Art Spiegelman: "Maus 1. Mein Vater kotzt Geschichte aus.
Die Geschichte eines Überlebenden."
"Maus 2. Und hier begann mein Unglück.
Die Geschichte eines Überlebenden."
Liebe ist stärker als der Holocaust
Wladek Spiegelman ist Jude. Sein Sohn Art beschließt, ihn über seine Erfahrungen mit dem Holocaust zu interviewen, und dann mit Einverständnis des Vaters dessen Geschichte zu einem Comic komprimiert zu gestalten. Die persönliche Lebensgeschichte Wladeks in zwei Teilen dokumentiert die Zeit der Nazi-Herrschaft auf erschreckende Weise ...
(1937-1944, 1. Teil)
Wladek ist Pole. Er heiratet Anja. Sohn Richieu kommt im
Oktober 1937 zur Welt. Wladek arbeitet als Textilvertreter; sein
Schwiegervater besitzt eine Textilfabrik. Er wird per Dekret
zum Krieg
gegen Deutschland eingezogen, und landet bald in
Kriegsgefangenenschaft. Er flüchtet mit Hilfe eines Freundes
seines Onkels. Zurück in Polen scheint alles so wie
früher. Er muss aber erfahren, dass alle jüdischen
Geschäfte von "arischen Geschäftsführern"
übernommen worden sind. Die Nazis lassen die
"jüdischen" Wohnungen räumen. Wladek muss mit seiner
Familie von Sonowitz in den Stavra-Bezirk "umsiedeln". Er hört
dort von vier Juden, die gehängt wurden, weil sie mit Ware
ohne Marken gehandelt haben. Wladek, der noch nicht arm ist, handelt
mit Gold und Juwelen, um sich über Wasser zu halten. Bald
werden alle Juden des Bezirkes aufgerufen, sich im Dienst-Stadion zu
melden, wo sie selektioniert werden. Schließlich kommt Art
mit seiner Frau in ein Ghetto in Srodulo. 1943 werden die Ghettos
geräumt. Der Sohn von Wladek, der in ein angeblich sichereres
Ghetto verfrachtet worden war, wird bald nach Auschwitz gebracht und
soll dort vergast werden. Eine gute Freundin der Familie bringt sich
jedoch zuvor samt der zwei eigenen Kinder und Richieu mit Gift um.
Wladek versteckt sich in verschiedenen Bunkern vor den Nazis. Das Ghetto wird immer leerer. Unter einem Schuhhaufen führt ein Tunnel zu einem Bunker, wo sich ein Dutzend Menschen verstecken, die nichts zu essen haben. Wie durch ein Wunder gelingt Wladek samt seiner Frau die Flucht, als das Ghetto vollständig geräumt ist. Sie finden Unterschlupf beim ehemaligen Kindermädchen von Richieu. Wladek bekommt von einer "Schwarzhändlerin" etwas zu essen, die ihnen bald auch ein Versteck anbietet. Schließlich geht Wladek zwei Betrügern auf den Leim, und die versprochene Fahrt in die "Freiheit" (Ungarn) endet in Auschwitz.
Maus wirbelte bei erstem Erscheinen gehörigen Staub auf. Der Schock, dass Juden als Mäuse und Nazis als Ratten dargestellt werden, kann von mir jedoch nicht nachvollzogen werden. Die Begründung für diese Symbolik ist außerdem dem zweiten Band von Maus, der zu einem großen Teil in Auschwitz spielt, vorangestellt.
In Maus 2 hadert Spiegelman
metakommunikativ mit seiner Darstellungsweise von
künstlerischer Aufarbeitung: "Ich fühle mich dem
Versuch nicht gewachsen, eine Wirklichkeit zu rekonstruieren, die
schlimmer war als meine schwärzesten Träume. Und das
dann auch noch als Comic-Strip! Ich glaub', meine Augen waren
größer als mein Magen. Vielleicht sollte ich die
ganze Sache vergessen. Es gibt viel, was ich nie verstehen oder
bebildern kann. Die Wirklichkeit ist zu komplex für Comics.
Man muss so viel weglassen oder verdrehen." Dabei
impliziert der Comic im Gegenteil alle Facetten des Holocaust in sich
und verweigert jeglichen beschönigenden
Ästhetizismus. Der Zeichenstil ist durch Zeichnungen von
KZ-Häftlingen motiviert, die auch als Quellenmaterial dienten.
Die Erzählung bewegt sich wechselweise zwischen drei
Zeitebenen:
Die Geschichte des Vaters während der Kriegszeit, der Kontext
der Gespräche und die schwierige Beziehung zwischen Vater und
Sohn im Amerika der 1970er Jahre sowie Arts Bedenken, nach dem Tod des
Vaters seine Arbeit an Maus fortzusetzen. Die
Schwarz-Weiß-Gestaltung erlaubt eine dramatische Kompaktheit
der Ereignisse, die teilweise nur schwer zu ertragen ist.
Wladek überlebt, weil er das Glück hat, viel Hilfsbereitschaft zu erfahren, und eigentlich nur einmal verraten wird (was jedoch seiner Frau und ihm gleich Auschwitz einbrachte).
(1944-1945, 2. Teil)
In Auschwitz trennen sich vorläufig die Wege von
Wladek und seiner Frau. Er wird von einem Kapo protegiert, der ihm
Englisch beibringt. Er überlebt den tagelangen Marsch nach
Groß-Rosen, und die Weiterfahrt von dort mit Viehwaggons nach
Dachau, wobei unzählige Menschen total entkräftet
sterben. In Dachau trifft er einen Franzosen, der sein Essen, das er
von seiner Familie zugeschickt bekommt, mit ihm teilt. Bereits nach dem
Krieg soll er mit einigen anderen
erschossen werden, wenn da nicht die
Freundin eines für ihn "zuständigen" Offiziers diesen
angefleht hätte, keinen Mord zu begehen, da er ansonsten
bestraft werden könnte. Mit einem anderen Freund namens
Schiwek zieht er weiter, und ernährt sich in einem verlassenen
Bauernhaus von Hühnern und Milch, bis die Befreiung durch die
Amerikaner erfolgt.
Wenn wir uns auf Wladeks Schicksal einlassen, dann wächst er uns unvermeidlich ans Herz. Zwei Facetten, die neben vielen anderen beeindrucken, sollen besonders hervorgestrichen werden: Zum einen setzen die Juden, die sich zwischen Nicht-Juden verstecken, je nach Bedarf Masken von Ratten (und seltener Schweinen) auf. Bezeichnend ist eine Sequenz, wo ein durch eine Maske geschützter Jude Wladek auf der Straße nachgeht, und dieser sich von einem Verräter verfolgt fühlt. Aber der Verfolger lüftet seine Maske und gibt sich als hilfsbereiter Jude zu erkennen. Die eigene Identität zum Selbstschutz zu verstecken war für viele Juden eine lebensnotwendige Vorsichtsmaßnahme.
Zum anderen der für mich wichtigste Aspekt: Die Liebe. Wladek überlebt die schrecklichen Zeiten des Holocaust, weil er eine Hoffnung hat, die immer wieder durch sein Herz schimmert: Seine geliebte Frau Anja wiederzusehen! Dank einer ungarischen "Botin" bekommt er im KZ Briefe von seiner Frau zugesteckt, und weiß, dass sie lebt. Die Liebe zu seiner Frau ist stärker als der Holocaust. Anja wird, so wie er, von der Liebe gestärkt, die sie an ihn bindet. Umso schlimmer ist es für Wladek, als seine Frau viele Jahre nach dem Krieg im Alter von 56 Jahren Selbstmord begeht. Eine neue Lebenspartnerin kann die Lücke nicht auffüllen, die Anja hinterlassen hat. Wladek stirbt am 18. August 1982.
Art Spiegelman bestand und besteht darauf, dass er zwei Sachbücher geschrieben und gezeichnet hat, die keineswegs in die Rubrik Belletristik in die Bestsellerlisten aufgenommen werden sollten. Es kommt nicht von ungefähr, dass die UNO Maus als Begleitbuch für den schulischen Geschichtsunterricht empfiehlt. Der amerikanische Cartoonist, Sohn jüdischer Immigranten, wurde 1992 verdientermaßen für das nunmehr als Taschenbuch vorliegende Werk mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
(Jürgen Heimlich)
Art
Spiegelman: "Maus 1. Mein Vater kotzt Geschichte aus.
Die Geschichte eines Überlebenden."
Rowohlt,
1999. 159 Seiten.
ISBN 3-4992-2461-5.
ca. EUR 9,90.
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"Maus 2.
Und hier begann mein Unglück.
Die Geschichte eines Überlebenden."
Rowohlt, 1999. 135 Seiten.
ISBN 3-4992-2462-3.
ca. EUR 9,90.
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