Harlich H. Stavemann: "Sokratische Gesprächsführung"
Eine Anleitung für Psychotherapeuten, Berater und Seelsorger
Zur
Mündigkeit führen
Die Sokratische Gesprächsführung ist in erster Linie
eine Fragetechnik, welche im beratenden Gespräch eingesetzt
werden kann, wenn
es um Entscheidungsfindung geht. Im Zentrum stehen dabei
lebensphilosophische
Fragen.
Die antike Philosophie
Zunächst
ist das vorliegende Buch packender Geschichtsstoff.
Die Leserschaft wird mitgenommen in die Antike und begegnet dort in
unterhaltsamer Weise den großen Denkern Sokrates,
Platon oder
Epiktet.
Die Lebensbilder und Zitate belegen, dass diese nicht nur die
Philosophie,
sondern in erstaunlicher Weise auch die moderne Psychotherapie
geprägt
haben.
"Wenn wir bedrängt, unruhig
oder betrübt sind, wollen wir die Ursache nicht in etwas
anderem suchen,
sondern in uns, das heißt in unseren Vorstellungen",
formulierte
der Stoiker Epiktet und plädierte bereits
vor zweitausend Jahren für Selbstverantwortung im Umgang mit
Emotionen.
"Darf ich das?"
Harlich H. Stavemann ist
Lehrtherapeut und Supervisor für Kognitive Verhaltenstherapie
und seit 20 Jahren als niedergelassener Psychotherapeut tätig.
Er leitet
das Institut für Integrative Verhaltenstherapie in Hamburg.
Anhand zahlreicher,
ausführlich kommentierter Dialogbeispiele beschreibt er
Schritt für
Schritt die drei Formen
des Sokratischen Dialogs: Der explikative Dialog (Beispiel:
"Was ist der Sinn des Lebens?") dient der Klärung von
Begriffen,
während der normative (Beispiel:
"Darf ich abtreiben?")
zur Lösung
moralischer Konflikte beitragen möchte.
Der Dialog dient der
Zielsetzung, dass der Patient durch die geleiteten
"naiven" Fragen des
Therapeuten seine alten Sichtweisen reflektiert, Widersprüche
und Mängel
erkennt, selbstständig funktionale Einsichten und Erkenntnisse
erarbeitet und
seine alte, dysfunktionale Ansicht zu Gunsten der selbst- und
eigenverantwortlich erstellten aufgibt. Eine Verwandtschaft zur
Lösungsorientierten Beratung ist nicht von der Hand zu weisen.
Die funktionale als
dritte Form der Sokratischen Gesprächsführung wendet
sich Zielkonflikten und damit
den "Soll ich das?"-Fragen zu.
Philosophische Wende in der Psychotherapie
"Für
metaphysische Themen wie
Sinnfragen,
Selbstwertprobleme
und andere
lebensphilosophische Fragestellungen werden auf Selbstreflexion und
Erkenntnis
zielende Gesprächsführungstechniken
benötigt, um dysfunktionale Konzepte und
Schemata zu entlarven und zielführende eigenverantwortlich
erarbeiten zu
lassen", meint der
Autor in seinem engagierten Schlusswort
und plädiert dafür, dass Psychotherapeuten eine
fundiertere philosophische
Ausbildung erhalten sollen.
Der Bezug zwischen
Philosophie und
Psychotherapie wird umfassend dargestellt und
beleuchtet. Zu
ergänzen wäre, dass die bewusste und
sorgfältige Anwendung des Sokratischen Dialogs
auch in der Wirtschaft, im Leistungssport oder in der Kunst Gewinn
bringen
könnte, etwa dort, wo Trainer, Coaches und HR-Verantwortliche
ihre Klienten
ganzheitlich, sensibel und psychologisch kompetent begleiten und
fördern
möchten.
(André Kesper; 07/2007)
Harlich
H. Stavemann: "Sokratische Gesprächsführung"
Beltz Verlag, 2007. 356 Seiten.
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