Farhad Showghi: "Ende des Stadtplans"
Das Alphabet wechselt die Sprache
Die Sätze in Farhad Showghis jüngstem
Buch, einem schmalen Bändchen von nicht einmal 100 Seiten, kommen ganz harmlos
daher. Sie befolgen die grammatischen Regeln, die den Verkehr der Wörter
untereinander reibungslos und unfallfrei gestalten sollen. Die Sätze sind
einfach, oft stenogrammartig verkürzt. Und doch bewegen sich ihre Wörter
jenseits der ausgetretenen Pfade. Straßen, Häuser, Türen, Fenster, Sträucher,
Stimmen, Licht, Dunkel - die immer wiederkehrenden Motive in Showghis Text -
gehen neue, den Leser immer wieder überraschende und irritierende Verbindungen
ein. Denn wir befinden uns am "Ende des Stadtplans", ja, eigentlich schon
jenseits seiner Ränder, dort, wo die Semantik der Wörter noch nicht
kartografisch festgestellt, ihre Bedeutung noch nicht planiert wurde. Ganz im
Gegenteil wuchern die Wörter hier wild aufeinander zu. In diesem Gelände sind
keine festen Wege in Sicht, die dem Leser die Richtung seines Verstehens
diktieren würden. Versetzen wir uns in Skizze 7 aus dem Kapitel "Das Alphabet
wechselt seine Sprache":
"Es wird über Zugluft gesprochen. Über Zeitgefühl. Wenn die Sprache wechselt.
Eine Zahl, eine Geste und ein anderes Wort haben weh getan. Ein Fußweg, ein
Werktag, leicht überall oder stempelt noch
Schafe hinter Isfahan. Eine klare
Stimme stellt Zedern
auf. Der Vater bewegt sich. Über viele Jahre. Mit einer Schale Obst über Schlafterrassen.
Oder geht mit der Freude, die das Kind an ihm hatte, in sein Büro." (S.66)
Showghis
literarisches Verfahren ist natürlich nicht neu. Seit der so genannten
"Literaturrevolution" (man denke etwa an literarische Strömungen wie den
Symbolismus, den Expressionismus oder die "écriture automatique") wird mit
Sprache auf wunderbarste Weise experimentiert. In dieser Tradition, so meine
ich, stehen die Prosaskizzen Showghis: auch ihnen geht es um das Aufbrechen
sprachlicher Normierung und Normalität. Statt klar definierte
Bedeutungseinheiten zu liefern, überantwortet der Text den Leser seinen
Assoziationen.
Ein solches Programm zu verfolgen heißt, hohe Ansprüche zu
stellen: an die Tragfähigkeit der subkutanen verbalen Bedeutungszusammenhänge
ebenso wie an die Bereitschaft des Lesers, sich auf eine derart verzeichnete
Sprache einzulassen. Nicht immer löst dabei der Autor die beschriebenen
Ansprüche überzeugend ein: manche Bilder wirken auf mich überkonstruiert, manche
Wiederholungen entwickeln eine wohl nicht gewollte Penetranz (siehe etwa die
Skizzen "Seekrankenkasse", S.19 ff). Über weite Strecken aber verwirrt der Text
den Leser in ein höchst anregendes Sprach- und Assoziationslabyrinth, einen
wunderbar blühenden sprachlichen Irrgarten, dessen unzählige Winkel Berührendes
und Überraschendes, Abenteuerliches und Kaumerwartetes für den hellsichtigen
Leser bereithalten.
(alexart; 12/2003)
Farhad Showghi: "Ende des
Stadtplans"
Gva & Frieden, 2003. 94 Seiten.
ISBN
3-905591-67-7.
ca. EUR 17,-.
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Farhad Showghi, geboren 1961 in Prag, verbrachte seine Jugend in Deutschland und im Iran. Er lebt und arbeitet als Psychiater und Autor in Hamburg. Für "Ende des Stadtplans" hat Farhad Showghi ein Arbeitsstipendium der Stiftung Niedersachsen ("Das zweite Buch") erhalten. Im Jahr 2003 hat er beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt den 3-sat-Preis gewonnen.