Vikram Seth: "Zwei Leben"

Porträt einer Liebe


Zwei Leben - aber viel mehr als zwei Bücher

Vikram Seth gehört zu den wenigen im deutschen Sprachraum bekannten indischen Autoren. Sein Buch "Zwei Leben" ist im Fischer Verlag erschienen, und es ist zu hoffen, dass ihm die Aufmerksamkeit zuteil wird, die diesem vielschichtigen Buch angemessen ist.

Hinter dem schlichten Titel "Zwei Leben" vermutet man zuerst eine Biografie und wird in diesem Eindruck durch den geschickt gewählten Untertitel "Ihr Leben verlief fast unbemerkt - doch ihre Geschichte ist unvergesslich" noch bestärkt. Doch was sich letztendlich in den 532 Seiten versteckt, übertrifft alle Erwartungen.
Vor dem Hintergrund der realen Biografien von Vikram Seths indischem Onkels Shanti und seiner deutsch-jüdischen Tante Henny ersteht plastisch das Berlin der 1930er-Jahre. Dort studierte Shanti Medizin. Dort lernte er seine spätere Frau Henny kennen. Dort wird er, wie so viele, die "anders" aussehen oder denken, Opfer des schleichend ansteigenden Terrors. Weitsichtig erwirbt er alle notwendigen Qualifikationen, um auch in England praktizieren zu können und emigriert 1938 dorthin. Auch Henny gelingt die Flucht nach England. Doch ihre Mutter und Schwester werden ermordet. Einzig ihrem Bruder gelingt auch die Flucht.

Anhand des leider nur teilweise erhaltenen Briefwechsels zwischen Henny und ihren deutschen Verwandten und Freunden stellt Vikram Seth Fragen, die bis heute wohl jeden Menschen beschäftigen: Wie konnte es zu dem Massenmord an den Juden kommen? Warum hat niemand etwas unternommen? Welche Schuld trifft den Einzelnen, der gesehen, aber verdrängt oder weggesehen hat?
Dabei überlässt der Autor dem Leser den Versuch, eine Antwort auf diese und viele weitere Fragen zu finden. Die Meinung des Autors zu den geschilderten Geschehnissen und Ereignissen tritt wohltuend in den Hintergrund, so dass sich der Leser vollständig auf die "unbemerkten Leben" einlassen kann.
Die Präzision der Sprache und die Detailfülle, die Vikram Seth serviert, finden ihren Niederschlag auch bei den Dokumenten, die in seinem Buch enthalten sind. Neben den für Biografien obligatorischen Familienfotos finden sich Briefauszüge, Zeitungsausschnitte, Kopien amtlicher Dokumente und vieles mehr. All diese  Dinge der Alltäglichkeit, des Normalen, kontrastieren in starkem Schwarz-Weiß zu den geschilderten Schicksalen und werden noch durch die wechselnden Erzählebenen, Erzählerpositionen sowie sich harmonisch in den Gesamttext integrierenden gelegentlichen Rückblenden verstärkt.
Vikram Seth hat mit "Zwei Leben" das wohl bisher persönlichste und gesellschaftskritischste seiner Bücher geschaffen, welches in seiner Kongruenz aktuell wohl einzigartig erscheint und rege Diskussionen auslösen wird.

(Wolfgang Haan)


Vikram Seth: "Zwei Leben. Porträt einer Liebe"
(Originaltitel "Two Lives")
Aus dem Englischen von Anette Grube.
Fischer.
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Vikram Seth wurde 1952 in Kalkutta geboren. Seine Mutter war die erste Richterin an Indiens Oberstem Gerichtshof. Er studierte in Oxford und Stanford. Für seinen Welterfolg "Eine gute Partie" reiste er zwei Jahre lang durch Indien. 1999 erschien sein gefeierter Roman "Verwandte Stimmen". Vikram Seth lebt in Neu Delhi und Salsbury, England.

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Eine gute Partie"

Savita heiratet Pran, einen jungen Mann, den sie kaum kennt. Die prunkvolle Zeremonie ist noch nicht beendet, da widmet die Mutter der Braut sich schon ihrer nächsten Aufgabe: eine gute Partie für ihre jüngste Tochter zu finden. Denn die schöne Lata wird schon neunzehn, aber der passende Mann muss natürlich der richtigen Kaste entstammen, und hellhäutig soll er auch noch sein. In dieser einfachen Konstellation findet Vikram Seth alles, um dem Leser Indien, seine Tänze und Tränen, vor Augen zu stellen, seine Farben und Stoffe, sein Glück und sein Leid.
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"Verwandte Stimmen"
Michael Holme ist Geiger in einem Londoner Streichquartett. Eines Abends taucht die Pianistin Julia hinter der Bühne auf, Michaels unvergessene große Liebe. Auch sie liebt ihn noch, hat aber seit Jahren einen Ehemann und einen kleinen Sohn. Nach einigen glücklichen Tagen ahnt Michael, dass er Julia ein zweites Mal verlieren wird ...
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Noch ein Buchtipp:

Rana Dasgupta: "Delhi. Im Rausch des Geldes"

Im Dezember 2000 zieht Rana Dasgupta nach Delhi, weil dort die Frau lebt, die er liebt - und landet in einem Moloch, der direkt der Fantasie von Zola, Brecht oder Scorsese entsprungen sein könnte. Die wirtschaftliche Öffnung Indiens im Jahr 1991 hat Kräfte entfesselt, die seither mit der Gewalt einer Naturkatastrophe über die Stadt und ihre Einwohner hinwegfegen: Kapitalistische Räuberbarone stecken aggressiv ihre Claims ab, Bargeld wird lastwagenweise durch die Straßen gekarrt, Premierminister Manmohan Singh, der einst die Liberalisierung des Landes angestoßen hat, lässt beim lokalen "Lamborghini"-Händler anrufen. Er kann nicht mehr schlafen, seit die Nouveaux Riches vor seiner Residenz ihre Luxuskarossen ausfahren.
Mit dem Einfühlungsvermögen und der Sprachgewalt eines großen Erzählers schildert Dasgupta die Welt hinter den Fassaden der scheinbar endlos nach oben weisenden Wachstumsraten. Er trifft Milliardäre und Slumbewohner, Drogenhändler und Metallhändler, Sozialarbeiter und Gurus und stellt fest, dass in der Heimat seiner Vorfahren heute vor allem eines regiert: das Geld. Ein eindrucksvolles Porträt einer Metropole im Rausch, das zugleich einen Vorgeschmack darauf gibt, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte. (Suhrkamp)
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