Georges Simenon: "Der Mann, der den Zügen nachsah"
Eine folgenschwere
Entgleisung
Kees Popinga, ein biederer
holländischer Familienvater, ist Prokurist der Außenhandelsfirma
"Coster&Sohn"
in Groningen. Eines Tages, kurz vor Weihnachten, trifft er
seinen Juniorchef in einer
Kneipe, wo sich dieser betrinkt, um den am nächsten
Tag bekanntzugebenden Bankrott zu feiern. Davor will er allerdings noch seinen
Selbstmord vortäuschen und mit der Firmenkasse die Gegend verlassen. Er gibt
Kees die Hälfte des Geldes, das er dabei hat und rät ihm, ebenfalls zu
verschwinden.
Am nächsten Tag bleibt Kees zunächst einmal lange im Bett liegen, und alle Nachrichten,
die ihn über den Bankrott und den vorgeblichen Selbstmord seines Chefs erreichen,
scheinen ihn absolut kalt zu lassen. Dann aber erhebt er sich - angeblich um
mit der Polizei in der Firma zu sprechen, tatsächlich begibt sich auf die Reise
seines Lebens, die ihn zunächst nach Amsterdam führt und nach einem mörderischen
Zwischenspiel dort weiter nach
Paris.
In einem kleinen roten Notizbuch, das ihm als Tagebuch dient,
beschreibt Kees Popinga den Verlauf seiner Reise durch die französische
Hauptstadt und auch durch verschiedene soziale Schichten, wobei immer wieder
Bemerkungen zum Fortgang von Ermittlungen und Zeugenaussagen zu Kees' Person
eingeschoben werden, die zeigen, wie unterschiedlich dessen Eigenwahrnehmung und
die Sicht der Leute um ihn herum sind.
Nach und nach entfernt sich der
ehemals gutbürgerliche Mann von seinen angepassten Einbindungen, fühlt sich den
Mitmenschen zusehends überlegen und lässt auch seinem Selbstdarstellungsdrang
die Zügel schießen. So ist seine nächste Gewalttat nicht fern, und bald beginnt
Kees Popinga auch Polizei und Presse mit kleinen Hinweisen zu "unterstützen", da
ihm zunächst niemand in diesem Spiel, in dem es für Kees immer weniger Regeln zu
geben scheint, das Wasser reichen kann. Doch Kommissar Lucas ist ihm auf den
Fersen ...
Nach einem
Selbstmordversuch
endet Popinga in der Psychiatrie.
"Der Mann, der den Zügen nachsah" erschien erstmals im Jahr
1938. Das Werk ist erstaunlich genau in der Charakterzeichnung, besonders, da
Kees die personale Erzählebene stellt und
Simenon
die seelische Dekonstruktion von innen beschreibt.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 10/2004)
Georges Simenon: "Der Mann, der den Zügen nachsah"
(Originaltitel "L'homme qui regardait passer les trains")
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