W. Somerset Maugham: "Der Magier" und "Notizbuch eines Schriftstellers"


Anmerkungen zu Leben und Werk

William Somerset Maugham wurde am 25. Jänner 1874 als jüngster Sohn von Robert Ormond Maugham im Botschaftsgebäude in Paris geboren. Sein Vater, ein wohlhabender Jurist, stand im Dienst der britischen Botschaft. William verbrachte seine ersten zehn Lebensjahre in Frankreich, und er sollte diesem Land sein Leben lang verbunden bleiben. Als er vier Jahre alt war, wurden seine Brüder auf Schulen nach England geschickt, während William weiterhin bei seinen Eltern in Paris lebte.

Bereits im Alter von zehn Jahren war der Knabe Vollwaise: Zuerst war die Mutter Edith an Lungentuberkulose gestorben, zwei Jahre später der Vater einem Krebsleiden erlegen. William zog zu seinem kinderlosen Onkel Henry, einem Vikar, und dessen deutschstämmiger Frau nach Kent.
Um seine Kenntnisse der englischen Sprache war es zu jener Zeit nicht allzu gut bestellt, und der wenngleich einfallsreiche, so doch introvertierte, schmächtige, stotternde Knabe war Ziel des Spottes seiner Mitschüler an der King's School in Canterbury. Allen Widrigkeiten zum Trotz mühte sich William redlich und war darob ein überdurchschnittlich guter Schüler.

Die belastenden Erfahrungen jener Zeit schrieb er sich Jahre später im großteils autobiografischen Roman "Of Human Bondage" (1915 veröffentlicht, in Grundzügen schon früher entstanden) von der Seele. Der Protagonist des auf Deutsch unter dem Titel "Der Menschen Hörigkeit" erschienenen Bildungsromans, Philip Carey, ist ein sensibler Knabe, der mit einem Klumpfuß geboren wurde. Wie sein literarischer Schöpfer verliert auch Philip früh beide Elternteile und wird von seinem puritanischen Onkel und dessen Frau erzogen. Philip meistert sein Schülerschicksal mit Sarkasmus und Scharfsinn, dennoch verlässt er - auch dies eine Übereinstimmung mit Maugham - die Schule ein Jahr vor dem Abschluss.
Der Roman schildert Philips Kindheit, Jugend und frühe Mannesjahre: Der Heranwachsende sehnt sich nach Abenteuern und verlässt im Alter von 18 Jahren sein Zuhause, studiert in Heidelberg und London. Auch versucht er, in Paris die künstlerische Laufbahn einzuschlagen, bleibt allerdings bei all seinem Tun insgesamt orientierungslos. Er verfällt der androgynen, verführerischen Kellnerin Mildred, einem wahrhaftigen Luder, und eine dem Untergang geweihte Affäre nimmt ihren Lauf.
W. Somerset Maugham gelang die intensive Darstellung der sexuellen Besessenheit, des Sehnens nach menschlicher Nähe und Freiheit. Philip Carey überwindet schließlich die zerstörerische Leidenschaft, kann infolge einer Erbschaft sein Medizinstudium abschließen und heiratet eine rechtschaffene, einfache Frau.
Mit "Der Menschen Hörigkeit" schaffte W. Somerset Maugham endgültig den ehrgeizig angestrebten Durchbruch als Schriftsteller, zuvor feierte er - nach brotlosen Durststrecken - mit seinen Theaterstücken Erfolge: Im Jahr 1908 liefen vier davon gleichzeitig in London!

Das Wissen um sein wenig attraktives Äußeres und auch seine gleichgeschlechtlichen Neigungen ließen ihn schon früh mit einer als Schutzpanzer fungierenden zynischen Einstellung durch das Leben gehen, bzw. überspielte er, was er als Makel empfand, mit Arroganz.
Obzwar er sein Praktikum als Mediziner im St. Thomas Hospital absolvierte, nachdem er in London und Heidelberg (W. Somerset Maugham verfügte über entsprechende Sprachkenntnisse) Medizin und Philosophie studiert hatte, wandte er sich mit ganzer Kraft dem Schreiben zu, dies umso mehr, als sich sein erster, 1897 erschienener Roman, "Liza of Lambeth", recht passabel verkaufte, und vor allem seine Theaterstücke - wie bereits erwähnt - etwa ein Jahrzehnt später Publikumserfolge waren.
In "Liza of Lambeth" (dt. "Liza von Lambeth") verarbeitete W. Somerset Maugham milieutypische Beobachtungen und Erfahrungen, die er während seiner Arbeit als Gynäkologe und Geburtshelfer in einem Londoner Elendsviertel gesammelt hatte: Liza, ein gleichermaßen schönes wie dickköpfiges Mädchen im Londoner Arbeiterviertel Lambeth, verliebt sich in den viel älteren, verheirateten Jim, und ihre Freundin Sally ist den Schlägen ihres alkoholkranken Ehemannes Harry hilflos ausgeliefert ...

Ebenfalls im Jahr 1897 schloss W. Somerset Maugham sein Medizinstudium ab und verbrachte nach dem Tod seines Onkels einige Monate in Sevilla. Aufenthalte in Neapel und auf Capri folgten. Die in jenen Jahren entstandenen Romane vermochten jedoch nicht an den Erfolg von "Liza of Lambeth" anzuschließen, und der Autor feilte weiter an seinem Schreibstil, erarbeitete sich in mühseligen Studien handwerkliche Fertigkeiten.
Damals unterhielt W. Somerset Maugham eine langjährige, intensive Beziehung mit der Schauspielerin Sue Jones.

1913 schwängerte Maugham Syrie Wellcome, die zu jener Zeit noch anderweitig verheiratet war, jedoch bald darauf geschieden wurde. Das Paar heiratete zwar 1917, lebte jedoch nicht unter einem Dach.
Im Ersten Weltkrieg diente Maugham beim Roten Kreuz in Frankreich - eine willkommene Gelegenheit, der ehelichen Misere zu entfliehen -  wo er den US-Amerikaner Frederick Gerald Haxton (1892-1944) kennen lernte. Haxton, der in England als unerwünschter Ausländer galt, wurde Maughams Sekretär und Geliebter.
W. Somerset Maughams Ehe diente wohl nicht zuletzt als "Tarnung" in einem Umfeld, das von scheinheiliger Moral geprägt war. Das Schicksal Oscar Wildes, der - verheiratet und Vater zweier Kinder - wegen "Sodomie" (so der damalige Ausdruck für Homosexualität) anno 1895 im Zuge eines Prozesses, bei dem er vom Kläger zum Angeklagten geworden war, zu zwei Jahren Gefängnis und Zwangsarbeit verurteilt wurde, warf seinen bedrohlichen Schatten. Der Ruf des nicht nur körperlich großen Literaten Oscar Wilde war ruiniert und seine Gesundheit ebenso. "Sebastian Melmoth", wie sich Wilde nach seiner Haftentlassung nannte, war am 30. November 1900 im Alter von nur 46 Jahren verarmt an den Folgen einer Hirnhautentzündung in Frankreich gestorben.
Der Ehe W. Somerset Maughams mit Syrie, die später erfolgreich als Innenarchitektin werkte, entstammte eine Tochter: Elizabeth (Liza). Die Scheidung wurde 1927 ausgesprochen. Maugham befand sich ohnedies zumeist außerhalb Englands, einerseits bedingt durch drückende Steuergesetze, andererseits um bedrohungsfrei seinen sexuellen Neigungen entsprechend leben zu können.

Unter dem Deckmantel der Berufstätigkeit als Reporter war Maugham zur Zeit des Ersten Weltkriegs für den Britischen Geheimdienst aktiv und hielt sich 1917 während der Russischen Revolution in St. Petersburg auf. ("Dort soll er u.a. daran mitwirken, die Machtübernahme der Bolschewiki zu verhindern, ein Plan, aus dem, wie die Historie zeigt, dann nichts geworden ist. Maugham nützt die Monate, die er während der Agonie des Zarenreiches vor Ort sein kann, nicht nur für geheimdienstliche Aufträge, sondern auch für seine literarischen Interessen" - aus dem einleitenden Essay von Thomas und Simone Stölzel zum "Notizbuch eines Schriftstellers"). Freilich standen sein Stottern und seine anfällige Gesundheit (Lungentuberkulose), die Kuraufenthalte notwendig machte, einer weiteren Geheimdienstkarriere entgegen. Maugham war jedoch zumindest zeitweise Agent und Schriftsteller in Personalunion, wie auch beispielsweise Graham Greene und John Le Carré.
Man sagt, das Genre der modernen Spionagegeschichte habe mit Maughams "Ashenden; or the British Agent" (1928) seinen Anfang genommen. Diese Kurzgeschichtensammlung (dt. "Ashenden oder Der britische Geheimagent") basiert wenig überraschend zum Teil auf eigenen Erfahrungen des Autors, zu dessen Freunden auch der "James Bond-Erfinder" Ian Fleming zählte.

W. Somerset Maugham reiste oft und gern, was vielen seiner Geschichten exotische Schauplätze bescherte. Seine bis ins hohe Alter unternommenen ausgedehnten Reisen führten den Schriftsteller u.a. nach China, Indien und auf die Südseeinseln.
"The Moon and Sixpence", erschienen 1919, (dt. "Silbermond und Kupfermünze") thematisiert das Leben des französischen Malers  Paul Gauguin; im Roman heißt die Figur Charles Strickland. Dieser, ein Börsenmakler und Familienvater, bricht aus seinem biederen Dasein aus, um auf Tahiti Maler zu werden.

Anno 1926 erwarb der mittlerweile zu Ruhm und Vermögen gelangte W. Somerset Maugham den Landsitz "Villa Mauresque" in Cap Ferrat an der französischen Riviera, wo er die nächsten Jahre verbrachte. Dieses noble Anwesen hatte übrigens angeblich König Leopold II. von Belgien einst als Domizil für seinen Beichtvater errichten lassen.

Als 1940 die deutschen Truppen in Frankreich einmarschierten, floh W. Somerset Maugham zunächst nach Paris, dann nach England und schließlich in die Vereinigten Staaten von Amerika.
1938 reiste
Maugham aufgrund regen Interesses an indischer Spiritualität nach Indien. Er arbeitete damals an seinem Roman "The Razor's Edge" (dt. "Auf Messers Schneide"). Darin findet ein vom selbstverständlich sinnlosen Kriegsgemetzel und der Leere des modernen Lebens erschütterter amerikanischer Veteran auf der Suche nach dem Sinn des Lebens schließlich nach langer Reise seinen Seelenfrieden bei einem heiligen Mann in Indien, bevor er in die USA zurückkehrt. 
"The Razor's Edge" wurde mehrfach verfilmt.

Nach Kriegsende kehrte Maugham mit seinem langjährigen Freund Alan Searle, den er auch als Sekretär beschäftigte, nach Frankreich zurück. 1947 stiftete er den Somerset Maugham Award, der seither alljährlich von der britischen Autorenvereinigung an gebürtige Engländer unter 35 für ein veröffentlichtes Buch vergeben wird und es ihnen ermöglichen soll zu reisen, wie es der edle Gönner einst getan. ("£12,000 are awarded each year to British authors under the age of 35 for a published work of fiction, non-fiction or poetry.")
Zu den bisherigen Preisträgern zählen u.a. Doris Lessing, V. S. Naipaul, Ian McEwan, Peter Ackroyd, John Le Carré und A.L. Kennedy.

W. Somerset Maugham starb am 16. Dezember 1965 in Nizza.
Er hinterließ ein umfangreiches Gesamtwerk, bestehend aus Romanen, Kurzgeschichtensammlungen, Theaterstücken, Reiseerzählungen und Essays. 
Anmerkung am Rande: Nach wie vor findet sich auf dem Buchmarkt keine Biografie W. Somerset Maughams in deutscher Sprache.

"Der Magier"

"Und doch ist Magie nichts weiter als die Kunst, sich unsichtbarer Mittel zu bedienen, um sichtbare Wirkungen zu erzielen. Wille, Liebe und Fantasie sind magische Kräfte, über die jeder verfügt; und wer es versteht, sie bis zu ihrem vollsten Ausmaß zu entfalten, ist ein Magier. Die Magie kennt nur ein Dogma, nämlich, dass das Sichtbare der Maßstab für das Unsichtbare ist." (Aus "Der Magier")

Der großteils im Paris, teils im England der Jahrhundertwende spielende, erstmals im Jahr 1908 erschienene Gruselroman vermittelt auf ebenso geistreiche wie kurzweilige Weise ein Stimmungsbild jener Atmosphäre, wie sie sich im dekadenten Gesellschaftssegment der europäischen Metropolen darstellte, nicht zuletzt angereichert mit Spannungselementen und Schilderungen der Zerstörung einer und der Entfaltung einer anderen Liebesbeziehung.
Im Zuge der Vorarbeiten zu "The Magician" (Untertitel der deutschen Ausgabe: "Ein parapsychologischer Roman") befasste sich W. Somerset Maugham mit alchemistischem Schrifttum und Okkultismus, Magie und Mystizismus, wobei dem Roman keinerlei diesbezügliche Wertungen oder Urteile zu entnehmen sind.
Die schillerndste Gestalt des traditionell strukturierten Werkes ist der charismatische Oliver Haddo, ein allem Anschein nach in allerlei dunklen Künsten bewanderter Sonderling, dessen außergewöhnliche Eigenschaften und Fähigkeiten, gepaart mit begnadetem Fabuliertalent, vordergründig für Erregung und Aufsehen sorgen, im Verborgenen jedoch schauderhafte Blüten treiben.

Die anmutige, unerfahrene Margaret Dauncey, Kunststudentin und Verlobte des vernünftig, nüchtern und beharrlich agierenden Chirurgen Arthur Burdon, verfällt dem undurchsichtigen Oliver Haddo, der sich mit Okkultismus und Alchemie befasst, augenscheinlich Lebewesen nach Lust und Laune zu manipulieren vermag und just jenes betörende Gift verströmt, nach welchem die sensationslüsterne Bohème giert. Als Folge einer demütigenden Auseinandersetzung mit Arthur Burdon rächt sich Haddo auf tückische Weise an dem Arzt, indem er dessen wunden Punkt trifft: Er verdreht Arthurs beeinflussbarer Verlobter mithilfe dunkler Machenschaften (Intrigen, Drogen, Hypnose, ...) den Kopf und ehelicht sie - mit einer Liebesheirat hat das Ganze freilich nichts gemein, und bald verdichten sich Gerüchte, die Ehe sei niemals vollzogen worden.
Margarets Freundin Susie entwickelt mehr als Zuneigung für Arthur, und ihre Gefühlsregungen sollen nicht unentdeckt bleiben.
Haddo lässt keinen Zweifel daran, dass er es tatsächlich darauf abgesehen hat, in seinem Geheimlaboratorium nach Art großer Alchemisten homunculi (das sind künstlich erschaffene Menschlein ohne Seelen) herzustellen - ein auch in Goethes "Faust II" verwirklichtes Ansinnen. Dazu bedarf es bei Maugham u.a. des Blutes einer Jungfrau ...
Nach einigen erzählerisch ausgefeilten unterhaltsamen Wendungen steuert der im letzten Drittel mit rasantem Tempo aus grüblerischen Tiefen auftauchende Roman auf genreübliche Horrorszenen zu, und das Dreiergespann, bestehend aus Susie (schließlich sind schrille Angstschreie aus weiblicher Kehle sozusagen unverzichtbares Kleingeld), Dr. Porhoët, der ebenfalls mit den dunklen Künsten vertraut ist, und Arthur, sieht sich mit Grauenerregendem konfrontiert: Nach einer Geisterbeschwörung kommt es während eines effektvollen Gewitters zum entscheidenden Kräftemessen zwischen dem längst nicht mehr nüchtern agierenden Arthur Burdon und Oliver Haddo, in dessen Laboratorium sodann grausige Überraschungen warten, die in einem Flammeninferno (Feuer als altbekanntes Symbol der Läuterung bzw. der Transformation) vernichtet werden ...
"Der Magier" ist, wie schon angemerkt, ein Gruselroman und endet folglich nicht mit dem aus zahlreichen Märchen bekannten Satz "... und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende", allerdings liest man: "Im Osten stieg ein Lichtstrahl am Himmel auf, und die Sonne erschien gelb und rund über der Erde" - was letztlich Ähnliches bedeutet.

Als im Jahr 1926 unter der Regie von Rex Ingram mit Paul Wegener in der Rolle des Oliver Haddo entstandener Stummfilm, der in etlichen Punkten von der literarischen Vorlage abweicht, kam "Der Magier" (auch unter dem Titel "Der Dämon") in die Kinos.

MARGARETE:
Der Mensch, den du da bei dir hast,
Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt;
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich ins Herz gegeben
Als des Menschen widrig Gesicht.
FAUST:
Liebe Puppe, fürcht ihn nicht!
MARGARETE:
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
Ich bin sonst allen Menschen gut;
Aber wie ich mich sehne, dich zu schauen,
Hab ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
Und halt ihn für einen Schelm dazu!
Gott verzeih mir's, wenn ich ihm unrecht tu!
FAUST:
Es muß auch solche Käuze geben.
MARGARETE:
Wollte nicht mit seinesgleichen leben!
Kommt er einmal zur Tür herein,
Sieht er immer so spöttisch drein
Und halb ergrimmt;
Man sieht, daß er an nichts keinen Anteil nimmt;
Es steht ihm an der Stirn geschrieben,
Daß er nicht mag eine Seele lieben.
Mir wird's so wohl in deinem Arm,
So frei, so hingegeben warm,
Und seine Gegenwart schnürt mir das Innre zu.
FAUST:
Du ahnungsvoller Engel du!
MARGARETE:
Das übermannt mich so sehr,
Daß, wo er nur mag zu uns treten,
Mein ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.
Auch, wenn er da ist, könnt ich nimmer beten,
Und das frißt mir ins Herz hinein;
Dir, Heinrich, muß es auch so sein.
FAUST:
Du hast nun die Antipathie!

Aus "FAUST: DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL" von Goethe.
 

Die Romanfigur Oliver Haddo trägt unverkennbar Züge des englischen Magiers Aleister Crowley, dem W. Somerset Maugham in Paris begegnete. Obwohl Crowley Maugham eigenen Aussagen zufolge auf Anhieb ganz und gar unsympathisch war, wird in "Der Magier" ein durchaus nuanciertes Bild einer zwischen teuflischem Genie und Scharlatan wuchernden Existenz entworfen. W. Somerset Maugham im dem Roman später vorangestellten "Fragment einer Autobiografie":
"Obwohl Aleister Crowley, wie ich erwähnte, als Vorbild für Oliver Haddo diente, ist dieser doch keineswegs ein Porträt von ihm. Ich habe meine Gestalt in ihrer äußeren Erscheinung auffallender gezeichnet, düsterer und grausamer, als Crowley es jemals war. Ich habe ihr magische Kräfte verliehen, die Crowley, obwohl er sich ihrer rühmte, bestimmt nie besaß. Crowley erkannte sich jedoch in dem Geschöpf meiner Fantasie, denn ein solches war es, und schrieb in Vanity Fair eine ganzseitige Besprechung des Romans, die er mit 'Oliver Haddo' zeichnete. Ich habe sie nicht gelesen, wünschte aber jetzt, ich hätte es getan. Es wird wohl ein gründlicher Verriss gewesen sein, vermutlich aber, wie seine Gedichte, unerträglich weitschweifig."

W. Somerset Maughams Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis, detaillierte Beschreibungen sowie punktgenaue Dialoge verleihen seinen Romanfiguren glaubhafte Konturen und hauchen ihnen Leben ein. Und es ist eine liebende Figur namens "Margaret", die ein besonderes Naheverhältnis zur "dunklen Seite" aufweist - wie z.B. in Goethes "Faust" ("Margarete"; auf den realen Fall einer Kindesmörderin Bezug nehmend) oder Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita", wobei Bulgakows "Margarita" im Umgang mit den Repräsentanten der Finsternis vergleichsweise bessere Figur macht, und auch in Paul Celans "Todesfuge" findet sich eine liebende "Margarete". Maughams "Margaret" schwant übrigens schon früh in Bezug auf den Magier Haddo Übles:
" 'Mir ist noch nie ein Mensch begegnet, der mich mit solchem Abscheu erfüllt hätte", sagte sie. 'Ich weiß nicht, was er an sich hat, dass er mir solche Angst einflößt. Sogar jetzt noch spüre ich seinen seltsam auf mich gerichteten Blick. Hoffentlich sehe ich ihn nie wieder.'
Arthur lachte kurz und drückte ihr die Hand. Sie wollte sie nicht wieder loslassen, und er spürte, dass sie zitterte."

Darüber, ob oder inwieweit etwa die Geschichte von der Heiligen Margarete für die Namen diverser Charaktere in der Literatur Quell der Inspiration war, kann spekuliert werden: Die Heiligenlegende weiß jedenfalls von einem gezähmten Drachen (als Symbol der Versuchung des Bösen - wir wissen ja: "Das Böse ist immer und überall") zu berichten.

"Notizbuch eines Schriftstellers"

"Dem Durchschnittsmenschen genügt die Lebensregel, seinen durch die Moralgesetze der Umwelt in Zaum gehaltenen Instinkten zu folgen."
(Aus dem "Notizbuch")

Nicht wenige Schriftsteller führten und führen derlei Aufzeichnungen, und Maugham bezieht sich in seinem einleitenden Vorwort gegenständlich besprochener Ausgabe auf Jules Renards (1864-1910) moralisierend-humorige Schriften dieser Art: "Dass Jules Renards Journal mir in dieser Hinsicht so angenehm auffiel, hat mich dazu angeregt, meine eigenen Notizen zu sammeln und sie meinen Schriftstellerkollegen vorzulegen."
Nachträglich mit anlässlich der geplanten Veröffentlichung eingefügten Anmerkungen versehen gewährt also das "Notizbuch eines Schriftstellers" autorisierte Einblicke in William Somerset Maughams Gedanken-, Erlebnis- und Schaffenswelt. Die Seiten seines ersten derartigen Notizbuches füllte der Autor im Jahr 1892, wobei über die Jahre allerdings keine Tagebücher im herkömmlichen Sinn, sondern viel eher Sammlungen von markanten Situations- und Personenbeschreibungen, Reiseaufzeichnungen, Prosaminiaturen und theologischen sowie philosophischen Reflexionen, gewürzt mit allerlei Zitaten und Aphorismen entstanden sind.
Auch Prominente (z.B. Charlie Chaplin), Naturschauspiele und Landschaften sind Gegenstand der Betrachtung, überdies finden sich bisweilen provokant formulierte gesellschaftspolitisch und zeitgeschichtlich relevante Kommentare. Und natürlich tauchen immer wieder Sätze auf, die wohl gleich Samen auf den Seiten schlummern, um vielleicht eines Tages auf fruchtbaren Boden zu fallen, dort zu keimen und in Geschichten Wurzeln zu schlagen.

1949 sichtete Maugham seine Aufzeichnungen und wählte aus der Fülle des Materials diejenigen Notizen aus, welche seiner Meinung nach repräsentativ, unverbraucht (soll heißen nicht bereits in seinen literarischen Werken verwertet) und für eine größere Leserschaft interessant sein könnten; diese Auszüge wurden sodann, chronologisch gereiht, als "Notizbuch eines Schriftstellers" publiziert.

Gewiss wird jeder Leser auf für ihn bedeutsame oder auch belustigende Textpassagen stoßen, Lebensweisheiten oder Denkanstöße - de gustibus non est disputandum. Nachstehend einige Kostproben:

"Man spricht viel über den Adel der Arbeit, aber Arbeit als solche hat nichts Edles. In früheren, kriegerischen Zeiten wurde die Arbeit verachtet und das Soldatenleben hochgeschätzt. Heute, da die große Mehrzahl aus Arbeitenden besteht, wird die Arbeit hochgeschätzt. Der Grund ist lediglich, dass die Menschen in ihrer Überheblichkeit immer das, was sie gerade tun, als das Edelste betrachten.
Die Arbeit wird gepriesen, weil sie die Menschen von sich selbst ablenkt. Hohlköpfe langweilen sich, wenn sie nichts zu tun haben. Mit der Masse zu arbeiten ist ihre einzige Rettung, aber es ist lachhaft, die Arbeit deshalb edel zu nennen. Zum Nichtstun braucht es viele Talente und viel Kultur oder eine besondere Veranlagung."

"Die meisten Menschen verwenden den Verstand, der ihnen nach der Sorge um ihre eigene Existenz und die der Nachkommenschaft noch übrigbleibt, in keineswegs edler Weise."

"Wir saßen in einem Wirtshaus auf Capri, als Norman hereinkam und uns mitteilte, dass T. im Begriff sei, sich zu erschießen. Wir waren entsetzt. Norman sagte, als T. ihn von seinem Entschluss unterrichtet habe, sei ihm kein Argument eingefallen, ihn davon abzubringen. 'Wollen Sie etwas dagegen unternehmen?' fragte ich. 'Nein.' Er bestellte eine Flasche Wein und setzte sich an den Tisch, um auf das Geräusch des Schusses zu warten."

"Die Kokospalmen dehnten sich bis zum Ufer aus, nicht in Reihen, aber doch in geordnet wirkenden Abständen. Sie glichen einem Ballett alter Jungfern, die gefallsüchtig und mit süßlicher Grazie in affektierten Haltungen dastehen."

Vom Diogenes Verlag als "ein buntes, humorvolles, kluges Buch - eine Fundgrube für alle, die sich verführen und in den Kosmos W. Somerset Maughams ziehen lassen wollen" bezeichnet, lädt der knapp sechshundert Seiten starke Band zum angeregten und genussvollen Schmökern ein.

(kre; 12/2004)


W. Somerset Maugham: 
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"Notizbuch eines Schriftstellers"
(Originaltitel "A Writer's Notebook")
Herausgegeben, überarbeitet und mit einem Essay versehen
von Simone und Thomas Stölzel.
Aus dem Englischen von Irene Muehlon
.
Diogenes, 2004. 608 Seiten.
ISBN 3-
257-06452-7.
ca. EUR 25,60.
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Buchtipp:

Merlin Holland: "Oscar Wilde im Kreuzverhör"

Die erste vollständige Niederschrift des Queensberry-Prozesses
(Originaltitel "Irish Peacock & Scarlett Marquess")
Aus dem Englischen von Henning Thies.
Am 18. Februar 1895 hinterließ der Marquis von Queensberry, der Vater von Lord Douglas, in Wildes Club eine Karte "For Oscar Wilde, posing as sodomite" ("Für den als Sodomisten posierenden Oscar Wilde"). Gegen den Rat seiner Freunde entschloss sich Wilde, den Marquis wegen Verleumdung zu verklagen - und setzte damit einen Prozess in Gang, der wie eine Komödie begann und sich vor den Augen einer fassungslosen Öffentlichkeit unaufhaltsam in eine Tragödie verwandelte. Wilde befand sich im Zenit seines Ruhmes, als er so sein Schicksal herausforderte und damit den größten Skandal seiner Zeit auslöste. Entsprechend tief war sein Fall - er verlor und wurde anschließend zu zwei Jahren Zuchthaus und Zwangsarbeit verurteilt.
Aus der Niederschrift dieser dreitägigen Gerichtsverhandlung ist ein Buch entstanden, das über die reine Dokumentation weit hinausgeht. Wir erleben darin einen siegessicheren Helden, der souverän seinen Witz einsetzt, um selbst im Gerichtssaal das Publikum für sich zu gewinnen. Und wir erleben, wie diesem Helden der Prozess gemacht wird - nicht nur aufgrund seines teils fragwürdigen Verhaltens, sondern auch aufgrund seines literarischen Werkes. Es ist ein verzweifelter Kampf, den der "Herr der Sprache" hier führt, und er muss erkennen, dass ironische Überlegenheit als Waffe nicht taugt. Eine untaugliche Waffe ist auch die Lüge - auf sie hatte Oscar Wilde vergeblich gesetzt.
Beim Autor, Merlin Holland, handelt es sich übrigens um den Enkel Oscar Wildes. (Blessing)
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Leseprobe aus "Das Werden des Lebens. Wie Gene die Entwicklung steuern" von Christiane Nüsslein-Volhard:

Schon in alter Zeit gab es Menschenschöpfungsutopien, in großer Vielfalt natürlich in Mythen und den verschiedenen Religionen. Aber obgleich den meisten Menschen wohl klar ist, dass die Entstehung der Frau Eva aus einer Rippe des ersten Mannes Adam oder der Pallas Athene aus dem Kopf von Zeus eher symbolisch gemeint sein dürfte, sieht es anders aus, wenn derartige Ideen an zu ihrer Zeit biologisch begründete Vorstellungen anknüpfen. Ein Beispiel aus dem Mittelalter ist die Homunculus-Rezeptur von Paracelsus von Hohenheim. Sie beruht auf der für lange Zeit populären Vorstellung der Entstehung des Menschen durch Präformation. Nach dieser Vorstellung war der werdende Organismus im Sperma schon als Homunculus vollständig vorgeformt und musste sich im mütterlichen Organismus nur entfalten wie ein Pflanzensamen im Blumenbeet. Im Rezept des Paracelsus von 1537 wird der mütterliche Organismus durch ein künstliches Gebräu ersetzt und Sperma mit Pferdemist, Urin und anderen Ingredienzien bei Wärme im Kürbis inkubiert. In 40 Tagen soll daraus ein kleines Menschlein werden (aber nur dann, wenn das Ganze heimlich stattfindet). Diese Geschichte wird von Goethe im zweiten Teil des "Faust" auf bemerkenswerte Weise thematisiert. Nicht Faust, der Aussteiger und Skeptiker, sondern Wagner, der beflissene und fortschrittsgläubige Schüler, schürt das Feuer.

Mephisto: Was gibt es denn?
Wagner (leiser): Es wird ein Mensch gemacht.
Mephisto: Ein Mensch? Und welch verliebtes Paar
habt ihr in's Rauchloch eingeschlossen?

Wagner: Behüte Gott! Wie sonst das Zeugen Mode war
Erklären wir für eitel Possen ...
Wenn sich das Tier noch weiter dran ergötzt,
so muss der Mensch mit seinen großen Gaben
doch künftig höhern, höhern Ursprung haben.

Es wird aber nichts daraus, denn der Homunculus, ein altkluges, aber unterentwickeltes Wesen, das von Wagner angestaunt wird, kann nicht aus der Retorte steigen, er ist nur halb zur Welt gekommen. Mit Mephistos Hilfe sucht er Rat bei den weisen Naturforschern der Griechen und wird schließlich von Thales ins Meer geworfen, mit dem Zuspruch:

Gib nach dem löblichen Verlangen
von vorn die Schöpfung anzufangen,
Zu raschem Wirken sei bereit!
Da regst du dich nach ewigen Normen,
Durch tausend abertausend Formen
Und bis zum Menschen hast du Zeit. (Faust II, 2. Akt)

In diesem Text sind gleich mehrere Weisheiten enthalten - unter anderem die der Evolution, der Entstehung von komplexeren aus einfacheren Formen in langen Zeiträumen; dann die ewiger Normen, nach denen Lebendes sich entwickelt; schließlich die Vergeblichkeit der Versuche des Forschers, diese voll zu erfassen und zu einer Neuschöpfung zu verwenden. (...)

"Leben ist das Faszinierendste, was es gibt. Innerhalb von kurzer Zeit entsteht in einem Ei, das aus nicht viel mehr als einem Säckchen Dotter besteht, umhüllt von einer schützenden Schale, ein Küken, das laufen, sehen und essen kann."
Mit diesen Worten beginnt eine spannende Reise durch die Geschichte der Entwicklungsbiologie, auf der die Leser die wunderbar anmutenden Vorgänge der Gestaltbildung kennen lernen. Er erfährt, welche Fragestellungen, Experimente und Antworten zu dem heutigen Wissen über das Werden des Embryos geführt haben, welche Mechanismen die fein aufeinander abgestimmten Formen eines Tieres entstehen lassen und welche Rolle die Gene bei der Entwicklung eines Organismus spielen.
Das Buch handelt von Genen und Embryonen vielzelliger Tiere bis hin zum Menschen. Wie kommt es, dass Kinder so aussehen wie ihre Eltern? Woher weiß eine Zelle im Embryo, zu welcher Struktur sie sich entwickeln soll, beispielsweise zu einer Augen- oder einer Muskelzelle? Wie überhaupt wirken die Gene bei der Entstehung der Vielfalt des Lebenden?
Christiane Nüsslein-Volhard gibt einen verständlichen, mit zahlreichen eigenen Zeichnungen anschaulich gemachten Überblick über Evolution, Genetik, Molekularbiologie und Embryologie und diskutiert aktuelle Themen der menschlichen Biologie und Biopolitik. (C. H. Beck, 2004)
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