Viktor E. Frankl, Elisabeth Lukas: "Der Seele Heimat ist der Sinn"

Logotherapie in Gleichnissen von Viktor E. Frankl
Zusammengestellt und kommentiert von Dr. Elisabeth Lukas


"Vielleicht geht die geistige Person mit dem Absterben ihres leiblichen Instrumentes in eine Welt ein, in der sie keines Instrumentes mehr bedarf, weil alles ringsum voller Musik ist."

(Viktor E. Frankl; Schlusswort aus "Der Pianist und sein Klavier")

Dieses Buch führt den Leser auf bekömmliche Weise in eine ganz andere Art von Seelenwissenschaft ein als für gemeinhin gewöhnlich ist. Nämlich in eine Wissenschaft, die den Begriff der Seele als etwas Geistiges mit Überweltbezug auffasst, anstatt sie, so wie es in den Lehren Sigmund Freuds und seiner Schüler der Fall ist, auf biologisch bestimmte Instinkte zu reduzieren. Frankls Menschenbild orientiert sich an der religiösen Vorstellung eines leiblich-seelischen Wesens, dem sein Geist eingehaucht worden ist. Ein Geist, der übrigens weder mit Intellekt, noch mit Intelligenz gleichzusetzen ist, sondern viel mehr verstanden sein will als eine eingeborene, jedoch nicht bloß schlicht vererbte Begabung zur Transzendenz. Diese auf ein Überschreiten der Grenzen sinnlicher Erfahrungen abzielende und solcherart himmelwärts gerichtete Tendenz in einer ansonsten wie jedes Tier nach biologischen Prinzipien konstruierten leib-seelischen Beschaffenheit der Gattung Mensch macht den besonderen Adel des Geisteswesens aus. Und darin liegt dann auch der individuell herauszubildende Unterschied zu allen anderen Dingen und Geschöpfen dieser Erde. Es ist die Fähigkeit sich gleich einem Flugzeug in die Lüfte zu erheben, führt Frankl in seinem Gleichnis "Das Flugzeug in den Lüften" aus, und unterscheidet hiermit das spezifisch Menschliche von allen anderen Lebensarten, denen es an geistiger Flugtauglichkeit mangelt. Wahres Menschentum bezeugt sich erst in der Loslösung aus der Erdenschwerkraft - davon sind Frankl und Lukas überzeugt.

Gleich auf den ersten Seiten des Buches verdeutlicht sich dem Leser ein von der üblichen Seelenheilkunde abweichender Stil, der sich nicht auf eine materialistische Wissenschaft von den Dingen und schon gar nicht auf eine klassische Triebtheorie festlegen lässt, von Verdrängung und frühkindlicher Prägung spricht, sondern stattdessen nach weltlichen und überweltlichen Sinnbezügen fragt. Viktor E. Frankl, Begründer der Logotherapie, untersucht den leidenden Patienten nicht auf Triebblockaden oder unbewältigte Vergangenheitstraumata hin. Nach seiner Auffassung ist der Mensch auch nicht in erster Linie triebhaft, sondern wertstrebig, und sein Lebtag lang auf der Suche nach Lebenswerten, die Sinn haben. Wer hingegen einzig nur triebhaft ist, ist wie jeder Triebtäter von kranker Natur und solcherart eine wohl gar unwürdige Kreatur, aber gewiss nicht der Archetyp zur Vorlage für eine Anthropologie mit Allgemeingültigkeitsanspruch. Man erahnt aus einer kritischen Reflexion der angedeuteten Gedanken Frankls unversöhnliche Gegnerschaft zur klassischen Psychoanalyse nach Sigmund Freud. Dieser macht Frankl peinliche Irrtümer und ganz allgemein ein Unverständnis der Menschennatur zum Vorwurf, denn das geistige Leben bestehe nicht aus Lust und Trieb und wer alle menschlichen Motive aus der "Unterbodenperspektive" unbewusster Triebe deute, der gleiche einem Kanalräumer, der über seine Arbeitswelt nicht hinausblicke und sich trotzdem anmaße die Welt zu erklären.

Frankl, gestorben 1997, liebte es zu seinem Publikum in Gleichnissen zu sprechen. Eine Sprechweise von oft poetischer, zuweilen mystischer Tonlage, die seinem tief religiösen Naturell gerecht wird, doch, bei aller Eindrücklichkeit, den Leser gelegentlich vor Verständnisprobleme stellt. Dem wird in dem vorliegenden Buch Rechnung getragen. Elisabeth Lukas hat die jeweils immer nur relativ kurzen, doch dafür umso tiefgründigeren Gleichnisse nicht nur liebevoll zusammengestellt, sondern auch allemal mit Geschick kommentiert, so dass das Dunkle in Frankls Seelenheilkunde in der Aufhellung durch einen verständigen Intellekt selbst für den weniger geübten Betrachter einsichtig wird. Wobei es jetzt als irgendwie unangemessen zu erachten ist, so einfach und salopp von bloßer Seelenheilkunde zu sprechen, was all zu sehr an diverse psychotechnologische Lebensratgeberliteratur gemahnt, wie sie sich gar viel versprechend in den Regalen der Buchhandlungen häuft und die mit Frankls Schrifttum letztlich nicht mehr gemein hat, als den (oftmals fadenscheinigen) Anspruch den Menschen mittels der Verabreichung schlauer Tipps und Tricks zu seinem irdischen Heil zu geleiten. Nein, denn diese Sammlung Franklscher Gleichnisse ist keineswegs auf Psychologie und schon gar nicht auf modische Lebensbewältigung sowie in der Psychoszene übliche Seelenklempnerei reduzierbar, sondern ist in vieler Hinsicht viel mehr als dieses, nämlich so denn auch ein Buch der Weisheit. Wir wissen, dass Frankl jede Art von Reduktionismus als eine nihilistische Entwertungstendenz höchsten Grades ablehnte und so darf es nicht überraschen, wenn in seiner Wissenschaft und somit auch in dieser Schriftensammlung die Frage nach höheren, wesentlich außermenschlichen Sinninstanzen und einem Geistsein nach dem Leben zur Thematisierung gelangt. Wozu sich die Poetik des Gleichnisses wie ideal anbietet, denn angesichts von Sinnwelten, die über oder nach unserer biologischen Existenz sind, weiß der rationale Verstand nach Wittgensteins Diktion des Nichtbesprechens von Unaussprechlichem nur noch zu schweigen.

Selten noch hat der Rezensent ein tröstlicheres Buch in Händen gehalten. Die Texte vermitteln einen Eindruck von Sinn und Übersinn, von personaler Freiheit, erlangt über die Souveränität der geistigen Person. Der von einer dominierenden psychoanalytischen Weltsicht zu einem, mit normenhörigem Über-Ich ausgestatteten, Triebvieh erniedrigte Mensch, wird wieder in seiner Würde als Abbild eines Begriffs von Göttlichkeit hergestellt. Der Mensch konstituiert sich als geistige Person bereits zeitlebens in einem Jenseits der Leiblichkeit und Sinnlichkeit. Frankls gleichnishafte Vision von Ewigkeit versöhnt mit der Vergänglichkeit des Lebens. Und Zeitlichkeit führt hin zur Krönung einer Lebensernte. Vergänglichkeitsbewältigung ist von zentraler Bedeutung in Frankls Seelenheilkunde, denn der Mensch ist dazu geboren in seiner Vergänglichkeit zu einem vollendeten Leben zu finden. Frankls Gleichnisse ergeben in Summe ein existenziell berührendes Buch, das mehr als eine bloße Lektüre für kurzweilige Stunden seiend, so manche Gemütsverstimmung heilen hilft und darüber hinaus sehend macht für die hoffentlich vorübergehende Wertblindheit in den Bestrebungen eines zur bloßen Daseinsironie abgeklärten Gemeinsinns unserer Tage.

(Harald Schulz; 10/2005)


Viktor E. Frankl, Elisabeth Lukas: "Der Seele Heimat ist der Sinn"
Kösel, 2005. 220 Seiten.
ISBN 346636678X.
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Zum 100. Geburtstag von Viktor Frankl am 26. März 2005 erschien diese Neuausgabe, erstmals ergänzt um die "Zehn Thesen über die Person". (Deuticke im Zsolnay Verlag)
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Band 1 der Gesammelten Werke mit dem thematischen Schwerpunkt des Konzentrationslagers und der psychologischen und philosophischen Probleme der NS-Zeit und ihrer Folgen enthält den Text "Trotzdem Ja zum Leben sagen" / "Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager" sowie erstmalig aus dem privaten Nachlass veröffentlichte Briefe, die Frankl unmittelbar nach seiner Befreiung verfasst hat. Biografische Erläuterungen und historische Zeitdokumente ergänzen den Band. (Böhlau)
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Viktor E. Frankl hat sich in der Entwicklung der "dritten Wiener Schule der Psychotherapie" von der Philosophie und den großen Philosophen seiner Zeit inspirieren und beeinflussen lassen. Als Arzt und Philosoph hat er die seelenheilkundliche Bedeutung der Philosophie als liebende Suche nach der Weisheit in das medizinische und therapeutische Feld hineingetragen. Die "sinnzentrierte Psychotherapie" wurzelt in der philosophischen Tradition und wurde geformt - und geprüft - durch die Erfahrungen Frankls in den KZs von Auschwitz und Dachau.
Aus Anlass seines 100. Geburtstags werden die philosophischen Wurzeln und ihre Bedeutung für die Arbeit Viktor E. Frankls erstmals explizit besprochen. Das Buch verdeutlicht den philosophischen Hintergrund der Logotherapie und zeigt, wie Frankls "Lehre gegen die Sinn-Leere" von Philosophie und Philosophen inspiriert wurde, wo Frankls Position in der heutigen philosophischen Diskussion einen Beitrag zu leisten vermag und was die Logotherapie der Philosophie zu sagen hat. (Springer)
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