Helga Amesberger, Katrin Auer, Brigitte
Halbmayr (Hrsg.):
"Sexualisierte Gewalt"
Weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern
Die Demütigung, sich vor Männern
komplett nackt auszuziehen, war eine schreckliche Erfahrung einer Überlebenden
bei ihrer Ankunft in Birkenau. Der Versuch dieser Frau jüdischer Herkunft, sich
vor den Blicken der SS-Männer durch Bedecken ihrer intimsten Körperstellen und
durch Wegdrehen zu schützen, wurde unmittelbar von einem SS-Mann sanktioniert,
er beschimpfte sie als dreckige Saujüdin. Dies ist nur eines von vielen
Beispielen sexualisierter antisemitischer Gewalt in verbaler Form.
Beim
Lesen dieser Studie sind Pausen immer wieder nötig, um das Gelesene halbwegs
verdauen zu können, man ist teilweise erstarrt und kann die Hilflosigkeit und
das Ausgeliefertsein der erzählenden Frauen ansatzweise erspüren.
Das vorliegende Buch bietet eine umfangreiche historische und soziologische
Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt gegen Frauen in NS-Konzentrationslagern.
Dabei geht ganz klar hervor, dass sexualisierte Gewalt nicht Sexualität ist,
sondern Gewalt. Der Begriff beinhaltet aber nicht nur körperliche Gewalt, sondern
auch Grenzüberschreitungen wie Verletzung des Schamgefühls, verbale Erniedrigung
und psychische Nötigung zu sexuellen Handlungen. Sexualisierte Gewalt gehört
zum Grundinstrumentarium von Repression, Verfolgung und Terrorisierung. Die
Gräuel des Nationalsozialismus passierten sicherlich in erster Linie durch Männerhand,
doch ohne die aktive und passive
Mitwirkung
von Frauen hätte auch dieses System nicht funktionieren können. Eine
wahrlich bedrückende Realität: Frauen waren nicht nur Opfer, sondern Zuschauerinnen,
Mittäterinnen und Täterinnen.
Daran hat sich bis
heute kaum etwas verändert. Frauen wachsen in vielen Bereichen mit der Bedrohung
und auch
Erfahrung
von sexualisierter Gewalt auf und müssen mit der Tatsache zurecht kommen, dass
erlittene Gewalt nicht geglaubt, abgewertet und verharmlost wird. Nicht nur
Männern, sondern auch Frauen weisen den Opfern oft genug selbst die Schuld
zu.
Die Lebens- und Leidensgeschichten der Frauen tragen dazu bei, den
Stigmatisierungen und dem Unverständnis entgegenzuarbeiten und Tabuisierungen
von sexualisierten Gewalterlebnissen aufzubrechen. Die Bewältigungs- und
Verarbeitungsstrategien sowie Abwehrmechanismen betroffener Frauen werden klar
herausgearbeitet. Begangene Verbrechen und Grausamkeiten werden aufgezeigt,
Zwangsumstände ausführlich beleuchtet und Ausmaße, Formen und Folgen von
sexualisierter Gewalt können erstmals eine breite Öffentlichkeit erreichen und
eine Basis für Diskussion und Enttabuisierung bilden.
Ein wichtiges
Forschungsprojekt, das von den Autorinnen mit viel
Empathie, Fingerspitzengefühl
und fachlicher Kompetenz behandelt wird, beleuchtet ein Thema, das in der
Öffentlichkeit und Wissenschaft immer wieder von gesellschaftlichen Tabus
blockiert wird und unglaublich betroffen macht.
(Margarete; 05/2004)
Helga Amesberger, Katrin Auer, Brigitte
Halbmayr (Hrsg.):
"Sexualisierte Gewalt"
Mandelbaum, 2004. 360
Seiten.
ISBN 3-85476-118-X.
ca. EUR 24,90.
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Die Autorinnen:
Helga Amesberger,
Ethnologin und Soziologin. Seit 1993 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Inst. f.
Konfliktforschung (IKF), u.a. beim "ZeitzeugInnen-Projekt Mauthausen".
Gründungsmitglied der ARGE Wiener Ethnologinnen. Publikationen: "Vom Leben und
Überleben - Wege nach Ravensbrück", 2001. "Rechtsextreme Parteien - eine
mögliche Heimat für Frauen?", 2002.
Katrin Auer, Politikwissenschafterin und
Historikerin. Mitarbeiterin des Ausstellungsprojektes "wege nach ravensbrück".
Seit 2000 am IKF u.a. beim "ZeitzeugInnen-Projekt Mauthausen" tätig.
Brigitte
Halbmayr, Soziologin und Politikwissenschafterin, seit 1992 wissenschaftliche
Mitarbeiterin am IKF, u.a. beim "ZeitzeugInnen-Projekt Mauthausen"; Seit 1995
Zusammenarbeit mit der österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück.
Publikationen: "Vom Leben und Überleben - Wege nach Ravensbrück", 2001.
"Rechtsextreme Parteien - eine mögliche Heimat für Frauen?", 2002.