Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: "Was die Seele glücklich macht"
Das Einmaleins der Psychosomatik
Das Einmaleins der Psychosomatik und
was darüber hinaus verweist, darum soll es in nachfolgender Besprechung gehen.
Die Frage nach der glücklichen Seele bezeichnet ein gewichtiges altes Menschheitsthema,
welches schon die Denker der griechischen Antike beschäftigt hat, denen es zu
allererst um die rechte Lebensart zu tun war und die, in ihrem beständigen Heilsstreben,
in einem gewissen Sinne auch medizinischen Denkweisen verpflichtet waren. Und
zu diesem Punkt ergibt sich sogleich ein Klärungs- und Abgrenzungsbedarf: Es
ist nicht die Absicht von Prim. Dr. med. Manfred Stelzig, den Leser mit gelehrten
philosophischen oder wissenschaftstheoretischen Ausführungen zum Wesen der menschlichen
Seele und zum Begriff des Glücks zu konfrontieren. Wem danach zumute ist, der
möge nach
Epikur
greifen. Ziel des Lebens- und Gesundheitsratgebers von Stelzig ist es vielmehr,
eine Anleitung zum Glücklichwerden und zur Rückbesinnung auf "Mich selbst" zu
geben. Das Buch soll nicht mehr aber auch nicht weniger denn ein Geleit auf
dem Weg zum "Selbstwert" und zur "Selbstliebe" sein. Die sicherlich bedeutsame
philosophische Frage nach der Natur der Seele und des Glücks ist eben nicht
Gegenstand des Buches. Stelzig geht in dieser Hinsicht von einem unhinterfragten
Alltagsverständnis von Seele und Glück aus, welches gewiss zwar diffus, jedoch
jedermann eine immer schon selbstverständliche Begrifflichkeit ist. Im Grunde
ist es eine ausgemachte Sache, dass jeder weiß, wovon die Rede ist.
Was das Gebot einer hinreichend praktizierten Psychohygiene betrifft, muss aktuell
diagnostiziert werden: Mangels Achtsamkeit im Umgang mit der seelischen Selbstbefindlichkeit
befinden sich heutzutage viele Zeitgenossen in einem
Zustand
selbstverschuldeter Unmündigkeit, woraus für den Einzelnen nur allzu leicht eine psychosomatische
Krise resultieren kann. Diesen Zustand fahrlässiger Ich-Praxis gilt es mit einem
sachlich fundierten Appell an die Selbstverantwortlichkeit des Menschen zu überwinden.
Ziel ist es, den an seinem Wohlergehen Interessierten zum Herrn im eigenen Seelenhaushalt
zu machen. Dafür ist dieses Buch letztlich geschrieben.
Stelzig erläutert, dass Erkenntnis und Erfahrung der Einheit von Leib und Seele
in Begrifflichkeiten der Psychosomatik nicht unbedingt immer nur als alarmierende
Symptomatik bedrohlicher Erkrankungen zu verstehen sind, sondern als generelle
Naturbestimmung eines jeden Menschen. Wenn ein Mädchen schamhaft errötet, und
wenn einem Politiker in der Bedrängnis Schweißperlen von der Stirn kollern,
so ist das beide Male ein Zeichen für das organische Sichtbarwerden von innerlichen
Gemütsregungen. Alles menschliche Leben ist also in seiner äußerlichen Ausdrucksvielfalt
schlechthin psychosomatisch, und dementsprechend bedeutsam sollte uns diese Thematik
sein. Nichtsdestotrotz wird sie in Österreich (und das gilt wohl genauso für
die Nachbarländer der Alpenrepublik) immer noch relativ stiefmütterlich behandelt.
Stelzig hofft, mit seinem Buch eine diesbezügliche Trendwende einleiten zu können
bzw. schon vorhandene Pro-Tendenzen zu verstärken.
Stelzig verschweigt in seinem Buch die Problematik nicht, die mit einer verstärkten
Zuwendung der Ärzteschaft zu psychischen Behandlungsmethoden tangiert ist. So
ist der niedergelassene Arzt dabei genötigt, auf eigene Kosten, und das mehr
oder weniger in seiner kärglich bemessenen Freizeit, eine zusätzliche Qualifikation
zu erwerben, die sich dann - psychologische Betreuung ist immens zeitaufwändig
- in Zeiten kapitalintensiver Apparatemedizin für ihn in ökonomischer Hinsicht
nicht einmal rentieren wird. Um eine modern ausgestattete Ordination zu finanzieren
bedarf es nämlich einer bestimmten Mindestumsatzhöhe pro betrieblicher Zeiteinheit, und so kann sich der Arzt einer
gewissen Tendenz zur Fließbandabfertigung von Patienten aus betriebswirtschaftlichen
Zwängen nur schwerlich verweigern. Für längere einfühlsame Gespräche mit dem
Patienten bleibt ihm sodann kaum die dafür nötige Zeit, und nur wenige Kunden
werden bereit sein, einem Allgemeinmediziner für eine einstündige Psychotherapie
EUR 150,- zu bezahlen. Der ökonomische Zwang zur kostendeckenden Bewirtschaftung
der technisch modern ausgestatteten Ordination erweist sich somit vorweg als
"Feind" psychotherapeutischer Behandlungsmethoden. Einen Ausweg aus der ökonomisch
vermittelten Selbstblockade sieht Stelzig in einer grundlegenden Umorientierung
zur Psychotherapie und in einer Haltung verständiger Wachsamkeit der Mediziner
für psychosomatische Symptome bei gleichzeitig zweckmäßiger Einbindung des einzelnen
Arztes in ein arbeitsteiliges Netzwerk, womit es ermöglicht sein sollte, psychosomatische
Fälle vom ersterkennenden Mediziner an entsprechende Fachexperten - an Psychotherapeuten
- weiterzuleiten. Überhaupt sollten Krankheitsbilder generell ganzheitlich betrachtet
und therapiert werden. Wichtig sei somit eben ein grundlegendes Bekenntnis zur
Beziehungsmedizin. Und wo ein Wille ist, da findet sich auch ein Weg.
Dass sich gar nicht so wenige
Mediziner diesem Trend zur Beziehungsmedizin mittlerweile nicht mehr
verschließen, ist für Österreich aus der doch schon beachtlichen Zahl
einschlägiger Diplome im Verhältnis zur Gesamtzahl der Ärzte zu ersehen. So
haben rund 14.000 niedergelassene Ärzte zum aktuellen Zeitpunkt (Stand
2004) 3.693
einschlägige Diplome für psychosomatische oder psychotherapeutische Medizin
erworben. Ein erfreulicher Trend, den es initiativ zu bestärken gilt und den,
denkt man nur an die hohen volkswirtschaftlichen Kosten psychosomatischer
Erkrankungen, eine verständige Gesundheitspolitik mit Nachdruck betreiben
sollte.
Da bei der Bewältigung psychosomatischer Krankheitsbilder der Arzt immer nur
als professioneller Begleiter agieren kann, zumal nämlich die therapeutische
Hauptarbeit durch den Patienten selbst zu erbringen ist, wendet sich das Buch
als Leitfaden zur Selbstfindung in erster Linie an die selbstverantwortliche
Person bzw. an ein engagiertes Laienpublikum, welches bereit und willens ist,
sein Leben in eigene Hände zu nehmen. Es geht ja letztlich, wie eingangs schon
erwähnt, um innerliche Souveränität und um einen Ausweg aus der selbstverschuldeten
Unmündigkeit des Menschen als beseeltes Wesen.
Wer Herr seines Selbst zu sein wünscht, muss wissend sein.
Mündigkeit basiert wesentlich auf einem Fundament der Gelehrtheit. In diesem
Sinne führt Stelzig im Anfangsteil aus, was Psychosomatik ist und präsentiert in
allgemein verständlichen Darstellungen, veranschaulicht an Beispielfällen aus
der ärztlichen Behandlungspraxis, zehn Theorien zur Entstehung psychosomatischer
Erkrankungen, wobei nebst allgemein erwartbarer Aspekte ("vegetative
Neurose", "Stresstheorie", "Aggressionstheorie",
"Selbstliebe und Narzissmustheorie") der
Leser auch mit Unerwartetem überrascht wird. So konstatiert Stelzig zum Beispiel
als bedeutsame Ursache für die Entstehung psychosomatischer Krankheitsbilder
einen Mangel an transzendentaler Dimension. Womit sich unverhofft ein religiöser
Moment auftut. Die göttliche Dimension müsse folglich besser in das
Gesellschaftsleben integriert werden, schon im Säugling sei, mit etwas
Einbildungskraft, das Unendliche und der Kosmos zu erkennen. Der Bezug zur
Transzendenz sei für die psychische Reifung und somit für die Hervorbringung und
den Erhalt von Gesundheit ganz zentral. Und wenn es auch bezüglich religiöser
Wahrheiten keine allgemein gültigen Erklärungen geben könne, so müsse man sich
doch die Frage über das Leben nach dem Tod, über das Wesen von Gut und Böse und
über unsere Aufgabe hier auf Erden stellen. Bei der Lösung existenzieller
Sinnfragen könnten die Ideenlehren der Religionsgemeinschaften zwar
richtungweisend sein, doch letztlich kann die Gewissheit nur von innen kommen,
wenn der Kontakt zu Gott, dem Kosmos, dem Höheren, dem Licht, der Unendlichkeit
und der Begegnung in einer anderen Dimension gefunden ist. Subjektive
Gewissheiten könnten dem Menschen eine Grundfestigkeit geben, die dem Menschen,
obgleich die römische Glaubenskongregation unter
Kardinal
Ratzinger (ebenso wie Glaubenswächter anderer Konfessionen) über diesen
unorthodoxen Glaubenssubjektivismus bestimmt nicht erfreut ist, ein
Sinnlosigkeitsempfinden erspart, das sich in vielen Fällen als wahrhaftiger (und
somit krankmachender) Energieräuber bewahrheitet. Ist der Mensch hingegen in ein
stabiles, dem Irdischen übergeordnetes Sinngefüge eingebettet, werden ihm selbst
lebensbedrohliche Erkrankungen immer noch sogar irgendwie einen "Sinn"
vermitteln können. Für den spirituell begabten Menschen birgt selbst die
Erfahrung mit einem Karzinom [bösartige Geschwulst] noch eine Chance auf
seelisches Wachstum in sich. (Stelzig lehnt deswegen die populäre Bezeichnung
"Krebserkrankung" als viel zu negativ besetzt ab. "Krebs" assoziiert sich
nämlich automatisch mit blankem Horror, was eine wohl ebenso unrichtige wie
unkluge Auffassung dieser chronischen Erkrankung ist.)
Der religiöse
Aspekt schlägt im Buch übrigens immer wieder durch, nicht zuletzt auch in Form
christlicher bzw. allgemein religiöser Ethik. So erachtet Stelzig den
christlichen Grundsatz von der Nächstenliebe "Liebe deinen Nächsten wie dich
selbst" als absolut maßgeblich für eine ausgewogene Lebensführung. Der Egoist
sei im Grunde ein kranker Mensch und dürfe sich nicht über sein seelisches und
organisches Unwohlbefinden wundern. Ein liebevolles Miteinander umfasse demnach
die eigene Person genauso wie die Person des Anderen und bedeute auf keinen Fall
"Aufopferung" oder "egozentrische Selbstverliebtheit". Wer sich selbst immer und
überall in den Mittelpunkt stelle, sei wohl bald zu recht bei den Leuten
verhasst. Trotzdem, maßvoll betrieben sei Selbstliebe oder "Narzissmus" durchaus
eine anständige Tugend. Viel zu viele Menschen hätten sich selbst längst schon
aus den Augen verloren und würden in ihrer alltäglichen Lebenspraxis das eigene
Ich in Permanenz verleugnen. Man lebt dahin, als ob es kein Interesse am eigenen
Leben mehr gäbe. Die Kunst, sich selbst zu lieben, ohne ein Egoist zu sein,
nicht zuletzt diese Kunst des Liebens will Stelzig mit seinem Buch unters Volk
bringen.
Und wohl auch deswegen, nicht weil der Gegenwartsmensch das
Leben sucht, sondern weil er es hartnäckig verleugnet, befindet sich die
Religion, wie denn auch der Mensch in der westlichen Hemisphäre in der Krise. Es
ist eine seelische Krise, denn der alltagsweltlich gelebte Materialismus
verwüstet die Lebenszusammenhänge und hinterlässt unglückliche Seelen. Ohne
jetzt dem aufgeklärten Kritikvermögen abzuschwören (der mündige Mensch ist und
bleibt das Ziel!), so gilt doch: Wir sollten "Wahrheiten" nicht primär nach
ihrer Kritikresistenz beurteilen, sondern danach, ob sie unser Leben befruchten
helfen und allfällig heilsam sind. Stelzig schreibt in diesem Zusammenhang:
"In
allen Religionen dieser Welt gibt es in irgendeiner Form ein
Leben nach dem
Tod, sei es im Sinne des Himmels und der Hölle, der Wiedergeburt, der
Seelenwanderung usw. Diese Vorstellungen sind in jedem Fall befriedigender und
Kraft gebender und damit für den Heilungsprozess wieder besser nutzbar als die
Vorstellung, begraben oder verbrannt zu werden, und dann kommt nichts
mehr."
Auch vermittle sich über die - eben wahrlich "sinnstiftende" -
Reflexion des Religiösen das so wichtige Thema der "leistungsunabhängigen
Liebe", die sich eventuell zur göttlichen Liebe zusammenfindet. Wirkliche Liebe,
gesunde Liebe, die sei dem Leistungsgedanken abhold und bewirke eine Abkehr vom
verderblichen Alltagsmaterialismus, vom Götzendienst um das Geld und um das
Auto. "Es ist die Akzeptanz im Sein und des Seins, das neue Suchen nach
Beziehungen, nach Verbundenheit, nach Liebe und eventuell auch nach
Liebe zu Gott",
schreibt Stelzig.
Die vorangehenden Ausführungen dürften bereits zur
Genüge verdeutlicht haben, dass es sich bei dem Buch von Stelzig
nicht einfach nur um eine Art von üblicher Ratgeberliteratur
handelt, die in Buchform summiert und zusammenfasst, was zuvor schon
vielmalig in diversen Gesundheits- und Lebensstiljournalen durchgekaut
worden ist. Der Inhalt hat durchaus, ja, in Ansätzen
weltanschauliches Profil und bringt solcherart eine persönliche
Perspektive des Autors ein. Nichtsdestotrotz bleiben auch jene eher
gängigen Informationen nicht ausgespart, die das Buch, ihrer
unmittelbaren Anwendbarkeit wegen, für den (eventuell erkrankten)
Leser zur nutzbringenden Investition machen. Primarius Dr. Manfred
Stelzig zeigt anhand anschaulicher Beispiele und spezieller
Übungen, wie Fehlentwicklungen im körperlich-seelischen
Gleichgewicht korrigiert werden können. Darüber hinaus
erfährt man alles Wesentliche über die wichtigsten
Erkrankungen mit oft seelischen Ursachen: z.B. Schmerzsymptomatik,
chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Erkrankungen des
Herz-Kreislaufsystems, Schlafstörungen, Sexualstörungen,
Depressionen, Hauterkrankungen wie Schuppenflechte und Neurodermitis
und vieles mehr. Spezielle Übungen zum Aufbau des Seelenhauses
sollen nicht nur in Bezug auf die genannten Krankheitsbilder heilend
wirken und Wohlbefinden gewinnen helfen, sondern - wie schon gesagt -
dem Menschen zum Herrn seiner Selbst erhöhen. Eine Erhöhung,
die adelt und solcherart glücklich und gesund macht.
Kritisch [oder so zusagen auch
ergänzend] anzumerken bleibt noch, dass Stelzig - einem allgemeinen Trend in der
Ratgeberliteratur folgend - den sozialkritischen Aspekt vernachlässigt. Er
betrachtet die Person des Patienten einerseits als Leib-Seele-Gesamtheit, also
ganzheitlich, aber andererseits doch immer noch unvollständig, weil weitgehend
isoliert von sozialen Lebensumständen; und zwar nicht nur von den
familiären bzw. höchstpersönlichen, sondern überhaupt von den die Person
prägenden gesellschaftlichen. Schon Emil Durkheim (1858-1917) bezeichnet in
seiner Anomietheorie diejenigen Tatbestände als normal, wenn sie allgemeine
Erscheinungsweisen zeigen, hingegen sie als pathologisch zu charakterisieren
sind, sobald sie von der Norm abweichen. Das Normale ist demnach das Gesunde,
das Abweichende ist das kranke, bzw. Konformität und angepasster Ritualismus
sind als gesund, rebellische Innovation ist jedoch als krank zu erachten,
obgleich darin viel Kreativkraft enthalten sein mag. Wenn Stelzig nun wiederholt
auf die Bedeutung des Religiösen verweist, so hat er zwar im Grunde genommen den
Wert einer dem Individuum übergeordneten humanistischen Kultur erkannt, doch
belässt er es bei einem bloßen Verweis auf eine lediglich postulierte
spirituelle Dimension und hinterfragt nicht weiter den möglicherweise doch
neurotischen Gesellschaftscharakter, in welchem der psychosomatisch erkrankte
Neurotiker einsitzt und als Kranker in zweckmäßiger Übereinstimmung mit dem
allgemein Krankhaften - also durchaus rational und angemessen - handelt. Wenn
jedoch der Bezugs- und Sinnrahmen des krankhaft Handelnden das Kranke ist, steht
dann nicht der Arzt mit seinen Versuchen zu heilen und zu emanzipieren auf
verlorenem Posten? Ist denn nicht der Neurotiker als Erfolgsmodell der
neurotischen Gesellschaft in dieser neurotischen Gesellschaft einzig gefragt und
bewährt? Bedeutet dann nicht Heilung zugleich Entfremdung von einem uniformen
Handlungsgesetz, das auf dem Primat der Selbstentfremdung des Menschen von sich
selbst basiert und in fieser Verkehrung medizinischer Terminologie alles Gesunde
als krank aussondert?
Wenn also Stelzig dem psychosomatisch Leidenden die Abkehr vom materialistischen
Lebensvollzug nahe legt, stattdessen eine in einer gewissen Hinsicht nonkonformistische
religiöse Selbstentfaltung empfiehlt und in der Gottesliebe höchste Seinsorientierung
sucht, so befindet er sich bereits (wenn auch unausgesprochen) in fundamentaler
Opposition zum herrschenden Lebensstil, der unter den gegebenen Verhältnissen
für gemeinhin Lebenserfolg verheißt. Freilich einen trügerischen Lebenserfolg,
doch wer fragt danach, solange Körper und Intellekt noch funktionieren? Erst
der Kranke ist irritiert, wenn er entgegen bisheriger Gewohnheit plötzlich nicht
mehr funktioniert, Sand im Getriebe ist, und er als Leistungsträger aus der
Leistungsgesellschaft herausfällt. Er ist irritiert, doch war nicht die Krankheit
- der neurotische Charakter - der Schlüssel zu seinem bisherigen Erfolg? Was,
wenn der gepanzerte Organismus im gesellschaftlichen Bewährungsrahmen der "eigentlich
Gesunde" ist und somit der Arzt mit all seinen Bemühungen um Gesundung des Patienten
vielleicht dessen schmerzhafte Symptome mildert, weil abdeckt, doch die Erkrankung
nicht heilt, mangels effektiver Zugriffsmöglichkeit auf die Ursache gar nicht
heilen kann, sondern vielmehr den Abgezehrten über die Konstruktion von Widersprüchen
zur gesellschaftlichen Wirklichkeit nur noch tiefer in sein Verderben geleitet?
Und spirituelle Hingabe mag vielleicht in Bezug auf die Hinfälligkeit alles
Irdischen sinnvoll sein, doch im Hier und Jetzt gesellschaftlich konstruierter
Sinnwelten nimmt sich nichts unsinniger, weil störender aus, als die Frage nach
Gott. Gott ist ein Freizeitluxus. Und ansonsten ein Ballast. Wobei wir noch
nicht einmal wissen, wer und wie Gott ist. Denn das Gottesbild der Weltreligionen
ist nach Auffassung mancher freier Geister überhaupt die vollendete Verkörperung
der Idee von der kranken Seele. Was vielleicht immer noch heilsamer als der
pure Materialismus ist, der nur allzu rasch zur Nekrophilie verkommt. In diesem
Zusammenhang ist Stelzig wohl eine Zustimmung tendenziell nicht zu verwehren,
wenn er - wie oben schon einmal ausgeführt - auf die traurige Alternative zum
Jenseitsglauben verweist, die nichts als
den Verfall sterblicher Überreste bietet.
In Gewahrung kritischer Theorie, wie sie sich beispielsweise noch bei
Erich Fromm
in überzeugender Eloquenz findet, scheint es geboten, die Thematik der glücklichen
Seele nicht abgehoben von gesamtgesellschaftlichen Lebenswirklichkeiten zu diskutieren.
Dass dem gegenständlich nicht so richtig entsprochen ist, war kritisch zu würdigen.
Davon abgesehen darf dem Buch von Manfred Stelzig jedoch ein hoher praktischer
Nutzen wie denn auch ein gediegener Bewusstsein stiftender Gehalt zur gelebten
Verantwortungsethik zuerkannt werden. Es fordert vom Einzelnen ein gerütteltes
Maß an Selbstverantwortung ein und gemahnt, dass die Abkehr von einer (spirituellen)
Kultur des Geistes eine Barbarei zur Folge hat, die den Menschen erniedrigt
und verödet, unglücklich und krank macht. Schlussendlich vermittelt dieser Gesundheits-
und Lebensratgeber eine Ahnung von der Komplexität des Phänomens der Psychosomatik,
die uns als Lebensphänomen nicht nur tagtäglich begleitet, sondern den Menschen
bei ganzheitlicher Betrachtung über sich hinaus verweist, auf eine Dimension
hin ausgerichtet, wo das Menschsein in seiner ideellen Form Gestalt annimmt.
Man könnte es ja auch so sehen: Der gesunde Mensch ist mehr als das reibungslose
Zusammenspiel von Körper und Seele im Getriebe des Alltags; der gesunde Mensch
ist die vornehmste Vision seines Selbst. Oder in der Diktion des Alten Testaments
gesprochen: Ihr werdet sein wie Gott. Und in der Tat, ist Gott etwa anders denkbar
denn als eine Verkörperung des Gesunden und Glücklichen in vollendeter Gestalt?
(Harald Schulz)
Prim. Dr. med. Manfred Stelzig: "Was
die Seele glücklich macht. Das Einmaleins der Psychosomatik"
Ecowin, 2009. 192 Seiten.
Buch
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Primarius Dr. med. Manfred Stelzig, geboren
in Salzburg. Studium der Medizin. 1984 bis 1990 Lehrbeauftragter am Moreno-Institut,
Überlingen (Deutschland). Seit 1991 Leitung der Psychosomatischen Ambulanz Salzburg
mit Ausbildungsfunktion für Assistenz- und Turnusärzte sowie Psychotherapiepraktikanten.
Seit 1992 Lehrtherapeut für Psychodrama und Vortragender der Fortbildungscurricula
für Psychosomatik im ÖAGG. 1994 Mitbegründer und geschäftsführender Obmann der
Gesellschaft für Psychosomatik in Salzburg. 2003 Ernennung zum Primarius am
Landeskrankenhaus Salzburg.
Ergänzende Buchempfehlungen:
Ruediger Dahlke: "Krankheit als Symbol"
Ein Handbuch der Psychosomatik, Symptome, Be-Deutung, Einlösung.
In seinem umfassenden Nachschlagewerk "Krankheit als Symbol" verwirklicht Ruediger
Dahlke ein zentrales Anliegen seiner medizinisch - therapeutischen Arbeit. Die
Geheimnisse hinter kleinen, schweren bis hin zu bedrohlichen
Krankheiten werden
systematisch von A bis Z aufgedeckt und ihre Kernaussagen, Botschaften und Lernaufgaben
in Stichworten vor dem Benutzer entfaltet. So kann "Krankheit als Symbol" zur
Chance werden, an deren Bewältigung sich wachsen lässt. Auch wenn es kurzfristig
unangenehm sein mag und fast immer Überwindung kostet, sich von Symptomen über
die eigenen Lernaufgaben aufklären zu lassen, ist es langfristig doch über die
Maßen lohnend und befreiend.
Insgesamt haben über 400 Krankheitsbilder mit weit über 1000 Symptomen Eingang
in das Buch gefunden. Es bietet Hilfe zur Selbsthilfe und ermöglicht es, sich
in eigener Verantwortung den anstehenden Lernaufgaben zu stellen. (C. Bertelsmann)
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Dr. Hildegund Heinl, Dr. med. Peter Heinl: "Körperschmerz - Seelenschmerz"
Die Psychosomatik des Bewegungssystems. Ein Leitfaden.
In diesem Buch lassen die Autoren den Leser an der beeindruckenden Entwicklung der
psychosomatischen Orthopädie teilhaben, die von Hildegund Heinl mitgestaltet
wurde. Die psychologische Betrachtungsweise eröffnet ein neues Verständnis von
Erkrankungen des Bewegungssystems und neue Behandlungsformen für die Erkrankten.
Vor dem Hintergrund neurobiologischer Erkenntnisse führt die psychosomatische
Orthopädie zu einem Umdenken: Es fordert
Ärzte, Physiotherapeuten und Betroffene
auf, die jeweiligen Beschwerden sowohl aus einem körperlichen als auch aus einem
seelischen Blickwinkel zu betrachten. Ein mit vielen Beispielen angereichertes,
spannend zu lesendes, wissenschaftlich fundiertes Buch. Auch für Schmerzgeplagte
eine empfehlenswerte und Augen öffnende Lektüre. (Kösel)
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Ulrike Schäfer, Eckart Rüther: "Heile Seelen. Was macht die Psyche gesund, was macht sie krank" zur Rezension ...
Eva Illouz: "Die Errettung der modernen Seele" zur Rezension ...