Partisanengebiet. Das ist jedoch nur ein Vorgeschmack auf
spätere Schreckenserlebnisse.
In der Folge betreut Erika im Dauereinsatz Verwundete und begleitet
Sterbende. Manchmal helfen sie und die Kolleginnen auch verbotswidrig
Einheimischen. Die fast pausenlose Arbeit, vor allem aber das
schreckliche Leid der Patienten zehren an ihren Kräften. Und
aus der Heimat kommt regelmäßig Post mit Meldungen
über gefallene Freunde und Verwandte.
Nach dem Fall von Stalingrad beginnt der Rückzug. Mehrmals
kann das Lazarett mangels klarer Anweisungen und Transportmittel erst
aufbrechen, als es schon beinahe hinter der Front liegt. Immer wieder
bedrohen Partisanen und feindliche Flugzeuge das Leben der Gruppe.
Trotzdem, und häufig trotz fehlender Ausrüstung,
müssen Schwestern und Ärzte die zahlreichen
Verwundeten versorgen: fast schon beruhigender Alltag in einer
verstörenden Zeit.
Zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen gerät Erika in
amerikanische Kriegsgefangenschaft - zu ihrer Erleichterung, denn die
russische Besatzungszone beginnt bereits im nächsten Ort. Das
Leben im Lager ist allerdings kein Zuckerschlecken. Ende Juli 1945 wird
Erika entlassen; nun ist auch für sie der Krieg vorbei. Aber
bei ihrer Rückkehr nach Hause findet sie alles
verändert vor, fremde Leute leben im Haus, die gewohnte
Infrastruktur existiert nicht mehr. Der Krieg ist
vorüber, nun
gilt es, mit den Folgen zu leben.
Dieses Buch gehört sicherlich zu den Höhepunkten der
"Sammlung der Zeitzeugen" des Zeitgut Verlags. Die zielstrebige, mutige
Schäferstochter erzählt ohne Selbstmitleid, aber auch
ohne zu beschönigen, zunächst von ihrer Kindheit in
einem oft nur scheinbaren dörflichen Idyll, dann von ihren
für damalige Verhältnisse durchaus unkonventionellen,
ehrgeizigen Plänen und schließlich von ihrem Alltag
und ihren Erlebnissen als Frontschwester an der erbarmungslosen
Ostfront. Sie bindet die bald schon fast zur Gewohnheit gewordenen
Schrecknisse und von ihr miterlebten tragischen Schicksale ebenso in
ihren Bericht ein wie viele anrührende Vorfälle, die
vom Überleben der Menschlichkeit in einem brutalen und
grausamen Umfeld zeugen. Erstaunlich genau erinnert sich Erika Summ an
viele Details aus ihren bewegten ersten Lebensjahrzehnten, und sie
weiß ihre Erinnerungen in einem flüssigen, angenehm
zu lesenden Stil darzulegen, oft mit einem Schuss Humor
gewürzt. Zahlreiche Fotos und Dokumente illustrieren die
Autobiografie.
Wenn man sich für das Leben
der einfachen Menschen im
Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg interessiert,
erweist sich
dieses lebendige Buch als wahre Fundgrube und spannende, unter die Haut
gehende Lektüre!
(Regina Károlyi; 07/2006)
Erika
Summ: "Schäfers Tochter"
Zeitgut Verlag, 2006. 187 Seiten.
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