Erich Sokol: "Fern Sehen"
Karikaturen
Der 1933
in
Wien geborene Erich Sokol hat die Entwicklung des ORF maßgeblich beeinflusst.
Das berühmte ORF-"Auge" ist ebenso seine Erfindung wie überhaupt die "Corporate
Identity" des Österreichischen Rundfunks. Er war maßgeblicher Stilist der ORF-Reform
und arbeitete als Chefgrafiker und Art Director. Seine Rede anlässlich der Präsentation
dieses neuesten Werkes fiel sehr kurz aus, und es war ihm merkbar unangenehm,
einen so belanglosen Satz wie "Das Buffet ist eröffnet" auszusprechen. Somit
besprach er diese Angelegenheit satirisch, wie es so seine Art ist. Viele der
karikierten Personen hatten sich im Atrium des ORF versammelt, und dennoch fehlten
mir als Liebhaber der Extremtypen zwei besondere Zeitgenossen: Der zwiespältige
DDr. Günter Nenning und der noch weniger durchschaubare Hermes Phettberg.
Das vorliegende
Album erfüllt in erster Linie die Aufgabe, die ein Album nunmehr zu erfüllen hat:
Es erzählt Geschichten. So wie sich im vorigen Satz eine Wiederholung von Wörtern
offenbart, ergeben sich im Kopf des Betrachters Erinnerungen, die nicht nur in
Zeitlupe auftauchen können. Man ist geneigt, der guten alten Zeit Tribut zu zollen.
Leider sind zahlreiche von Sokol herrlich karikierte Persönlichkeiten der Fernsehunterhaltung
nicht mehr am Leben. Der wunderbare Hans-Joachim Kulenkampff etwa, oder der überaus
witzige Hans Rosenthal. Das Durchblättern dieses Albums konfrontiert mich als
eifrigen Fern-Seher mit Geschichten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den
Menschen stehen, die so ungeheuer lebendig aus den Seiten strahlen. Des weiteren
ist die satirische Darstellung der Hausordnung des ORF durch Erich Sokol und den
Texter Rudolf Bayr als glänzendes Stück Historie zu erwähnen.
Eine Besonderheit eines Albums ist wohl, dass es jeder Betrachter aus seiner
absolut persönlichen Warte begutachten kann. Niemand kann sich dem Charisma
der Bilder entziehen. Die Cartoons aus der Ur-Zeit des ORF, wo Teddy Podgorski
der "Frontmann" schlechthin war, geben einen Einblick in die Untiefen des Getriebes,
aus dem letztlich der nunmehr existierende ORF wurde. Die Probleme des jetzigen
ORF sind bekannt: Das Privatfernsehen zieht viele Seher weg von den Programmen,
welche einst 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung in ihren Bann zogen. Bei den
Dutzenden Sendern fällt es manchmal schwer, eine Entscheidung zu treffen. Die
Konkurrenz hat dem ORF stark zugesetzt, und es wäre nunmehr an der Zeit, endlich
Nägel mit Köpfen zu machen. Dies kann nur geschehen, indem die Verantwortlichen
den "Sendungsauftrag" wahrnehmen und nicht eine Orientierung an nachbarschaftlichen
Konzepten abkupfern. Fern-Sehen kann eine wunderbare Sache sein. Erich Sokol
beweist mit seinen großartigen
Karikaturen,
wie viel Potenzial insbesondere in der Vergangenheit im ORF auftrumpfte. Von
den großen TV-Shows blieb
beispielsweise nur noch "Wetten, ...dass?" übrig; ein Format, das sich der zweifelhaften
Modernität anpassen musste und seitdem auch nicht mehr das ist, was es mal war.
Die Kommerzialisierung hat dazu geführt, dass absurderweise gerade die spezifischen
Eigenheiten des ORF deren Opfer werden. Die Abschaffung der "Kunststücke" einerseits
und die Initiierung der seltsamen Sendung "25" andererseits machen deutlich,
wohin der Weg führen mag. Der gute, alte "Club 2" ist etwa in Form von Franz
Kreuzer und Axel Corti im Album erhalten geblieben. Das Fernsehen ist immer
auch ein Spiegel der Zeit; so sind auch die derzeitigen Umstände zu verstehen.
Jedem, der in Erinnerungen schwelgen will, ist "Fern-Sehen" auf
jeden Fall ans Herz zu legen.
(Paiperboy; 11/2002)
Erich Sokol: "Fern Sehen"
Ueberreuter, 2002. 160 Seiten.
ISBN 3-8000-3855-2.
ca. EUR 39,90.
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