"Sieh einmal, hier steht er!"
Struwwelpeters beschädigte Kinderwelt
Betrachtet von Reimar Klein
Mit dem vollständigen Text und allen Bildern des Struwwelpeter
Sieh
einmal, hier steht er - |
Heinrich Hoffmanns im Jahr 1844 geschriebenes Kinderbuch "Struwwelpeter" wurde von den verschiedensten Disziplinen unter unterschiedlichsten Blickwinkeln analysiert und interpretiert. Reimar Klein hingegen versucht auf wohltuende Weise, das Werk als solches ins Blickfeld zu rücken. |
Kleins empfindsame
und vor allem sehr detaillierte Betrachtungsweise lässt Bilder und Texte, die
den Leser oftmals seit seiner Kindheit begleiten, in einem rätselhaften neuen
Licht erscheinen und ermöglicht es, den oft zu Tode kommentierten "Struwwelpeter"
aus einer neuen, ungewöhnlichen Perspektive wahrzunehmen.
Die Konzentration auf das Besondere jeder einzelnen Geschichte, aber auch auf
das Trennende und Verbindende aller Protagonisten, erschließt plötzlich umfassende
Zusammenhänge und neue Sichtweisen. Diese außergewöhnliche
Auseinandersetzung mit dem "Struwwelpeter" zieht den Leser in ihren
Bann und sorgt für atemlose Spannung, für neue Einsichten und Details, die
zumindest mir nie zuvor bewusst geworden sind.
Ich möchte kurz auf den "Struwwelpeter" eingehen, der von Reimar
Klein durch seinen Doppelcharakter beschrieben wird. Einerseits ist er eines von
den elf Kindern, die das Buch bevölkern, aber auch gleichzeitig der Stamm, von
dem die anderen abzweigen. Er zeichnet sich weder durch Heldentaten aus, noch
liefert er eine lustige Geschichte; vielmehr liegt um diese Figur die Aura der
Resignation. Klein sinniert, ob der "Struwwelpeter" aus eigenem
Antrieb einfach so da steht, oder als abschreckendes Beispiel dort aufgestellt
wurde, und er weist auf den eklatanten Widerspruch zwischen seiner adretten
Kleidung und dem restlichen Äußeren hin, das fast in karikaturesker Überzeichnung
eine ungebändigte Körperlichkeit darstellt.
Die ganze Episode gleicht einer Bloßstellung des bestraften Kindes, die im
gesamten Buch nicht selten vorkommt ("Daumenlutscher",
"Hans Guck-in-die-Luft") und im Kontrast zu jenen Helden steht, die im
Zuge ihrer Bestrafung verschwinden ("Paulinchen", "Suppen-Kaspar",
etc.).
So intensiv wie die Geschichte des "Struwwelpeter" werden auch alle
anderen
Geschichten aufgerollt. Dabei kommt ganz klar hervor, dass bei den Kindern
Verbote so wenig bewirken wie eigene schmerzliche Erfahrungen. Insofern könnte
man von einer nicht unbedingt pessimistischen Grundauffassung Hoffmanns
ausgehen, die sich letztendlich auch daran ablesen lässt, dass sich im "Struwwelpeter"
kein einziges Zeichen von Besserung findet.
Ein völlig neuer, beeindruckender Zugang zu einem Bilderbuch, das ich als Kind
geliebt habe und dessen Figuren wahrscheinlich für immer in meinem Gedächtnis
präsent sein werden.
(Margarete Wais; 03/2005)
"Sieh einmal, hier steht er!"
Struwwelpeters beschädigte Kinderwelt
Insel, 2005. ca. 120 Seiten.
ISBN 3-458-17247-5.
ca. EUR 15,40.
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