Tom Sharpe: "Bloody Mary" und "Der Einfaltspinsel"


"Bloody Mary":
Lady Mary Evans, die exzentrische Witwe des früheren Rektors vom Porterhouse College glaubt, dass ihr Gatte einem infamen Komplott seiner Kollegen erlegen sei. Sie setzt alles daran, die Wahrheit herauszufinden ...

Nach den Ereignissen in "Schwanenschmaus in Porterhouse" und dem unwürdigen Ableben von Sir Evans hat Skullion die Position des Masters übernommen und verbreitet von seinem Rollstuhl aus in der finanziell dahinvegetierenden Lehranstalt immer noch Angst und Schrecken unter den Professoren, weswegen die Suche nach einem möglichen Ersatz auch noch nicht gänzlich aufgegeben wurde. Während der Dekan damit beschäftigt ist, besucht der Schatzmeister eine Seminarreihe zur Finanzierung von Bildungseinrichtungen, bei der er von einem überaus seltsamen Amerikaner angesprochen wird, der für eine obskure Firma namens "Transworld Television" arbeitet. Der Leiter derselben, Edgar Hartang, plant nämlich eine Bildungseinrichtung zu finanzieren. Er lädt den Schatzmeister zu sich ein und dieser sieht verblüfft viele Menschen, die Ebenbilder ihres Arbeitsgebers darstellen - was sich später als eine ungute Sache herausstellen soll ...

Als "Transworld Television" mit Hilfe eines Ü-Wagens und eines kompletten Filmteams versucht, einen Bericht an den zurückgezogen lebenden Arbeitgeber zu schicken, werden denkmalgeschützte Bausubstanz und die Nerven des Dekans nachhaltig geschädigt. Und Mr. Hartang sieht sich plötzlich Schadenersatzforderungen gegenüber, die sein Leben verändern sollen. Der Mann, der durch Finanzierung von Bildungseinrichtungen Mafia-Gelder waschen wollte, bekommt in seinem Leben eine Generalreinigung, die sich gewaschen hat.

Zur gleichen Zeit, als das Filmpersonal seinem Chef ein Ei ins Nest legt, kommt mit einem neuen Stiftungsdozenten ein Kuckucksei nach Porterhouse. Er soll im Auftrag von Lady Evans herausfinden, wie genau Sir Godber den Tod gefunden hat und wer letztendlich dafür verantwortlich war. Dieser mehr oder weniger freiwillige Detektiv bekommt schnell wesentlich mehr heraus, als er erwartet hat - und sicherlich mehr, als Lady Evans erhofft hatte.

Gelage, Besäufnisse, Katastrophen ohne Ende, Verhöre jenseits jeder Erwägung von Menschenrechten - Tom Sharpe hat mal wieder voll zugeschlagen und lässt die Lachtränen fließen, wobei in der Hörspielversion die gekürzte Fassung leider einige gute Momente unter den Tisch fallen lässt.


"Der Einfaltspinsel":
Henry Wilt hat es nicht leicht: Seine Lehrerkollegen an der Schule rauben ihm den letzten Nerv, seine vier heftig pubertierenden Töchter tanzen ihm auf der Nase herum, und dann kommt seine Frau Eva auch noch auf die Idee, der verhassten Verwandtschaft in Amerika einen Besuch abzustatten. Das ist einfach zu viel auf einmal, und so ist Henry wild entschlossen, all diesen Zumutungen ein Ende zu bereiten. 


Henry Wilt ist wieder unter uns. Nach einer mehrjährigen Pause hat Tom Sharpe seine bekannteste Romanfigur für ihr viertes Abenteuer antreten lassen und diesmal werden die Ereignisse in jene Zeit gelegt, von welcher Lehrer nach allgemeiner Ansicht viel zu viel haben - die Ferien. Nur wird es nicht der übliche mehr oder weniger geruhsame Familienausflug an einen See mit Eva und den Vierlingen sein, denn Evas Verwandtschaft in Amerika hat die Wilts eingeladen, und mit einer Spekulation auf eine ausgiebige Erbschaft von den kinderlosen Anverwandten ist Eva sofort Feuer und Flamme. Wenn da nur nicht Henry wäre, der diese Verwandten nicht besonders leiden kann - was durchaus auf Gegenseitigkeit beruht - und der aber trotzdem nicht einfach zu Hause bleiben soll, da dies Evas Vorstellungen von Familie widerspricht.

Henry kann auf neuerlichen Kontakt mit der amerikanischen Verwandtschaft allerdings gut verzichten und so entwickelt er einen Plan, der dafür sorgt, dass Eva darauf besteht, dass er in England bleibt. Und dies ist ihm mehr als recht, denn er möchte gerne mit einem Rucksack und festem Schuhwerk das "alte" England erlaufen und dafür kommt ihm die sechswöchige Abwesenheit der engeren Familie gerade gelegen. Kaum hat der Flieger abgehoben, hebt Henry etwas Bargeld ab und macht sich sofort auf den Weg. Ohne Plan, ohne Karten und ohne unnötigen Ballast.

Während Henry auf seiner Entdeckungsreise ist, entwickelt sich die Strohwitwe Eva samt Anhang schnell zum Schrecken ihrer Mitmenschen. Leidtragende sind innerhalb kürzester Zeit die Stewardessen, die Sitznachbarn, die Zollbeamten, das FBI, die DEA und natürlich die lieben Verwandten, die allerdings selbst sehr interessante Pathologien aufweisen, die die Vierlinge im Verlauf ihres Besuchs hemmungslos bloßstellen. So wird die Reise etwas kürzer als geplant und als Eva zurück nach England kommt, ist sie entsetzt, in ihrem Haus keinen Henry vorzufinden.

Dieser ist über einige Umwege - über deren Verlauf er gar nichts weiß - von einer Ecke Englands in eine ganz andere - heimischere - verfrachtet worden, wo er zunächst aus Platz- und Ärztemangel in der geriatrischen Abteilung eines Krankenhauses aufwacht, und sich amnesisch stellt, da er beim Aufwachen Inspektor Flint und später noch zwei Beamte des CID vorfindet. Auch anlässlich Evas Auftauchen erweist sich diese Taktik zunächst als die beste.

Nach der langen Pause wirkt dieser Roman stellenweise sprachlich und konzeptionell etwas steif, was die Leser am Ende etwas unbefriedigt lassen dürfte. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass die Auflösungen der Einzelhandlungsstränge ein wenig schnell und oberflächlich erzählt sind, so dass der Roman auch in technischer Weise nicht ganz zufriedenstellend endet. Hoffentlich schreibt Tom Sharpe bald wieder, damit er besser in Schwung kommt. Im Moment scheint seine Feder etwas eingerostet zu sein.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 01/2005)


Tom Sharpe: "Bloody Mary"
(Originaltitel "Grantchester Grind")
Goldmann.
Aus dem Englischen von Hans M. Herzog.
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"Der Einfaltspinsel"
(Originaltitel "Wilt in Nowhere")
Aus dem Englischen von Hans M. Herzog.
Goldmann, 2005. 256 Seiten.
ISBN 3-442-30683-3.
ca. EUR 22,60.
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Tom Sharpe, Jahrgang 1928, zählt seit seinem sensationellen Romandebüt "Puppenmord" zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Autoren Englands. Seine Romane werden in viele Sprachen übersetzt. In England geboren, studierte Tom Sharpe in Cambridge und arbeitete lange Zeit in Südafrika.

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Puppenmord"

Henry Wilt ist Hilfslehrer an einer Berufsschule auf dem platten Lande, beruflich und im Eheleben tritt er auf der Stelle. Der Mittdreißiger hat es seit zehn Jahren mit künftigen Gasinstallateuren, Maurern und Fleischern zu tun, denen er die hohe Literatur näher bringen soll. Daheim erwartet ihn seine Frau Eva, sexuell unbefriedigt und schnell für alle möglichen modischen Ersatzbeschäftigungen zu begeistern: Judo, Töpfern, Meditation. Schließlich, an einem ihrer erträglicheren Tage und durch nie zuvor gehörte Libertinage-Phrasen aufgestachelt, ist sie fest entschlossen zur Emanzipation von ihrem Gatten und lustlosen Bettmuffel. Dass dies Wilt zum Äußersten treibt, ist nur allzu verständlich. Der Pechvogel probt den Aufstand und Mord an einer Sexpuppe, aber das hat äußerst peinliche Nebenwirkungen ... (Goldmann)
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"Schwanenschmaus in Porterhouse"
Der neue Rektor von Porterhouse College plant Ungeheuerliches: Porterhouse soll nicht nur wieder ein höheres Bildungsniveau erreichen, es sollen auch noch Studentinnen zugelassen werden. Doch erst die geplante Entlassung des Oberpförtners Skullion bricht dem Rektor das Genick, denn mit Skullion nahm es noch keiner auf ... (Goldmann)
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