Markus Berger: "Stechapfel und Engelstrompete"
Ein halluzinogenes Schwesternpaar
"Ich wünsche mir, dass die Entheogene endlich ihren Platz
und den dazugehörigen Stellenwert innerhalb einer jeden Kultur erhalten, dass
die Menschen sie nicht missbrauchen und dass der Irrsinn des weltweiten
War-On-Drugs
bald ein friedvolles Ende findet." (Markus Berger)
Gemeinhin bekannt ist das Aussehen dieser Pflanzen, die oftmals als auffällige Einzelstücke, deren
herrliche Blüten einen eigenen Zauber verbreiten, viele Gärten zieren.
Hinsichtlich der inneren Qualitäten der das Auge erfreuenden Pflanzen herrscht
hingegen zumeist Unwissenheit. Stechapfel und Engelstrompete haben nämlich mehr
zu bieten als hübsche Blüten, und sie beeindrucken nicht nur den Sehsinn! So
manches an Halbwahrheiten und Hörensagen geistert herum, gesicherte
Informationen gab es, wenn überhaupt, bislang vorwiegend aus zweiter oder
dritter Hand. Höchste Zeit also, sich diesen beiden der Familie der
Nachtschattengewächse (Solanaceae) zugehörigen
Gruppen zuzuwenden.
Immerhin handelt es sich um Grünzeug, das der
hiesige Gesetzgeber nicht in die Illegalität verbannt hat. Somit sind, neben
kulturgeschichtlichen, botanischen und chemischen Informationen, auch solche zur
Pflege und Verwendung von Belang, und Markus Berger zögert nicht, sein teils
angelesenes, teils im Selbstversuch erworbenes Wissen mit dem interessierten
Leser zu teilen. Herausgekommen ist ein ebenso handliches wie übersichtliches
Nachschlagewerk.
Blumig präsentiert sich
bereits die Außenseite des Buches, nicht minder blumig ist auch die Sprache, in
der uns Markus Berger eine Bestandsaufnahme, reich durchwirkt mit Zitaten aus
Berichten und Beobachtungen anderer auf diesem Gebiet Forschender, zum Thema
darbietet. Insgesamt entsteht so zuweilen der Eindruck, man blättere in einem
Pflanzenkundebuch früherer Jahrhunderte, denn Berger lässt den Pflanzen durchaus
ihre Geheimnisse; Märchen und Mythen rauschfreundlicher Kulturkreise werden
eingeflochten, einiges erschöpft sich in Andeutungen. Was die Aufmachung
anbelangt, ist das Buch schlicht und sachlich; zahlreiche, zum Teil farbige
Abbildungen zeigen unterschiedliche Vertreter der vorgestellten Pflanzengruppen
in voller Pracht oder lenken den Blick des Betrachters auf erstaunliche
Details.
Den Auftakt bildet ein
gleichermaßen engagiertes wie rasantes Vorwort aus der Feder des
Altamerikanisten, Ethnopharmakologen und Ethnobotanikers
Christian
Rätsch, aus dessen Werken Markus Berger im weiteren Verlauf häufig zitiert.
Sodann ist Markus Berger höchstpersönlich am Wort. Den Anfang machen
Begriffsklärungen und Beschreibungen der Pflanzen: "Datura - Stechapfel" (15
Arten werden genauer dargestellt) und "Brugmansia - Engelstrompete" (7 Arten
werden porträtiert). Von jeder Art werden folgende Angaben aufgelistet:
botanische Bezeichnungen, Trivialnamen (darunter klangvolle Wörter wie
beispielsweise "Nohoch xtóhk'uh", "Unmata", "Tecomaxochitl" oder
"tzitzintlapatl"; dieser Teil der einer Art gewidmeten Ausführungen kann
mitunter halbe Buchseiten füllen!), Verbreitungsgebiet, Beschreibung (Wuchsform,
Blattform, Blüten und Samen), Aktive Prinzipien/Wirkstoffe (spezifische
Tropanalkaloide), Verwendung (so verfügbar; z. B. geraucht, in Salben, Tränken,
...). Aus der Fülle der Angaben seien hier exemplarisch einige angeführt: Datura
metel ist die "potenteste" aller Stechapfel-Arten, Datura innoxia findet als
Zutat für eine psychoaktive Salbe Verwendung, Brugmansia arborea kann bis zu
fünf Meter hoch wachsen, das getrocknete Kraut von Brugmansia sanguinea war auch
in Europa Inhaltsstoff von Zigaretten gegen asthmatische Erkrankungen, das Kraut
von Brugmansia suaveolens (Synonym: Datura
suaveolens) taugt gleichfalls als Rauchware.
Nachdem ein Datura-Blatt sozusagen "unter die Lupe" genommen wurde, sind Pflegetipps für die
Schamanenpflanzen an der Reihe. Für den Umgang mit Pflanzen allgemein
erforderliche Angaben, konkret zu Standort und Licht, Wasser, Erde/Substrat,
Überwinterung (gilt für Brugmansia), Schädlingen und Krankheiten, Vermehrung
(durch Aussaat oder Stecklinge) sowie Zucht sind vorhanden.
Von der
Botanik führt der Weg direkt in die Geschichte der Verwendung von Datura und
Brugmansia, gefolgt von Ausführungen zu Vorkommen und Gebrauch der
"halluzinogenen Schwestern", untergliedert in die Abschnitte "Asien", "Afrika",
"Amerika", "Australien" und "Europa". Beispielsweise wurde Datura stramonium im
16. Jahrhundert nach Europa eingeschleppt und war angeblich oftmals Bestandteil
der Hexensalben, und Datura innoxia spielte keine geringe Rolle in der
Kriminaltelepathie, in Peru mischt man sich bisweilen die Samen von Brugmansia
sanguinea in den Kaffee oder ins Bier, auch im Rahmen von Initiationsriten kommt
den Nachtschattengewächsen einige Bedeutung zu.
Das nächste Kapitel, "Datura
und Brugmansia in der Medizin", beschäftigt sich mit Volksmedizin und Heilkunde,
Schulmedizin und Homöopathie.
Die Anwendungsgebiete z. B. von Datura innoxia sind weit reichend: Behandlung
von Brandwunden, Durchfall, Husten, Rheuma, um nur einige zu nennen, Datura
metel wird vor allem in der indischen Ayurveda
eingesetzt, Datura stramonium wird vorwiegend in Mittelamerika zur Behandlung
zahlreicher Beschwerden und Erzeugung erwünschter Effekte verwendet. Wie
vielleicht bekannt, kommen Datura und Brugmansia zuweilen als die sexuelle Lust
steigernde Mittel (in Liebestränken, Rauchmischungen...) zum Einsatz, auch soll
der Schlummer unter einer Brugmansia dem Träumenden die schönsten erotischen
Träume bescheren ...
Weiters erfährt man, was sogenannte "Squash Blossom-Ketten" ("Kürbisblüten-Ketten") sind, und was es mit diesen
Silberschmiedeerzeugnissen der Navajo auf sich hat.
Das Kapitel "Chemie"
informiert über die bereits erwähnten Tropanalkaloide - und zwar recht
detailliert.
Sodann kommt man zum praktischen Teil: "Verwendung". Rezepte
und Anleitungen für verschiedene Mischungen und Verabreichungsformen eröffnen
dieses Kapitel: Rauchen (z. B. ein Rezept für "Indische Zigaretten" aus
Tollkirschenblättern, Bilsenkrautblättern, Stechapfelblättern, indischen
Hanfblättern sowie weiteren Ingredienzien), Essen (davon wird aufgrund der
schwierigen Dosierbarkeit abgeraten), Trinken, Klistiere,
Räucherungen, Salben,
Schnupfpulver. Anschließend beschreibt Markus Berger "Klassische psychoaktive
Zusammenstellungen", dazu zählt er u. a. Betelbissen, Biere, welchen z. B.
Datura stramonium-Samen beigemischt werden, eine psychoaktive Rauchmischung
namens "Kinnickinnick", Pulque und Tonga.
Wie wirken die "halluzinogenen
Schwestern"? Zu den aufgelisteten körperlichen Symptomen zählen beispielsweise
Jucken, Pupillenerweiterung, Übelkeit und Zittern. Überdosierungen führen
übrigens unweigerlich zum Tod durch zentrale Atemlähmung oder
Herz-Kreislaufversagen.
Die psychischen Auswirkungen sind individuell
verschieden, die Bandbreite reicht von der "medizinisch effektiven" über die
"aphrodisierende", bis hin zur "visionären, schamanisch halluzinogenen" Wirkung.
Unter dem Titel "Erfahrungen" fasst Markus Berger sowohl Rauscherlebnisse und
Rauschbeschreibungen, als auch Schilderungen von "kopflosen Experimenten" anderer
Personen und Autoren zusammen.
Das folgende Kapitel, "Gefahren und
Gegenmittel", bietet Informationen zu Intoxikation und Therapie. Im Ernstfall
gilt freilich: "Notarzt rufen!" Davon abgesehen, bietet Markus Berger Ratschläge
zum Umgang mit etwaig infolge von Zuführung von Nachtschattengewächs-Produkten
auftretenden Beschwerden wie Herz-Rhythmus-Störungen, Krämpfen, Fieber,
Delirium, usw., wobei stets Maßnahmen für den Laien und klinische Maßnahmen
genannt werden.
Einige Buchseiten sind mit Presseberichten über Stechapfel
und Engelstrompete gefüllt, bevor das Kapitel "Sonstiges" die Rechtslage
erläutert, kurz auf bezughabende Literatur eingeht (z. B. schrieb
E.
T. A.
Hoffmann eine Erzählung mit dem Titel "Datura fastuosa" ["Der schöne
Stechapfel"], und auch in so manchem
Grimm'schen Märchen erblickt der willige
Suchende durch Nachtschattengewächse induzierte Rauscherlebnisse) sowie
ansatzweise Grafik und Bildende Kunst auf entsprechende Symbole untersucht
...
Im Anhang finden sich Telefonnummern für den Notfall, Bezugsquellenangaben und eine Bibliografie.
(Felix; 10/2003)
Markus Berger: "Stechapfel und Engelstrompete. Ein halluzinogenes Schwesternpaar"
Nachtschatten Verlag, 2003. 184 Seiten.
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Ergänzende Buchtipps:
Da wäre zuerst einmal jenes Buch, aus dem Markus Berger wiederholt zitiert, nämlich:
"Lexikon der Liebesmittel" von Claudia Müller-Ebeling und Christian Rätsch
In diesem Lexikon werden die Aphrodisiaka,
Liebeszauber und Potenzmittel aus dem
Pflanzen-, Tier- und Steinreich sowie Chemikalien und Medikamente umfassend
dargestellt. Die westlich-medizinische Sicht als eine von vielen Perspektiven
zum Thema der Liebesmittel wird dabei in Beziehung zu anderen Weltsichten und
Traditionen gesetzt. Die rund 400 alphabetisch geordneten Monografien sind
praxisorientiert aufgebaut mit allen wesentlichen Informationen zu Geschichte,
kultureller Anwendung, rituellem Gebrauch, Bezugsquellen, Rezepten, Dosierung,
gesetzlichen Bestimmungen und persönlichen Erfahrungen. Das Schwergewicht liegt
bei Liebesmitteln, die jedem heute in Mitteleuropa verfügbar sind. Das Buch
enthält aber auch Exotisches ...
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Christian
Rätsch: "Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen. Botanik,
Ethnopharmakologie und Anwendungen"
Wer denkt beim morgendlichen
Kaffee,
bei der ersten
Zigarette, beim nachmittäglichen Wein oder beim Bier zum
Fernsehen daran, dass diese Produkte aus psychoaktiven Pflanzen bestehen? Dieses
Buch ist ein wichtiges Werk, das nach dem heutigen Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnis die Welt der psychoaktiven Pflanzen systematisch erschließt. Alle
wichtigen Pflanzen werden in Monografien dargestellt. Dabei werden alle
relevanten Informationen zu Botanik, Geschichte, Aussehen, Anbaumethoden,
Zubereitungsformen, Dosierungen, rituellen und medizinischen Verwendungen,
Inhaltsstoffen, Wirkungen, Marktformen und Vorschriften gegeben.
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