Habib Selmi: "Bajjas Liebhaber"
Roman aus Tunesien
Schluss mit dem Erinnern! Er bemüht
sich, an gar nichts zu denken und Fassung zu bewahren. Es gelingt ihm nicht. Er
gibt nicht auf, wieder und wieder versucht er es. Doch alles umsonst. Nun
streckt er beide Hände vor, so weit es geht. beinahe berührt er Makkis Schulter.
Danach hebt er die Arme und fuchtelt in der Luft herum. Sein Oberkörper neigt
sich hin und her, nach links, nach rechts. (Seite 203)
In glühender
Hitze und bei schlimmer Kälte, tagaus, tagein, sitzen vier alte Männer abseits
ihres Dorfes unter einem allein stehenden hohlen und morschen Baum, dem "Ölbaum
der Hunde". Dieser tägliche Treffpunkt liegt am Weg zum
Friedhof.
Wenn
sie nicht Leichenzüge beobachten, schweifen ihre Gedanken in die Vergangenheit.
Der eingebildete Burni, sein Schwager, der Pedant Machmûd, und die beiden armen
Schlucker Tajjib und Makki kennen sich seit Jahrzehnten und spielen im Angesicht
der Vergänglichkeit und des nahen Endes ihrer Lebenszeit wie Kinder im Sand,
necken sich, stöbern
Skorpione auf und prahlen mit Nichtigkeiten.
So
könnten noch viele Tage vergehen, würde nicht Aidi aus dem Nachbardorf
ausgerechnet den kranken und gebrechlichen Machmûd beschuldigen, seine Schwester
Bajja belästigt zu haben. Bajja ist seit Jahren verwitwet, sicherlich nicht mehr
ganz jung, wahrscheinlich nicht einmal besonders hübsch; doch ab nun beherrscht
sie die Gedanken der alten Männer. Später wird sie Makkis Sohn, einen
Taugenichts und Hochstapler heiraten, mit ihm nach Deutschland ziehen und die
Greise um Hilfe bitten ...
Alle neunundzwanzig Kapitel, meist kurze Szenen aus dem täglichen Beisammensein,
spielen am selben Schauplatz, unter dem uralten Olivenbaum, der trotz oder wegen
seines unbekannt hohen Alters ein Gegenstück zur Zeitlichkeit der Greise ist.
Bajja, die Titelheldin, kommt kein einziges Mal zum Ölbaum, ist aber in Gedankenwelt
und Gespräch der alten Männer stets präsent. Nur aus dem Mund der alten Freunde,
deren eigene Erfahrungen nur bis in die nächste größere
Stadt reichen, erfährt der Leser, wie diese Frau versucht, außerhalb ihrer
vertrauten Welt, in der Ferne, Fuß zu fassen.
Das Geschehen allein aus der Perspektive der wenig wissenden und
doch ständig mutmaßenden Alten zu betrachten, diese kunstvolle, theatralische
Inszenierung, macht aus den Romanfiguren Medien. Sie führen die Leser in die
erzählte Welt, den Roman aus Tunesien.
Habib Selmi (geboren 1951), der bisher fünf Romane und zwei Bände mit Erzählungen
veröffentlicht hat, gilt als einer der wichtigsten tunesischen Autoren arabischer
Sprache. Seit 1983 lebt und lehrt der Dozent für
arabische
Literatur in Paris. "Bajjas Liebhaber" ist sein erstes Buch in deutscher
Übersetzung.
(Wolfgang Moser; 05/2006)
Habib Selmi: "Bajjas Liebhaber"
Aus dem
Arabischen von Regina Karachouli.
Lenos Verlag, 2006. 219 Seiten.
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