Klaus Schmidt: "Sie bauten die ersten Tempel"
Das rätselhafte Heiligtum der Steinzeitjäger
Die
Funde am Göbekli Tepe: Faszinierende neue Einblicke in den
Übergang von Jäger- und Sammler- zu sesshaften
Ackerbaukulturen
Als einige Archäologen Ende 1994 einem alten Tipp
und Hinweisen von Einheimischen nachgingen und einen Hügel in
Sichtweite der südosttürkischen Stadt Urfa zu
untersuchen begannen, konnten sie nicht wissen, dass sie am Beginn
einer Entdeckung standen, die Teile der Steinzeitgeschichte neu
schreiben würde.
Der erste Kontakt des Autors mit dem Fundort Göbekli Tepe
leitet nach Vorwort und Dank das Buch ein, das sich übrigens
ausdrücklich nicht nur an ein Fachpublikum, sondern auch an
interessierte Laien wendet.
Bei dem Heiligtum am Göbekli Tepe handelt es sich um mehrere
von Steinmauern begrenzte, vermutlich dachlose Monumentalanlagen, deren
wesentliches Element T-förmige, zumeist mit Reliefs versehe
Steinpfeiler und einige steinerne Statuen darstellen. Der
älteste Teil der Stätte entstand im 10. Jahrtausend
vor Christus (etwa gleichzeitig mit Jericho), als die Menschen in
Obermesopotamien noch nicht sesshaft waren - und ist somit das bislang
einzige bekannte dauerhafte Bauwerk von Jägern und Sammlern.
Um freilich die Bedeutung dieses Funds möglichst
gründlich zu erfassen, muss man möglicherweise
verwandte Kulturen betrachten. Daher beschreibt der Autor
zunächst die berühmt gewordenen Fundorte der Levante,
deren berühmtester Jericho ist, und die nur wenig
jünger als das Monument am Göbekli Tepe sind. Der
Autor berichtigt dabei das veraltete Bild des ältesten Teils
von Jericho als Festung: Weitaus überzeugender sind Indizien,
die Jericho als Kultstätte ausweisen. Als solche sind
zumindest auch Teile etwas jüngerer und lange kaum beachteter,
in der Peripherie des "fruchtbaren Halbmondes" gelegene Funde in
Obermesopotamien anzusehen, die Parallelen zu den levantinischen
Bauwerken, aber auch zum Göbekli Tepe aufweisen. Dazu
gehören zum Beispiel Nevalı Çori und
Çatal Höyük, die schließlich
auch außerhalb der Fachpresse einige Berühmtheit
erlangten. In Nevalı Çori wurden erstmalig jene mit Reliefs
geschmückten T-Pfeiler gefunden und als menschliche Figuren
identifiziert, die man in der rund tausend Jahre älteren
Anlage Göbekli Tepe III in großer Anzahl entdeckte.
Anschließend beschreibt der Autor gründlich und
spannend (und ohne Eigenlob!) die Ausgrabungen und Befunde vom
Göbekli Tepe, die er leitete. Zahlreiche Farbbilder vor allem
der einzelnen Artefakte und Anlagen sowie Skizzen und schematische
Zeichnungen ergänzen den Text ideal. Die Skulpturen und
Pfeilerreliefs stellen überwiegend Wildtiere aus der
natürlichen Umgebung der Jäger unmittelbar am Ende
der Eiszeit dar, unter anderem Wildeber, Onager (Wildesesel),
Füchse, Stiere, Schlangen, Spinnen, Raubkatzen und
größere Vögel. Gelegentlich treten auch
menschliche Wesen und Mischwesen aus Mensch und Tier auf. Die
Zusammenstellung der kunstvoll und oft sehr realistisch gearbeiteten
Figuren lässt auf einen Totenkult schließen, dem
offensichtlich zahlreiche Menschen huldigten - sonst wäre es
unmöglich gewesen, die viele Tonnen schweren, zum Teil drei
bis vier Meter hohen Pfeiler überhaupt aufzustellen.
Es erstaunt, dass sich an einigen Stellen abstrakte "Hieroglyphen"
fanden, die zwar sicher keine
Schrift bildeten, aber zumindest auf ein
gründlich tradiertes Symbolverständnis
schließen lassen. Die
Tierdarstellungen
erlauben vorsichtige Rückschlüsse auf die
Weiterreichungen kultischer und kultureller Elemente durch die
Jahrtausende, weil sie in ähnlicher Form immer wieder und an
verschiedenen Orten in Erscheinung treten.
Vor allem aber überrascht die Einsicht, dass die
Sesshaftwerdung wohl nicht Anfang, sondern Ende eines kulturellen
Prozesses war, wie der Göbekli Tepe beweist: Zu Beginn des 8.
Jahrtausends wurde die Anlage von den Benutzern zugeschüttet,
und es entstanden ständige Siedlungen in der Nähe,
mit denen Ackerbau und Viehzucht einhergingen.
Bei aller Sachlichkeit und Detailtreue versteht es der Autor, die
Ausgrabungen am Göbekli Tepe und den räumlichen und
zeitlichen Kontext kurzweilig und gut verständlich
darzustellen. Fachbegriffe werden stets erklärt. Ein
ausführliches Literaturverzeichnis, ein Glossar, ein Orts-,
ein Personen- und ein Sachregister am Ende des Buchs erleichtern die
Orientierung ebenso wie das beigefügte, als Lesezeichen
verwendbare Kartonkärtchen mit einem Zeitregister der Kulturen
von der Altsteinzeit bis zur Eisenzeit und doppelseitige Karten der
wichtigsten archäologischen Fundorte des 10. bis 7.
Jahrtausends v. Chr. ganz vorne und hinten im Buch.
Dem Autor ist hoch anzurechnen, dass er sich nicht in Hypothesen
versteigt, sondern an die Fakten hält und nur dann
Interpretationen wagt, wenn er sie auf eine wissenschaftlich
schlüssige Basis stellen kann. Er weist zudem darauf hin, dass
es sich bei den im Buch dargestellten Erkenntnissen um eine
Momentaufnahme handelt, weil ein erheblicher Teil der Anlage auf dem
Göbekli Tepe noch nicht ausgegraben werden konnte: Der Fundort
birgt nach wie vor ein gewaltiges Potenzial an Hinweisen auf die Kultur
unserer Vorfahren der mittleren
Steinzeit.
Die erfreulich vielen Fotos wie auch die Ausstattung und die gesamte
Umsetzung einschließlich des sorgfältig
durchgesehenen Textes sind von vorzüglicher Qualität;
allenfalls an die kleine Schrift muss man sich etwas gewöhnen.
Das Buch füllt definitiv eine Lücke, und es ist sehr
zu hoffen, dass es das Interesse an der dargestellten wichtigen Epoche
der Menschheitsgeschichte weckt und somit die Ausgrabungsarbeiten
fortgeführt werden können.
(Regina Károlyi; 02/2006)
Klaus
Schmidt: "Sie bauten die ersten Tempel"
C.H. Beck, 2006. 282 Seiten.
ISBN 3-406-53500-3.
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Klaus
Schmidt ist Privatdozent für Ur- und Frühgeschichte;
er leitet für das Deutsche Archäologische Institut
die Ausgrabung am Göbekli Tepe in Südostanatolien,
nahe der syrischen Grenze.